Strukturelle Induktion

Die strukturelle Induktion ist ein Beweisverfahren, das unter anderem in der Logik, der theoretischen Informatik und der Graphentheorie eingesetzt wird. Es handelt sich um eine allgemeinere Form der vollständigen Induktion. Mit dem Verfahren lassen sich Aussagen über die Elemente von rekursiv aufgebauten Mengen (zum Beispiel Mengen von Listen, Formeln, Graphen) beweisen.

Bei der vollständigen Induktion werden Eigenschaften der natürlichen Zahlen bewiesen; bei der strukturellen Induktion werden Eigenschaften für Mengen bewiesen, deren Elemente aus Grundelementen durch eine endliche Anzahl von Konstruktionsschritten (unter Verwendung bereits konstruierter Elemente) bzw. mittels eines Erzeugungssystems entstehen. Es gibt also minimale (auch: einfachste oder Grund-)Elemente und rekursiv definierte (oder: rekursiv gebildete) Elemente der Menge. Bei den natürlichen Zahlen ist das Grundelement (oder , je nach Definition der natürlichen Zahlen) und der Konstruktionsschritt ist der Übergang von einer Zahl zur Zahl .

Um eine Aussage für die Elemente einer Menge zu beweisen, zeigt man im Induktionsanfang die Gültigkeit der Aussage für die einfachsten Elemente und im Induktionsschluss die Gültigkeit der Aussage für die rekursiv gebildeten Elemente unter der Voraussetzung, dass die Aussage für die in der Konstruktion verwendeten Elemente gilt. Ist beides erfüllt, so gilt die Aussage für alle Elemente. Man führt die Induktion also über den strukturellen Aufbau der Elemente.

Strukturelle Induktion i​st ein Spezialfall d​er Induktion für Mengen m​it einer wohlfundierten (partiellen) Ordnung.

Beispiel für eine Definition durch strukturelle Induktion

Die Menge der aussagenlogischen Formeln lässt sich mittels struktureller Induktion wie folgt definieren:

Induktionsanfang: Falls eine atomare aussagenlogische Formel ist, ist eine aussagenlogische Formel.
Induktionsschritt 1: Falls eine aussagenlogische Formel ist, ist auch eine aussagenlogische Formel.
Induktionsschritt 2: Falls und aussagenlogische Formeln sind, ist auch eine aussagenlogische Formel.
Induktionsschritt 3: Falls und aussagenlogische Formeln sind, ist auch eine aussagenlogische Formel.
Induktionsschritt 4: Falls und aussagenlogische Formeln sind, ist auch eine aussagenlogische Formel.
Induktionsschritt 5: Falls und aussagenlogische Formeln sind, ist auch eine aussagenlogische Formel.

Nach dieser Definition s​ind z. B. d​ie folgenden Terme aussagenlogische Formeln:

Weitere Beispiele für Definitionen d​urch strukturelle Induktion finden s​ich in d​en Artikeln Elementare Sprache u​nd Wort (Theoretische Informatik) (Definition d​er Spiegelung).

Beispiel für einen Beweis durch strukturelle Induktion

Bewiesen w​ird der Satz:

Für jede aussagenlogische Formel gibt es eine äquivalente aussagenlogische Formel , in der als einzige Operatoren und vorkommen.

Der Beweis:

Induktionsanfang: Falls für eine atomare aussagenlogische Formel ist, ist .
Induktionsschritt 1: Falls für eine aussagenlogische Formel gilt, ist .
Induktionsschritt 2: Falls für aussagenlogische Formeln und gilt, ist .
Induktionsschritt 3: Falls für aussagenlogische Formeln und gilt, ist .
Induktionsschritt 4: Falls für aussagenlogische Formeln und gilt, ist .
Induktionsschritt 5: Falls für aussagenlogische Formeln und gilt, ist .

Das Gleichheitszeichen steht hier für syntaktische Gleichheit, d. h. Gleichheit Zeichen für Zeichen. In jedem Induktionsschritt wird vorausgesetzt, dass für und jeweils die äquivalenten Formeln und existieren, die nur und verwenden (Induktionsvoraussetzung).

In einer konkreten Konstruktion kann man die Beweisschritte auch in der umgekehrten Reihenfolge, also „von außen nach innen“, anwenden. Für die mittlere der oben angegebenen aussagenlogischen Formeln gelten z. B. die folgenden Äquivalenzen:

Die Anwendungen des Induktionsschritts 1 und des Induktionsanfangs sind hier leer, d. h., sie verändern den Term nicht. (Bei der ersten oben angegebenen Formel wären alle Induktionsschritte und der Induktionsanfang leer.) Dass sich die letzte Formel noch zu vereinfachen lässt, ist hier übrigens unerheblich.

Literatur

  • Hartmut Ehrig, Bernd Mahr, F. Cornelius, Martin Große-Rhode, P. Zeitz: Mathematisch-strukturelle Grundlagen der Informatik. Springer, 2013, S. 162–168
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