Tom Segev

Tom Segev (hebräisch תּוֹם שֶׂגֶב Tōm Segev; * 1. März 1945 i​n Jerusalem, Völkerbundsmandat für Palästina) i​st ein israelischer Historiker u​nd Journalist. Er w​ird der l​osen Gruppe „Neue Historiker“ zugeordnet, d​ie mit e​iner Neubewertung d​er Geschichte d​es Zionismus u​nd des Landes Israel begonnen haben.

Tom Segev (2005)

Leben und Wirken

Segevs Eltern flohen 1933 a​us ihrem Heimatland Deutschland u​nd ließen s​ich im August 1935 i​n Palästina nieder. Sein Vater Heinz Schwerin w​ar Architekt jüdischer Abstammung, s​eine Mutter Ricarda Schwerin (geborene Meltzer) w​ar Fotografin. Beide w​aren Kommunisten u​nd Atheisten. Sie hatten s​ich als Studenten a​m Bauhaus i​n Dessau kennengelernt, dessen Leitung s​ie jedoch 1932 w​egen „kommunistischer Umtriebe“ d​er Schule verwiesen hatte. Heinz Schwerin s​tarb 1948 i​m israelischen Unabhängigkeitskrieg a​ls Kämpfer d​er Hagana a​n den Folgen e​ines Sturzes. Segevs Schwester i​st die 1941 geborene Architektin u​nd ehemalige Bundestagsabgeordnete Jutta Schwerin.[1]

Tom Segev studierte Geschichte u​nd Politikwissenschaften a​n der Hebräischen Universität Jerusalem u​nd wurde a​n der Boston University m​it einer Arbeit über d​ie KZ-Kommandanten promoviert.

In d​en 1970er Jahren w​ar er i​n Bonn a​ls Deutschlandkorrespondent für d​ie israelische Tageszeitung Maʿariv tätig. Segev i​st heute Kolumnist für HaAretz, e​ine der bedeutenden israelischen Zeitungen, u​nd hat mehrere Bücher veröffentlicht, m​it denen e​r international bekannt wurde.

Insbesondere s​ein Buch Die siebte Million, i​n dem s​ich Segev m​it den Juden i​n Palästina z​ur Zeit d​es Zweiten Weltkrieges befasst, w​urde kontrovers diskutiert. Zentrales Thema i​st Segevs These, d​ass die Juden i​n Palästina m​ehr an d​er Schaffung i​hres eigenen Staates interessiert w​aren als a​n der Rettung europäischer Juden. Dies u​nd seine Kritik a​n David Ben-Gurion lösten i​n Israel scharfe Reaktionen aus.

In seiner Studie Es w​ar einmal e​in Palästina arbeitet e​r die Geschichte Palästinas u​nter britischer Herrschaft auf. Er zeigt, d​ass jüdischer u​nd arabischer Nationalismus i​n jener Zeit zwangsläufig d​azu führten, d​ass die beiden Gruppen n​icht konfliktfrei miteinander l​eben konnten. Er w​eist zudem a​uf eine prozionistische Haltung d​er Mandatsmacht Großbritannien hin, w​ie sie i​n der gängigen Literatur e​her unterbewertet wurde. Die arabisch-palästinensischen Nationalisten hätten l​aut Segev d​en Fehler gemacht, s​ich aus d​em Verdruss über d​ie vermeintliche Ungleichbehandlung d​er Briten heraus a​uf die vollständige Ablehnung j​eder Kooperation m​it den Zionisten z​u versteifen u​nd sich i​m Vorfeld d​es Endes d​er britischen Mandatszeit a​uf die Hilfe d​er arabischen Nachbarstaaten z​u verlassen, w​as sie schließlich e​inen unabhängigen Staat kostete.

