Ehgraben
Der Ehgraben, auch Reule oder Reihe genannt, war der schmale, nicht bebaute Streifen zwischen den Häusern der mittelalterlichen Städte. Es handelte sich um einen offenen Graben einer Breite von bis zu drei Metern, der auf dem Grund eines schmalen Gässchens zwischen den gegenüberstehenden Rückseiten zweier Häuserreihen verlief.
Der Vorderteil des Wortes ist mittelhochdeutsch ê(we) ‚Gesetz‘; ein Ehgraben war also ursprünglich ein „rechtsgültiger Grenzgraben“ beziehungsweise dann „der durch das Gesetz bestimmte Abzugsgraben zwischen zwei Häuserreihen einer Stadt, in welche sich die Aborte entleeren“.[1]
Geschichte
Die Ehgräben wurden zur Fäkalienbeseitigung benutzt; an den Häuserrückseiten befanden sich die Abtrittserker, aus denen die Fäkalien unmittelbar in den Ehgraben hinabfielen. Wegen des „pestilenzialischen Gestankes“ der Ehgräben waren diese Hinterwände mit möglichst wenig Fenstern versehen.[2]
Im Mittelalter bildeten Fäkaliengruben, Ehgräben und oberirdisch verlaufende, angelegte „Bäche“ das Entwässerungssystem einer Stadt. Gingen auch die einzelnen Ehgräben manchmal mit Gefälle ineinander über, um schließlich in den Stadtgraben oder einen Wasserlauf zu münden, so entledigten sie sich dort nur eines Teiles ihrer flüssigen Schmutzstoffe. Sie mussten deshalb von Zeit zu Zeit geräumt werden. In Schaffhausen war das die Aufgabe der „Ehgrabenrumer“ (in Nürnberg die der „Pappenheimer“ und in München die der „Goldgrübler“).[3] Die Reinigung der Ehgräben erfolgte entweder durch Spülen oder durch Auslegen mit Mist, der dann der landwirtschaftlichen Verwertung zugeführt wurde.[4] Wie selten dies geschah, geht aus einer Schilderung des Nürnberger Stadtbaumeisters Endres Tucher, eines Zeitgenossen von Albrecht Dürer, deutlich hervor. In seinem Baumeisterbuch heißt es:
„Eine reihen, die da get zwischen der judenheuser herab an die Ledergass … pis an die Newengass … hab ich räumen lassen im siebenzigsten jar (1470) zu Martini und gab darzu auß … zwei und zweitzig pfunt alt. Die reihen war in 18 jaren nit geräumt worden.[5]“
Beispiele
Zahlreiche Beispiele von Ehgräben sind in Zürich, wo der Stadtrat 1546 verlangte, dass die Fäkalrinnen regelmäßig nachts sauber zu machen seien,[6] erhalten. Einer davon ist als archäologisches Fenster ausgewiesen.
Siehe auch
- Traufgasse, ein schmales zur Straße führendes Gässchen zwischen zwei giebelständigen Häusern.
Literatur
- Ê-Graben. In: Schweizerisches Idiotikon, Band II, Sp. 680.
- Von der Schîssgruob zur modernen Stadtentwässerung. Unter Verwendung eines unveröffentlichten Manuskriptes von Hansruedi Steiner verfasst von Martin Illi. Hrsg. von der Stadtentwässerung Zürich, Abteilung des Bauamtes I. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 1987, ISBN 3-85823-173-8.
Weblinks
- Ehgraben auf der Website der Stadt Zürich (mit Erläuterung und Prinzipskizze)
Einzelnachweise
- Ê-Graben. In: Schweizerisches Idiotikon, Band II, Sp. 680.
- Giovanni Boccaccio: Das Dekameron. Deutsch von Albert Wesselski. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1999
- Wolfgang F. Reddig: Hygiene: Gesundheitsrisiko Stadt. In: Medizin im Mittelalter. Zwischen Erfahrungswissen, Magie und Religion (= Spektrum der Wissenschaft. Spezial: Archäologie Geschichte Kultur. Band 2.19), 2019, S. 46–49, hier: S. 48.
- Leonardo Benevolo: Die Stadt in der europäischen Geschichte (= Beck’sche Reihe. Bd. 4021). Beck, München 1993.
- Endres Tuchers Baumeisterbuch der Stadt Nürnberg (1464–1475). Mit einer Einleitung und sachlichen Anmerkungen von Friedrich von Weech, hrsg. durch Matthias Lexer. Litterarischer Verein, Stuttgart 1862 (= Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart. Band 64), Nachdruck Amsterdam 1968.
- Wolfgang F. Reddig: Hygiene: Gesundheitsrisiko Stadt. 2019, S. 48.