Studiobühne
Eine Studiobühne als Theaterbetrieb oder Theaterspielstätte ist oft einer Ausbildungsstätte, einem Kulturzentrum oder einem größeren Theater angegliedert und dient Theaterkünstlern zu Experimenten und Anfangsrollen. Der Name gilt im übertragenen Sinn auch für Theater im Rahmen der Ausbildung oder experimentelles Theater, Werkstattaufführungen und Ähnliches.
Anfänge
„Studio“ im Sinn eines experimentellen oder avantgardistischen Theaters nannten sich die ersten vier Bühnen des Moskauer Künstlertheaters 1913–1922. Es folgte das legendäre Group Theater von New York City, das von 1931 bis 1941 bestand und den weiteren Verlauf des amerikanischen Theaters wesentlich bestimmte.
In New York war auch das Actors Studio als Werkstatt mit dem Schwerpunkt Schauspielerkunst einflussreich. Die abgeschiedene Werkstatt wurde 1947 von Elia Kazan, Cheryl Crawford und Robert Lewis gegründet und orientierte sich am Group Theater und folglich auch dem Realismus des Moskauer Kunsttheaters von Stanislavsky. Nicht wenige frühe amerikanische Filmikonen wie Marlon Brando, Montgomery Clift, Marilyn Monroe und James Dean aus dieser Tradition hervor.[1] Studio-Workshops oder Werkraumtheater folgten in vielen Städten mit ausgeprägter Theaterkultur.
Eine weitere Konnotation der Studiobühne ist ihre sparsame Ausstattung, die kaum technische Effekte ermöglicht und von den Schauspielern eine Art Kammerspiel erwarten lässt. Der Ausdruck kann auch für Filmsets gebraucht werden.
Renaissance seit den 1960er Jahren
In der Epoche der Studentenrevolte unterstrichen die Bühnen den vorläufigen, Werkstatt-Charakter ihrer Inszenierungen. Die Nähe zu marxistischer Kulturphilosophie ließen sie spüren, etwa durch die Wortwahl Theaterarbeit oder Entfremdung.[2] In Berlin gab es ein Arbeiter-Theater, auch in Finland. Man suchte städtische Orte der Kommunikation, die konventionelle Vorstellungen von Theaterkultur (Museumscharakter, klassisches Repertoire) sprengen sollten. Vor allem der Abstand vom bürgerlichen Abonnentenkreis war vielen Theatermachern wichtig.
Der argentinische Regisseur Víctor Mayol (1948–2007) war 1973 an der Gründung des Teatro-Estudio von Buenos Aires beteiligt und leitete es für mehr als zehn Jahre. Bezeichnenderweise wurde das Haus als "Zentrum der Theaterbildung, -forschung und -produktion" (Centro de formación, investigación y producción teatral) betitelt.[3]
In der deutschsprachigen Tradition galt Peter Weiss als ein wichtiger Vertreter der Studio Bewegung. Sein "Viet Nam Diskurs" aus den Jahren 1967/1968 wurde viel besprochen. Darauf folgte "Trotzki im Exil" (1970).[4]
Räume der Kommunikation
Die Studiobühnen dienten mehreren Zwecken über die Inszenierungen hinaus. Versammlungen diverser Art fanden dort statt: Sitzungen, Improvisation, Diskussion und Jugendclubs sind Beispiele. "Größere Staats- und Stadttheater gingen dazu über, einige ihrer Arbeitsräume wie Probebühnen, Malersäle oder Ausstattungsdepots zeitweilig als zusätzliche Spielstätten zu annektieren."[5] Sie waren auf lokale Resonanz ausgerichtet; Gespräche zwischen Publikum und Künstler nach der Aufführung waren nicht selten.
Die Bewegung zum Studiotheater ist im größeren Zusammenhang der Theatergeschichte des 20. Jahrhunderts zu sehen. Viel wollten "aus den Betonburgen der öffentlichen Theater" heraus, um neue Möglichkeiten in "ausgedienten Lager- oder Messehallen oder stillgelegten Fabrikanlagen" zu suchen.[5]
Als Ausbildungsstätte
Bei der Studiobühne als Teil einer Ausbildungsstätte geht es etwa um das Studium der Rollen und um die Bewältigung der Angst vor dem Publikum. Ein Student lernt zum Beispiel auch mit der Größe eines Theaterraums umzugehen und sich darauf einzustellen.[6]
Anbindung an ein größeres Theater
Mit dem Namen wird manchmal angedeutet, dass die so benannte Spielstätte als Proberaum und Nebenspielstätte einer größeren Bühne genutzt wird: „Die Studiobühne im Schauspielhaus wird zum festen Proben- und Spielort für das Ensemble […]“.[7]
In Wien ist das Akademietheater ein berühmter Teil des Burgtheaters im Sinne von Studiobühne; in München dient der Werkraum als Zusatzbühne für die Kammerspiele. In Stuttgart war das anders; 1969 etablierte sich eine Theatergruppe im Hinterhof eines Gewerbebaus (Hohenheimer Str. 44) und nannte sich Studio Theater Stuttgart. Ihre Bühne und der Zuschauerraum entstanden in Eigenleistung.[8]
Beispiele
- Neue Studiobühne, Baiersbronn/Freudenstadt
- Studiobühne Bayreuth
- Studiobühne am Germanistischen Seminar der Uni-Bonn
- Studiobühne Köln
- Studiobühne Siegburg
- taT-Studiobühne des Stadttheaters Gießen
- hoffmannkeller des Theaters Augsburg
Literatur
- Frank Thiess: Theater ohne Rampe. Stücke für Zimmertheater und Studiobühnen, Wegner, Hamburg 1956.
- Horst Schumacher: Studio, in: Manfred Brauneck, Gérard Schneilin (Hrsg.): Theaterlexikon, Bd. 1, Rowohlt, Reinbek 2007, S. 958–959. ISBN 978-3-499-55673-9.
Einzelnachweise
- Victor Seymour: Directors' Workshop: Six Years' Activity of the Actors Studio Directors Unit. In: Educational Theatre Journal. Band 18, Nr. 1, März 1966, S. 12, doi:10.2307/3205115.
- Christian Stenner: Abseits von Lobbyismus, Networking und „kreativwirtschaftlichem“ Dumbing down. In: korso - Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark. 12. November 2006, archiviert vom Original; abgerufen am 8. Mai 2021.
- Margarita Garrido: La dramaturgia de Neuquén entre vistas: en homenaje a Victor Mayor (1948-2007). Neuquén [Argentina] 2014, ISBN 978-987-604-398-4, S. 14.
- Urs Jenny: Peter Weiss Viet Nam Diskurs im Werkraumtheater Münchener Kammerspiele, Besprechung. In: Theater heute. Band 9, Nr. 8, 1968, S. 37.
- Günther Erken: Theatergeschichte. Stuttgart 2014, ISBN 978-3-15-010996-0, S. 257.
- Musik und Hochschule: 200 Jahre akademische Musikausbildung in Würzburg, Seite 117, Verlag Königshausen und Neumann, 1997, ISBN 3826014375, bei Google Books, abgerufen am 15. Februar 2015
- Theater heute, 13:1972, S. 56.
- Homepage. In: Studiotheater Stuttgart. 1. Januar 2021, archiviert vom Original; abgerufen am 8. Mai 2021.