Tigerschecken-Komplex
Der Tigerschecken-Komplex, im Englischen Leopard Complex genannt, umfasst mehrere durch dasselbe Gen hervorgerufene Scheckungsmuster beim Pferd. Darunter fallen auch völlig weiße Pferde und jene mit Varnish-Roan-Zeichnung. Bei den Scheckungsmustern tauchen häufig kleine runde dunkle Flecken auf weißem Hintergrund auf.
Merkmale
Es gibt Pferde ohne sichtbares Scheckungsmuster, die nur die dunklere Grundfarbe zeigen. Andere haben einen unterschiedlich großen ovalen, von der Kruppe ausgehenden weißen Fleck (Schabracke), der sich bei den hellsten Pferden über das gesamte Pferd ausgebreitet hat. Normalerweise ist die Haut unter weißem Fell rosa und unter dunklem Fell dunkel, doch die dunkle Haut erstreckt sich oft ein Stück weit vom dunklen Fell aus in die Bereiche, wo das Fell schon weiß ist. Häufig tauchen in der weißen Schabracke kleine, pfennig- bis über apfelgroße runde dunkle Flecken auf hellem Hintergrund auf. Umgekehrt gibt es auch kleine helle Punkte auf den dunklen Fellarealen. Die Hufe sind wegen weißer und schwarzer Flecken am Hufrand häufig gestreift. Dunkle Fellbereiche werden im Laufe des Lebens meist heller, da immer mehr weiße Stichelhaare in ihnen sprießen.[1]
Wenn das Tigerscheckengen homozygot vorliegt, führt es zu angeborener Nachtblindheit. Heterozygote Tiere, die das Gen nur einmal besitzen, sind nicht betroffen.[2]
Variationen
- Schabrackentiger
- Schneeflockentiger, fast einfarbig
- Älterer Varnish Roan
Weißgeborene
Das Pferd wird weiß geboren und durchläuft keinen Farbwechsel. Weißgeborene sind immer homozygot für das Gen.[3]
Volltiger
Als Volltiger (engl. Leopard) bezeichnet man Pferde, die auf weißem Hintergrund viele kleine meist runde dunkle Flecken haben.
Schabrackentiger
Als Schabrackentiger (englisch: Blanket, von türkisch: çaprak, ‚Satteldecke‘) werden Tigerschecken bezeichnet, bei denen ein erheblicher Teil des Pferdes die normale Grundfarbe zeigt, während ein abgerundeter Bereich von der Kruppe ausgehend weiß ist. Die Größe der Schabracke ist sehr variabel, gelegentlich treten Flecken innerhalb jener auf.
Schneeflockentiger
Der Schneeflockentiger (englisch: Snowflake) hat kleine weiße Flecken über den Körper verteilt.
Varnish Roan
Ähnlich wie beim Schimmel tauchen auch beim Varnish Roan mit den Jahren immer mehr weiße Haare im Fell auf. Dunkel bleiben nur die Hautareale, wo Knochen dicht unter der Haut liegen. Das sind zum Beispiel die Vorderbeine bis zum Karpalgelenk. Die dunkle Farbe läuft vorne in einer Spitze aus. An den Hinterbeinen reicht sie bis zum Sprunggelenk. Außerdem gibt es dunkel bleibende Stellen am Beinansatz vorne und hinten (Ellenbogengelenk und Kniegelenk). Im Gesicht vorne bleibt ein dunkles V bestehen, während Stirn und Kopfseiten weitgehend weiß werden. Mähne und Schweif bleiben ebenfalls etwas dunkler. → Für die Bezeichnungen der Körperteile siehe: Exterieur (Pferd)
- Verwechslungsmöglichkeiten
- Schimmel in der Phase des Ausschimmelns: Das Gesicht wird als erstes hell, besonders in dem Bereich, wo beim Varnish Roan das dunkle V bestehen bleibt.