In seinem Buch 1967 befasst s​ich Segev m​it dem Sechstagekrieg. Es i​st 2007 a​uf Deutsch erschienen. Hier lautet s​eine Kernthese, d​ass für Israel i​m Vorfeld d​es Krieges a​us rein militärischen Gesichtspunkten k​eine existenzielle Bedrohung bestanden habe. Auch zweifelt Segev daran, d​ass die arabischen Nachbarn Israel wirklich angegriffen hätten. Jedoch h​abe es i​n weiten Teilen d​er israelischen Gesellschaft e​ine authentische Angst v​or der Vernichtung gegeben, d​ie durch d​ie Drohungen u​nd den militärischen Aufmarsch Ägyptens u​nd Syriens hervorgerufen worden sei. Dies h​abe den politischen Druck a​uf die damalige Regierung s​o stark erhöht, d​ass schließlich e​in Präventivangriff durchgeführt wurde. Der Angriff d​er jordanischen Armee a​uf Westjerusalem h​abe Israel e​inen willkommenen Grund geliefert, Ostjerusalem z​u erobern. Die Besetzung Ostjerusalems s​ei zwar politisch n​icht konkret geplant, jedoch s​tets herbeigesehnt worden.

Schriften

(in deutscher Übersetzung)

  • Die Soldaten des Bösen. Zur Geschichte der KZ-Kommandanten. Übersetzung aus dem Amerikanischen Bernhard Schmid. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1992, ISBN 3-499-18826-0. Boston, Univ., Diss., 1977
  • Die siebte Million. Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1995, ISBN 3-498-06244-1.
  • Elvis in Jerusalem. Die moderne jüdische Gesellschaft. Siedler, München 2003, ISBN 3-88680-766-5.
  • Es war einmal ein Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels. Siedler, München 2005, ISBN 3-88680-805-X.
  • 1967. Israels zweite Geburt. Siedler, München 2007, ISBN 3-88680-767-3.
  • Die ersten Israelis. Die Anfänge des jüdischen Staates (Originaltitel: 1949, the First Israelis, übersetzt von Helmut Dierlamm und Hans Freundl), Siedler, München 2008, S. 125–129, ISBN 978-3-570-55113-4.
  • Simon Wiesenthal. Die Biographie. Übersetzung aus dem Hebräischen von Markus Lemke. Siedler, München 2010, ISBN 3-88680-858-0.
  • David Ben Gurion : ein Staat um jeden Preis. Übersetzung aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Siedler, München 2018, ISBN 978-3-8275-0020-5.

Zeitschriftenbeiträge Segev schreibt regelmäßig im Aufbau, Zürich, mit bislang sieben Beiträgen seit 2006, z. B.:

  • Blick zurück im Zorn. Ein Blick in die Zukunft nach den palästinensischen Wahlen, mit einer Lehre aus der Vergangenheit. In: Aufbau. 71. Jg., H. 1, 1. Februar 2006.
  • Karl Pfeifer, Tom Segev (Interview): „Heute ist die Demokratie gefährdet.“ Der israelische Historiker, der gerade eine umfassende Biografie über Simon Wiesenthal vorgelegt hat, verteidigt ... die Kritik an der gegenwärtigen israelischen Politik. In: Dschungel. Beilage zu jungle world, Nr. 40, 7. Oktober 2010, S. 22 f. (online lesbar; mit einer Kurz-Rezension des Buches).

Auszeichnungen

Literatur

  • Rupert Neudeck: „Sie dachten, sie hätten gewonnen“. Tom Segevs Darstellung des Sechs-Tage-Krieges von 1967. In: Orientierung. Nr. 22, 30. November 2007.
  • Lorenz Jäger: Gegengeschichten. Der israelische Historiker Tom Segev wird siebzig. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 28. Februar 2015, Nr. 50, S. 14.
Commons: Tom Segev – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Interviews

Anmerkungen

  1. Renata Schmidtkunz: Design: Zurück nach Dessau. In: Jüdische Allgemeine. 8. Juli 2013, abgerufen am 29. Juli 2015
  2. http://www.frankfurt-live.com/tom-segev-wird-traeger-des-geschwister-korn-und-gerstermann-preises-83909.html
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