Supposé
Supposé (Eigenschreibweise supposé) ist ein unabhängiger deutscher Verlag für Audiopublikationen mit Sitz in Wyk auf Föhr. Er wurde 1996 von Klaus Sander in Köln gegründet und wird seither von ihm betrieben.
supposé | |
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Rechtsform | Einzelunternehmen |
Gründung | 1996 |
Sitz | 1996–2007 Köln
2007–2017 Berlin seit 2017 Wyk auf Föhr |
Leitung | Klaus Sander |
Branche | Audioverlag |
Website | www.suppose.de |
Geschichte und Programm
Der Verlagsname geht auf eine Redewendung des Philosophen Vilém Flusser zurück, der viele seiner Vorträge eröffnete mit „supposé que“ (frz.), „suppose that“ (engl.) oder „angenommen, dass“ (dt.). Klaus Sander hörte Flusser während seines Studiums und arbeitete nach dessen Unfalltod in seinem Nachlass. Gemeinsam mit der Witwe Edith Flusser und anderen baute er das Vilém-Flusser-Archiv in Den Haag auf, das heute an der Universität der Künste in Berlin beheimatet ist. Sander war von Flussers Art des freien Vortrags fasziniert und wollte dies für eine nachwachsende Generation festhalten. So gründete er für die Veröffentlichung von Flussers letztem erhaltenen Tondokument einen Verlag und nannte diesen supposé.[1]
Nach eigenen Aussagen war ihm hierdurch plötzlich bewusst geworden, „dass es Menschen gibt, die sich lieber mündlich als schriftlich ausdrücken“ und insbesondere in der Welt der Naturwissenschaften fand er hierfür zahlreiche Beispiele. Da gesprochene Sprache jedoch anders funktioniere als geschriebene Sprache, bedürfe diese auch einer anderen, ihr adäquaten Form. Dementsprechend sei der programmatische Ansatz des Verlages „die Entwicklung und Etablierung einer eigenständigen Kunst- und Publikationsform für das gesprochene Wort und die mündliche Erzählung“.[2]
Stand zu Beginn der Tätigkeit die Edition historischer Originaltonaufnahmen aus den Bereichen Wissenschaft, Philosophie, Literatur und Kunst im Vordergrund, so kamen bald schon eigene Produktionen mit zeitgenössischen Forschern und Denkern hinzu, die seither den Schwerpunkt des Programms ausmachen.
Unter den historischen Editionen mit gesammelten Tondokumente finden sich die Stimmen zahlreicher großer Forscherpersönlichkeiten wie Albert Einstein, Max Planck, Erwin Schrödinger, Lise Meitner, Werner Heisenberg, Max Delbrück, Konrad Lorenz oder Karl von Frisch, aber auch Philosophen und Schriftsteller wie Vilém Flusser, Paul Feyerabend, Gotthard Günther, René König, Gershom Scholem, E. M. Cioran, Konrad Bayer oder Hubert Fichte, sowie der Komponist Arnold Schönberg.
Das eigentliche Markenzeichen von supposé sind die ohne Textvorlage oder Manuskript entstandenen Audio-Erzählungen. Diese basieren auf Interviews und Gesprächen, die Klaus Sander allein oder gemeinsam mit Co-Regisseuren führt und die anschließend zu kohärenten Erzählungen zusammengeschnitten werden. Die Fragen und Gesprächsbeiträge der Produzenten sind auf den Endfassungen nicht zu hören. Die Erzähler und Erzählerinnen berichten zumeist über die Geschichte und Faszination ihres Fachgebiets, ihre eigenen Forschungen, aber auch über ihr Leben und ihren (Forscher-)Alltag. Sie sind immer auch als Porträts der Protagonisten konzipiert.[3]
Nach diesem Verfahren entstanden etwa Produktionen mit dem Chaosforscher Otto E. Rössler, dem Hirnforscher Wolf Singer, dem Informatiker Joseph Weizenbaum, dem Ornithologen Peter Berthold, dem Literaturwissenschaftler Friedrich Kittler, dem Sprachpsychologen Ernst von Glasersfeld, dem Bioniker Werner Nachtigall, dem Quantenphysiker Anton Zeilinger, der Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan, dem Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer, dem Immunologen Stefan H. E. Kaufmann, dem Neurophysiologen Hanns Hatt, dem Bienenforscher Jürgen Tautz, dem Klimaforscher Mojib Latif, dem Evolutionsbiologen Axel Meyer, der Virologin Karin Mölling, dem Neuropsychologen Hinderk M. Emrich, dem Krebsforscher Harald zur Hausen, dem Feuerökologen Johann Georg Goldammer, der Widerstandskämpferin Käthe Sasso, den Gedächtnisforschern Aleida und Jan Assmann, den Skandinavisten Klaus von See, Julia Zernack, Arnulf Krause und Heiko Uecker, den Höhlenforschern Stephan Kempe, Herbert W. Franke und Andreas Pflitsch, dem Entwicklungsbiologen Walter J. Gehring, dem Paläoanthropologen Friedemann Schrenk, dem Weinbauforscher Hans Reiner Schultz, dem Sprachwissenschaftler Ernst Kausen, dem Philosophen Dieter Henrich, dem Schriftsteller Thomas Hürlimann, dem Extremschwimmer André Wiersig und vielen anderen.