- Stichelhaariges Pferd: Das Gesicht bleibt vollständig dunkel, die dunkle Farbe reicht bei den Beinen bis zum Ellenbogen- bzw. Hüftgelenk. Sie bleiben im gesamten Verlauf ihres Lebens in etwa gleich gefärbt, wenn man davon absieht, dass die Menge der Stichelhaare mit den Jahreszeiten wechselt.
- Rabicano: Die stichelhaarigen Bereiche sind weniger ausgedehnt als beim Stichelhaarigen Pferd und liegen vorwiegend im Bereich des Brustkastens. Die Pferde werden im Verlauf ihres Lebens nicht heller.
Einfarbige Tiere
Nicht bei jedem Pferd wirkt sich das Gen auf das Aussehen aus.
Übergangsformen
Da alle diese Farben von einem einzigen Gen hervorgerufen werden, gibt es fließende Übergänge zwischen ihnen. Tigerschecken mit dunklen Fellbereichen können immer auch wie der Varnish Roan im Laufe ihres Lebens heller werden.
Pintaloosas
Pferde die neben dem Tobiano-Gen noch ein Tigerschecken-Gen haben, werden als Pintaloosas bezeichnet, eine Zusammensetzung der Wörter Pinto (amerikanisch für „Schecke“) und Appaloosa.
Verbreitung unter den Rassen
Europäischer Tigerschecke, Europäisches Appaloosa Pony, Appaloosas, Knabstrupper, Colorado Ranger und Nederlands Appaloosa Ponys haben immer die typischen Tigerscheckenmuster, allerdings tritt das Gen auch beim Welsh-Pony, Noriker und dem Pony of the Americas auf.[4]
Geschichte
In einer Höhlenmalerei, die etwa vom Jahr 18.000 v. Chr. stammt, ist ein Pferd abgebildet, das aussieht wie ein typischer Tigerschecke. Es wurde angenommen, dass die Punkte des Pferdes eventuell nur symbolisch gemeint sein könnten. Inzwischen ist jedoch erwiesen, dass es damals tatsächlich schon Tigerschecken gab.[5]
In China wurden Tigerschecken aus Ferghana als Himmlische Pferde bezeichnet und spielen eine große Rolle in der chinesischen Kunst. Eine Abbildung der Lipizzanerzuchtstuten von 1727 zeigt nicht überwiegend Schimmel, wie wir es heute gewohnt sind, sondern Pferde unterschiedlichster Farben, zu denen auch ein Tigerschecke gehörte. In Frankreich wurden Adelige, Könige und Heilige oft auf Tigerschecken dargestellt. Ähnlich war das seit dem 12. Jahrhundert in England. In Dänemark, Norwegen und Schweden sind viele Kunstwerke, auf denen Tigerschecken abgebildet sind, bekannt. Dänemark bekam im 17. Jahrhundert Tigerschecken von Österreich, hatte jedoch, was aufgrund der genetischen Varianz des Gens logisch ist, Probleme die Farbe rein zu züchten. Deshalb wurde die Zucht aufgegeben. Von ihnen stammen die heutigen Knabstrupper ab. Die Spanier exportierten Pferde nach Nordamerika, von denen vermutlich die Pferde abstammten, die die Nez Percé züchteten. Von ihnen wiederum stammen die Appaloosas ab.[6]
Genetik
Das Gen für den Tigerschecken-Komplex liegt auf Chromosom 1 des Pferdes, und wird mit LP (für englisch leopard spotting) abgekürzt. Die bekannten Leuzismus-Ursprünge MITF, Steel und Kit sowie der Okulokutaner Albinismus Typ 2 wurden zuerst als Ursache ausgeschlossen. Dann fand man heraus, dass es sich um eine Mutation des TRPM1-Gens handelt, die dazu führt, dass die Expression des Gens bei homozygoten Tieren auf 0,05 % des Niveaus normalfarbiger Pferde gesenkt ist. Die Expressionsrate heterozygoter Tiere liegt dazwischen.[7][8][9][10][4][11]
Es wird angenommen, dass die verringerte Expression des Gens sowohl die Funktion der Bipolare Zellen der Retina als auch die der Melanozyten stört, so dass sowohl die Nachtblindheit der homozygoten Appaloosas als auch die typische Appaloosafarbe hierdurch verursacht werden könne.[11]
Pferde, die nur ein Allel des Gens haben, weisen gewöhnlich weniger weißes Fell als reinerbige Tiere auf. Dennoch kann man am Aussehen nicht sicher ablesen, ob ein Tier ein oder zwei Allele des Gens hat, da die Ausprägung der Farbe sehr variabel ist.[4]
Weblinks
- How appaloosa patterns work – part 1 (englisch)
Einzelnachweise
- Anna Stachurska, Anne P. Ussing, Ryszard Kolstrung: Tobiano and leopard alleles in felin pony population. In: Electronic Journal of Polish Agricultural Universities, Animal Husbandry. Band 5, Nr. 1, 2002.
