Tenrikyō
Tenrikyō (japanisch 天理教) ist eine monotheistische neureligiöse Bewegung, die aus dem japanischen Shintōismus hervorgegangen ist. Miki Nakayama, die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Erleuchtung erlebt haben soll, ist die die Stifterin des Glaubens. Der „Elterliche Gott“ (親神, oyagami) wird auch Tenri-ō-no-mikoto (天理王命, „Herr der göttlichen Weisheit“) genannt. Tenrikyō hat inzwischen über 4 Millionen Anhänger weltweit; davon 1,5 Mio. im Ursprungsland Japan.
Geschichte
Die Geschichte der Tenrikyō beginnt am 26. Oktober 1838, als die damals 40-jährige Miki Nakayama eine Offenbarung durch einen bis dahin nicht gekannten Gott erfährt. Der „elterliche Gott“ dringt in Nakayamas Körper, denkt, fühlt und handelt fortan aus ihr. Sie beginnt, sämtlichen Besitz ihrer Familie als Almosen an die Armen zu verteilen, was zur völligen Verarmung ihrer Familie führt.
Als die Menschen erleben, dass Nakayama übersinnliche Fähigkeiten besitzt, beginnen sie sich um sie zu sammeln und sie als lebende Gottheit zu verehren. Mit der Zeit entsteht ein Kultgebäude und es entwickelt sich ein Gottesdienst, der mit Gebärden, Liedern und Tänzen zelebriert wird.
1875 entdeckt Nakayama den Platz Jiba, nach dem Glauben der Tenrikyō der Mittelpunkt der Welt, wo die Menschen einst von Gott geschaffen wurden und wohin sie in ihr eigentliches Elternhaus zurückkehren werden. Der Jiba ist gekennzeichnet durch den Kanrodai, einem heiligen hölzernen Ständer mit einer Schale für den Himmelstau darauf, dem ewiges Leben verleihenden Nektar, der dann vom Himmel fällt, wenn weltweit das Frohe Leben errichtet ist. Dort entsteht später die Hauptkirche der Tenrikyō.
Nakayama wird mehrmals verhaftet und ihre Anhänger werden von der Polizei verfolgt. Am 26. Januar 1887 ruft sie ihre Anhänger dazu auf, den Gottesdienst entgegen den Befehlen der Polizei am Jiba zu vollziehen und stirbt während der Zeremonie. Im Glauben ihrer Anhänger hat sie nur ihren sichtbaren Leib verborgen und lebt auch weiterhin in ihrem Heiligtum, um den Menschen die Gnade Gottes zu vermitteln.
Nach ihrem Tod obliegt die geistige Führung der Tenrikyō Nakayamas Vertrautem Izo Iburi, die rechtliche Leitung der Gemeinschaft liegt in den Händen des ersten Shimbashira („Hauptstützpfeiler“) Shinjiro Nakayama. Tenrikyō wird erstmals 1908 von der Regierung anerkannt und wird unter den Dachverband des Sekten-Shintō gefasst, aus dem er sich erst 1970 löst, um seine Eigenständigkeit zu betonen. Nakayams Heimatort, das Dorf Shoyashiki, entwickelt sich zu einer Stadt, die nach einer Gemeindefusion 1954 den Namen Tenri erhält.
Grundlage der Lehre
Grundlage der Lehre der Tenrikyō bildet der Glaube an den „Elterlichen Gott“, Oyagami, auch genannt Tenri-ō-no-mikoto („Herr der göttlichen Weisheit“), Tsukihi („Mond-Sonne“), „Wahrer Gott“ und „Ursprünglicher Gott“. Durch Miki Nakayama offenbarte sich der Elterliche Gott den Menschen als die eigentlichen Eltern, das heißt, ihren eigentlichen Ursprung und ihr eigentliches Ziel, ohne die sie heimatlos umherirren und der Erlösung bedürfen. Der Elterliche Gott schuf die Welt, um sich am harmonischen Leben der Menschen zu erfreuen. Der menschliche Körper ist eine Leihgabe Gottes, der Geist jedoch wird dem Menschen zur freien Verfügung gestellt. Durch selbstsüchtiges Denken und Handeln entfernt sich der Mensch von Gott, und erst durch die Reinigung des Herzens findet er wieder zu ihm. Diese Rückführung zu Gott erfolgt unter anderem durch hinokishin (selbstlose Taten). Der Gewinn ist das yokigurashi, das Frohe Leben, welches der Elterliche Gott für alle Menschen vorgesehen hat.
Ein weiterer Schritt zur Erlösung ist das Vollziehen des kagura zutome, eines Tanzes, in dem von zehn Tänzern der Schöpfungsakt symbolisch dargestellt wird. Dieser wird jedoch nur am Jiba um den Kanrodai herum ausgeführt. Als heilende Kraft des Elterlichen Gottes wird das sazuke („Gabe“) erteilt, ursprünglich durch die Stifterin, heute durch den Shimbashira. Wem es zuteilwird, der wird zum yoboku, zum „Bauholz“ in der Hand Gottes, und gibt als Missionar die Wirkung des sazuke an leidende Menschen weiter. Zum Glauben der Tenrikyō gehört auch der Gedanke an die ewige Wiedergeburt der Seele gemäß einem innen („Karma“) genannten Prinzip, allerdings hofft man nicht auf ein „Verlöschen“ wie im Buddhismus oder ein himmlisches Paradies wie z. B. im Christentum, sondern strebt ein irdisches Paradies an, in dem alle Menschen das Frohe Leben erlangt haben. Die bedeutendsten kanonischen Texte der Tenrikyō sind das Ofudesaki („Die Spitze des Schreibpinsels“), das Mikagurauta („Lieder für den Heiligen Tanz“) und das Osashizu („Göttliche Anweisungen“), die ersten beiden verfasst von Miki Nakayama, der letzte von Izo Iburi und anderen Schülern.
