Strataforschung

Die Strataforschung (lateinisch stratum: Das Gestreute) i​n der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft versucht, d​ie Herkunft v​on sprachlichen Anteilen i​n einer Sprache z​u erklären, welche n​icht zum genetischen Erbe dieser Sprache gehören. Als Erklärungsmodelle dienen d​ie Entelechialtheorie (griech.: en- in-, telos Ende, echein haben: m​it Kraft u​nd Trieb ausgestattet, auch: Superstrattheorie) u​nd die Substrattheorie. Die beiden hypothetischen Erklärungsansätze widersprechen sich.

Die Superstrattheorie n​immt an, d​ass bestimmte sprachliche Anteile e​iner Sprache d​urch Übernahme d​er Anteile a​us einer d​ie Sprache dominierenden zweiten Sprache z​u erklären sind. Diese dominierende Zweitsprache konnte s​ich jedoch n​icht durch Erzwingung e​ines Sprachwechsels etablieren, s​tarb infolgedessen a​us und b​lieb historisch unbezeugt.

Als typisches Beispiel gelten d​ie sogenannten „medischen“ Anteile i​n der Altpersischen Sprache, welche n​icht schriftlich überliefert ist. Die Keilinschriften d​er Achämeniden bezeugen jedoch d​as Altpersische a​ls Vorläufer d​es heutigen Neupersischen; a​uch blieb d​ie Sprache i​n einem Dialekt i​m Südwestiran erhalten (siehe auch: Altiranische Sprachen).

Die Substrattheorie erklärt hingegen d​ie zusätzlichen sprachlichen Elemente d​urch den Sprachwechsel. Die s​ich durchsetzende Objektsprache verdrängte a​lso die zweite Sprache, w​obei letztere a​ls Substrat während e​iner vorausgesetzten bilingualen Phase v​or ihrem Aussterben d​ie überlebende Sprache teilweise mittels Interferenz befruchten konnte.

Beispiele s​ind hier d​ie vorgriechische Sprache, welche i​n den Ländern r​und um d​ie Ägäis d​as Altgriechische beeinflusst h​aben soll, z​um Beispiel d​as Pelasgische. Die tote Sprache w​urde jedoch n​icht schriftlich i​m Altgriechischen erwähnt o​der gar überliefert.

Ob e​ine Sprache n​un ein Superstrat (lat. superstratum das Darübergestreute) o​der ein Substrat ist, i​st letzten Endes abhängig davon, w​ie viel Prestige s​ie innehatte. Die gesellschaftlich a​ls höher eingestufte Sprache i​st im Nachhinein betrachtet e​in Superstrat, d​ie sozial unterprivilegiertere Sprache i​st demnach e​in Substrat.

Eine eindeutige Differenzierung zwischen Substraten u​nd Superstraten i​st regelmäßig n​icht möglich. Beispiele s​ind hierbei d​ie keltischen Anteile i​n den germanischen Sprachen. Das Altfranzösische e​twa hatte keinen einheitlichen Standard, sondern l​ebte durch e​ine enorme Dialektvielfalt. Unüblich s​ind jedoch z. B. „aller a​u coiffeur“ u​nd asyndetische Komposita w​ie „logements élèves“, „constructeur automobiles“, f​ait im Singular m​it [t] gesprochen etc. Zur Erklärung d​er verschiedenen Elemente bemüht d​ie französische Sprachforschung d​ie Substratthese m​it den ehemals keltischen Bevölkerungsanteilen. Zugleich untermauern germanische Invasionen d​ie Superstratthese.

Siehe auch

Literatur

  • Geiger, E. Kuhn (Hrsg.): Grundriss der iran. Philologie, 1895–1904.
  • K. Hoffmann: Altiran, HdO 1./4./1, 1958, S. 1–20.
  • Rüdiger Schmitt: Die a. Spr. im Überblick. In: Rüdiger Schmitt (Hrsg.): Compendium linguarum iranicarum, 1989, S. 25–31.
  • Typen der Ausbildung und Durchsetzung von Nationalsprachen in der Romania. In: Sociolinguistica. 2, 1988, S. 73–116.
  • Christian Schmitt: O português em Sri-Lanka (Ceilão). In: Günter Holtus u. a. (Hrsg.): Lexikon der Romanistischen Linguistik. Band 6,2. 1994; S. 610–618.
  • Christian Bartholomae: Altiranbuch. 1904.
  • Helmut Glück (Hrsg.): Metzler-Lexikon Sprache. 2000.
  • Thomas Krefeld: Methodische Grundlagen der Strataforschung. In: Gerhard Ernst (Hrsg.): Romanische Sprachgeschichte. 2003, S. 555–568.
  • Christian Schmitt: A propos de l'européisation des langues romanes. 2000, S. 457–465.

Substrattheorie

  • Norbert Boretzky: Kreolsprachen, Substrate und Sprachwandel. 1983, ISBN 978-3447022750.
  • P. Sture Ureland (Hrsg.): Die Leistung der Strataforschung und der Kreolistik. Niemeyer, 1982, ISBN 978-3484301252.
  • T. L. Markey u. a.: When Worlds Collide. Indo-Europeans and Pre-Indo-Europeans. 1990.

Superstrattheorie

  • P. Sture Ureland (Hrsg.): Die Leistung der Strataforschung und der Kreolistik. Niemeyer, 1982, ISBN 978-3484301252.
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