- L. S. Sandmeyer, C. B. Breaux, S. Archer, B. H. Grahn: Clinical and electroretinographic characteristics of congenital stationary night blindness in the Appaloosa and the association with the leopard complex. In: Veterinary Ophthalmology. Band 10, Nr. 6, 2007, S. 368–375, PMID 17970998.
- Gene Carr, Robert A. Lapp: Homozygous Appaloosa Coat Patterns. Abgerufen am 31. Dezember 2012.
- D. P. Sponenberg, G. Carr, E. Simak, K. D. P. Schwink: The inheritance of the leopard complex of spotting patterns in horses. In: Journal of Heredity. Band 81, Nr. 4, 1990, S. 323–331, PMID 2177073.
- M. Pruvost, R. Bellone, N. Benecke, E. Sandoval-Castellanos, M. Cieslak, T. Kuznetsova, A. Morales-Muñiz, T. O'Connor, M. Reissmann, M. Hofreiter, A. Ludwig: Genotypes of predomestic horses match phenotypes painted in Paleolithic works of cave art. In: Proc Natl Acad Sci U S A. 108(46), 15. Nov 2011, S. 18626–18630. Epub 2011 Nov 7. PMID 22065780
- History of the Appaloosa. In: Appaloosa Museum. Archiviert vom Original am 18. Januar 2008; abgerufen am 1. Juni 2011.
- R. B. Terry, E. Bailey, T. Lear, E. G. Cothran: Rejection of MITF and MGF as the genes responsible for appaloosa coat colour patterns in horses. In: Animal Genetics. Band 33, Nr. 1, 2002, S. 82–84, doi:10.1046/j.1365-2052.2002.0742h.x.
- R. R. Terry, E. Bailey, D. Bernoco, E. G. Cothran: Linked markers exclude KIT as the gene responsible for appaloosa coat colour spotting patterns in horses. In: Animal Genetics. Band 32, Nr. 2, 2001, S. 98–101, PMID 11421946.
- R. B. Terry, S. Archer, S. Brooks, D. Bernoco, E. Bailey: Assignment of the appaloosa coat colour gene (LP) to equine chromosome 1. In: Animal Genetics. Band 35, Nr. 2, 2004, S. 134–137, doi:10.1111/j.1365-2052.2004.01113.x.
- R. Bellone, S. Lawson, N. Hunter, S. Archer, E. Bailey: Analysis of a SNP in exon 7 of equine OCA2 and its exclusion as a cause for appaloosa spotting. In: Animal Genetics. Band 37, Nr. 5, 2006, S. 525, PMID 16978190.
- R. R. Bellone, S. A. Brooks, L. Sandmeyer, B. A. Murphy, G. Forsyth, S. Archer, E. Bailey, B. Grahn: Differential gene expression of TRPM1, the potential cause of congenital stationary night blindness and coat spotting patterns (LP) in the Appaloosa horse (Equus caballus). In: Animal Genetics. Band 179, Nr. 4, 2008, S. 1861–1870, PMID 18660533.