Zwischen der Stadt Tenri und Marburg bestehen seit Jahren freundschaftliche Beziehungen, auch gefördert durch eine einmonatige Ausstellung zum Thema Tenrikyō, die 1975 in der Universitätsbibliothek Marburg abgehalten wurde.
Tenrikyō-Tempel in Tenri
An dem Ort, an dem nach Auffassung der Gläubigen der Elterliche Gott die Menschen schuf, steht die Hauptkirche der Tenrikyō. Ihre vier Gebetshallen sind dem Kanrodai zugewandt. Sie stehen den Gläubigen Tag und Nacht offen, auch werden dort tägliche Gottesdienste abgehalten.
Ebenfalls auf dem Tempelgelände befindet sich das Stifterin-Heiligtum, die Wohnung der ewig lebenden und wirkenden Seele von Miki Nakayama. Dort wird in ihrem Namen den Gläubigen vom Shimbashira das „Sazuke“ erteilt. Im Heiligtum für die Ahnen wird zweimal jährlich, am 27. März und am 27. September, eine Feier zum Gedenken aller verstorbener Tenrikyō-Anhänger abgehalten.
Gottesdienste
Musik, Gesänge und Tanz zeichnen die Tenrikyō-Gottesdienste aus. Während der tägliche Morgen- und Abendgottesdienst von jeweils vier Musikinstrumenten begleitet wird, gehören zum kagura zutome und zum teodori neun Instrumente (neben dem Gong verschiedene Streich- und Zupfinstrumente, Trommeln, Schlaghölzer, Zimbeln und eine Flöte). Diese beiden besonderen Gottesdienste sind dem 26. jeden Monats sowie den drei Hochfesten der Tenrikyō (das Herbstfest am 26. Okt. zum Gedenken an die Offenbarung durch den Elterlichen Gott, das Frühlingsfest am 26. Jan. zum Andenken an das Dahinscheiden der Stifterin sowie das Geburtsfest der Stifterin am 18. Apr.) vorbehalten. Der kagura zutome wird von zehn Personen, fünf Männern und fünf Frauen, nur am Jiba um den kanrodai herum vollzogen und stellt die schöpferische Tätigkeit Gottes bei der Erschaffung des Menschen dar, während in allen anderen Sakralgebäuden der teodori durch je vier Männer und Frauen das Frohe Leben symbolisiert.
Die heutige Gemeinschaft
Die Gemeinschaft der Tenrikyō betreibt mittlerweile verschiedene soziale und kulturelle Einrichtungen, zu denen ein Verlag, eine Bibliothek, ein Museum, eine Universität, ein Krankenhaus sowie ein Waisenhaus gehören. Die Anhänger sind inzwischen auch außerhalb Japans missionarisch aktiv; Missionen bestehen u. a. in den USA, Südamerika, Taiwan, Korea, China und Europa. Es gibt heute keine zuverlässigen Angaben über die Anzahl der Anhänger.
Pflegekinder
Seit sich der mediale Diskurs und daraufhin die Politik gegenüber „Kindesmißbrauch“ in Japan seit 1999 stark gewandelt hat und deshalb sehr viel mehr Kinder in staatliche Obhut genommen werden (was den Kommunen untersteht) werden landesweit etwa ein Zehntel der Betroffenen (2012 rund 4000) in die Pflege von Tenrikyō-Familien gegeben, die sich hierfür besonders bereit erklären.[1]
Bekannte Anhänger
- Avram Davidson – amerikanischer Science-Fiction-Autor. Er studierte den Tenrikyō und konvertierte in den 1950'ern zum Tenrikyō.
- Masako Konishi – Japanischer Opernsänger
- Shōzen Nakayama – Gründer der Tenri Universität
- Hirano Nazaro – Ehemaliger Gangster, gründete den Koriyami der Daikyokai.
Literatur
- Henry van Straelen: The Religion of Divine Wisdom. Japan's Most Powerful Religious Movement. In: Asian Folklore Studies, Jg. 13, 1954. S. 1–192. PDF (12,1 MB)
- S. Noma (Hrsg.): Tenrikyō. In: Japan. An Illustrated Encyclopedia. Kodansha, 1993. ISBN 4-06-205938-X, S. 1553.
Einzelnachweise
- Omori Hisako; Creating Families: Tenrikyō Foster Homes in Japan; Japanese Studies, Vol. 36 (2016), S. 213–29; doi:10.1080/10371397.2016.1213620
Weblinks
- Offizielle Website
- Yumiyama Tatsuya: „Tenrikyō“. In: Encyclopedia of Shinto. Kokugaku-in, 25. Mai 2006 (englisch)