In der allgemeinen Rezeption werden die Veröffentlichungen von supposé meist als „Hörbücher“ bezeichnet. Der Verlag selbst verzichtet auf diesen Begriff und spricht stattdessen von „Audio-Editionen“, „Erzählungen“ oder „Audioporträts“. Klaus Sander sieht sein Produktionsverfahren methodisch eher in der Verwandtschaft zum Dokumentarfilm als zum Hörbuch.[4][5]
Im März 2004 wurde supposé innerhalb weniger Tage mit dem Deutschen Hörbuchpreis sowie dem Förderpreis der Kurt-Wolff-Stiftung ausgezeichnet. Die Verleihung des Deutschen Hörbuchpreises erfolgte dabei in der erstmals vergebenen Kategorie „Das besondere Hörbuch“ für das Gesamtprogramm. Laudator Fritz Pleitgen bezeichnete die Edition als „eine akustische Bibliothek modernen Denkens“.[6]
Die damalige Staatsministerin für Kultur Christina Weiss hob in ihrer Laudatio bei der Verleihung des Kurt-Wolff-Preises „die erotische Komponente“ der authentischen Stimmen hervor: „Man hört Leute in eigener Sache reden und nicht nur als die mehr oder minder geschickten Reproduzenten schon vorhandener Texte.“[7]
Spätestens mit der 2007 erschienenen 4-CD-Box Ein Sommer, der bleibt, auf der der Schriftsteller Peter Kurzeck das Dorf seiner Kindheit erzählt, hat Klaus Sander sein bislang weitgehend mit Wissenschaftlern und Philosophen entwickeltes Produktionsverfahren der freien Erzählung auch für die Literatur angewandt. Herausgekommen ist, laut Verlag, „ein Roman, der ausschließlich in akustischer Form existiert“.[8] Diese Publikation rief ein immenses Presseecho hervor. So sprach etwa der Literaturkritiker Hubert Winkels in der Wochenzeitung Die Zeit von einem „literaturhistorischen Ereignis“ und der „Geburt einer neuen Gattung“[9], sein Kollege Denis Scheck von einem „der spannendsten literarischen Projekte der Gegenwart“. Andere Journalisten sahen in Ein Sommer, der bleibt „das erste Hörbuch im eigentlich Sinne“ (Stern), den „Meilenstein in der noch jungen Geschichte des Hörbuchs“ (rbb radio eins) oder auch „ein faszinierendes Gesamtkunstwerk“ (Der Spiegel).[10] Im Januar 2009 wurde die Produktion von der hr2-Hörbuchbestenliste als „Hörbuch des Jahres 2008“ ausgezeichnet.[11]
2008 wählte die Zeitschrift Cicero das Ein-Mann-Unternehmen in ihre Liste der 20 wichtigsten Verlage in Deutschland.[12] Im selben Jahr erschien die Produktion Was tun gegen Krebs? mit dem Krebsforscher Harald zur Hausen, der wenige Wochen später mit dem Nobelpreis für Physiologie und Medizin ausgezeichnet wurde.[13] Dieses Kunststück gelang supposé ein Jahr später erneut: Die Produktion Die Nacht ist aus Tinte gemacht mit der Schriftstellerin Herta Müller erschien 2009 ebenfalls nur wenige Wochen vor Bekanntgabe des Nobelpreises für Literatur.[14]
Als „Hörbuch des Jahres“ ausgezeichnet wurde auch die 2014 erschienene CD Ans Ende kommen, worauf der Kölner Schriftsteller Dieter Wellershoff (zum Zeitpunkt der Aufnahme 88 Jahre alt), aus dem Gespräch mit Thomas Böhm und Klaus Sander heraus, über Altern und Sterben nachdenkt und erzählt.[15]
Im Oktober 2019 wurde supposé mit dem erstmals verliehenen Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet.[16] Am 18. Mai 2020 gab Kulturstaatsministerin Monika Grütters bekannt, dass supposé auch zu den Preisträgern des Deutschen Verlagspreises 2020 zählt.[17]
Am 26. Mai 2021 erhielt die supposé-Produktion Einsiedeln den Deutschen Hörbuchpreis 2021 in der Kategorie "Beste Unterhaltung". Darin erzählt der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann frei sprechend, ohne Manuskriptvorlage den beiden Regisseuren Klaus Sander und Joachim Leser von seiner Internatszeit im Benediktinerkloster.[18]
Auszeichnungen (Auswahl)
- 2004: Deutscher Hörbuchpreis
- 2004: Förderpreis der Kurt-Wolff-Stiftung
- 2009: Hörbuch des Jahres 2008 (Ein Sommer, der bleibt)
- 2015: Hörbuch des Jahres 2014 (Ans Ende kommen)
- 2019: Deutscher Verlagspreis
- 2020: Deutscher Verlagspreis
- 2021: Deutscher Hörbuchpreis (Einsiedeln)
Ausstellungen
- supposé and friends. [sonic]square #3, Kaaitheaterstudio's, Brüssel, Februar/März 2002
- Ritter/Zamet invites supposé. London, Gallery Ritter/Zamet, 8. September bis 1. Oktober 2005[19]
Literatur
- Hilmar Schmundt: Schnappschüsse für die Ohren, in: Der Spiegel, Nr. 19/2005[20]
- Frank Kaspar: Denken ist sexy, in: Theater heute, August/September 2005[21]
- Eva Weidmann: Stimmprobe, in: Capital, Nr. 14/2008, S. 30–33
- Jutta Person: Erklär mir die Biene, in: Literaturen, Nr. 5/2010, S. 52–55[22]
- Gisela Trahms: Klaus Sander und supposé: Die Reize der Mündlichkeit, in: Culturmag, 8. Dezember 2010[23]
- Gisela Trahms: Klaus Sander und supposé (2): Die Ordnung des Feldes, in: Culturmag, 15. Dezember 2010[24]
- Lilli Nitsche & Roger von Heereman: Die Wiederentdeckung der Mündlichkeit, in: Kreuzer spezial, März 2011
- Jörg Plath: Langlebigkeit statt Schnelldreherei, in: Buchreport spezial, 2011, S. 34–35
- Rita Nikolow: Universen erzählen, in: Der Tagesspiegel, 4. Oktober 2011[25]
- Am Tisch mit Klaus Sander, „Zuhörer“. Gastgeber: Ulrich Sonnenschein, hr2 Doppelkopf, 2. März 2012 (Wiederholung: 7. Februar 2017)
- Olaf Krohn: Der Bucht-Bote, 22. Januar 2021[26]
Weblinks
- Internetseite des Verlags
- Wie kommt das Wissen in die Welt? Anke te Heesen und Klaus Sander im Gespräch. HKW Berlin, 9. April 2016 (Video und Audio)
Einzelnachweise
- handeln: Buchmacher – Erklär mir die Biene. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
- Haus der Kulturen der Welt: Wie kommt das Wissen in die Welt? 25. April 2016, abgerufen am 10. Oktober 2019.
- Universen erzählen. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
- Universen erzählen. Abgerufen am 9. November 2019.
- - Erzählung ohne Ende. Abgerufen am 9. November 2019.
- DHP 2004: Der Deutsche Hörbuchpreis. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
- Laudatio Christina Weiss. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
- 4-CD-Box: EIN SOMMER DER BLEIBT. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
- Von Hubert Winkels: Hörbuch: Wie ein ewiger Augenblick. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
- Claudia Voigt: Hörbuch des Jahres: Kalte Fleischwurst für 30 Pfennig. In: Spiegel Online. 22. Dezember 2008 (spiegel.de [abgerufen am 10. Oktober 2019]).
- Hörbuch des Jahres 2008 verliehen. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
- Welcher Buchverlag hat das größte Ansehen? Abgerufen am 10. Oktober 2019.
- Spektrum Nobelpreise 2008. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
- - Die Nobelpreisträgerin als Kind. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
- BuchMarkt Verlag K. Werner GmbH: hr2: „Ans Ende kommen“ und „Nur 1 Tag“ sind die Hörbücher des Jahres 2014. In: BuchMarkt. 26. November 2014, abgerufen am 10. Oktober 2019.
- Die Preisträger - Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
- Die Preisträger 2020 - Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Abgerufen am 26. Mai 2020.
- Preisträger: Der Deutsche Hörbuchpreis. Abgerufen am 27. Mai 2021.
- Ritter/Zamet: Exhibitions. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
- Hilmar Schmundt: HÖRBÜCHER: Schnappschüsse für die Ohren. In: Spiegel Online. Band 19, 9. Mai 2005 (spiegel.de [abgerufen am 10. Oktober 2019]).
- Michael Merschmeier, Der Theaterverlag: Theater heute - Archiv. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
- handeln: Buchmacher – Erklär mir die Biene. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
- Gisela Trahms: Im Porträt: Verleger Klaus Sander. In: CulturMag. 8. Dezember 2010, abgerufen am 10. Oktober 2019.
- Gisela Trahms: Im Porträt: Verleger Klaus Sander (2). In: CulturMag. 15. Dezember 2010, abgerufen am 10. Oktober 2019.
- Universen erzählen. Abgerufen am 10. Oktober 2019.
- Gereift für die Insel. 22. Januar 2021, abgerufen am 27. Mai 2021.