Somnium (Kepler)
Somnium oder Der Traum vom Mond ist eine utopische Geschichte des deutschen Astronomen Johannes Kepler aus dem Jahr 1609. Man kann Somnium als erste Science-Fiction-Erzählung bezeichnen, denn die in lateinischer Sprache verfasste Kurzgeschichte beschreibt eine mögliche Mondzivilisation aus wissenschaftlicher Perspektive.[1] Das stetig erweiterte Manuskript wurde erst 1634 postum von seinem Sohn Ludwig Kepler[2] in Buchform veröffentlicht.
Carl Sagan und Isaac Asimov bezeichneten es als eines der frühesten Werke der Science Fiction.
Hintergrund
Bereits rund 50 Jahre zuvor hatte sein Landsmann Nikolaus Kopernikus in seinem Hauptwerk De revolutionibus orbium coelestium ein heliozentrisches Weltbild beschrieben und damit die Kopernikanische Wende ausgelöst. Demnach ist die Erde ein Planet, der sich mit anderen Planeten auf Bahnen um die Sonne dreht.
Kepler begann die Niederschrift von Somnium im Jahr 1609 in Prag. Schon als Student der Theologie in Tübingen hatte sich Kepler mit dem Mond beschäftigt. In einer Disputation, die er mit Anfang 20 verfasste, hatte er Thesen formuliert, in denen er auch über angebliche Lebewesen auf dem Mond scherzte. Mit seiner Kurzgeschichte wollte er nun einen Parallelismus aufzeigen. Ebenso wie die Erde sich um die Sonne dreht, so rotiert auch der Mond um die Erde. Und wie wir Erdenbewohner die Rotation der Erde und ihre Bewegung um die Sonne nicht spüren, so könne seinerseits ein lunarer Beobachter annehmen, der Mond stehe still und die Erde drehe sich um ihn.
Bestärkt wurde Kepler durch die zeitgleichen Beobachtungen seines Zeitgenossen Galileo Galilei, der den Erdtrabanten erstmals 1609 mithilfe eines neuen optischen Instruments untersuchte, des Fernrohrs. Der italienische Astronom erkannte auf der vormalig flachen „Himmelsscheibe“ eine unebene Welt mit Kratern, Gebirgen und Tiefebenen (Mare). Galileo veröffentlichte seine Beobachtungen im März 1610 unter dem Titel Sidereus Nuncius.
Um das Jahr 1621, als Kepler nach Linz zurückkehrte, bearbeitete er seinen Traum und fügte erläuternde Fußnoten und Ergänzungen hinzu. Die märchenhafte Erzählung wurde 1634 postum von seinem Sohn Ludwig Kepler veröffentlicht[3] und erst 1871 in einer Zeitschrift von Edmund Reitlinger[4] und 1898 als Monografie von Ludwig Günther[5] teilweise ins Deutsche übersetzt. Erst 2011 erschien eine vollständige, von Beatrix Langner herausgegebene Übersetzung.[6]
Rezeption
- 1640: Der englische Bischof John Wilkins verfasste als Reaktion auf Kopernikus, Kepler und Galilei seine Schrift The Discovery of a New World, Or, A Discourse Tending to Prove, that 'tis Probable There May be Another Habitable World in the Moone. Darin erörtert er die Möglichkeit, den Mond in naher Zukunft zu bereisen und zu besiedeln.
- 1933: In der Mondutopie Zwei im andern Land des Berliner Rabbiners Martin Salomonski wandert die „Gesamtjudenheit“ während einer Mondfinsternis über die von Kepler beschriebene „Erdbrücke“ zum Mond aus, wo bereits seit Jahrtausenden eine lunare Diaspora existiert.
- 1955: In dem von Walt Disney verantworteten Fernsehprogramm Disneyland: Man and the Moon vom 28. Dezember 1955 wird in einer 15-minütigen Einleitung die Kulturgeschichte des Mondes anhand eines humorvollen Trickfilms rekapituliert. Auch Keplers Traum wird als kurze Trickfilmsequenz geschildert: Kepler sitzt in seinem Bett und verfasst einen Text über den Mond. Während der Niederschrift ereignet sich eine Sonnenfinsternis und er schläft ein. Da tauchen vier Zwerge („Monddämonen“) an seinem Fenster auf und tragen das Bett mit dem schlafenden Mathematiker auf dem Mondschatten (der sogenannten Keplerbrücke) zur Mondoberfläche. Dort erwacht Kepler und trifft auf ein seltsames Wesen, das aus nur einem Auge auf zwei Beinen besteht. Beide beobachten sich gegenseitig durch ein Fernrohr. Kepler ist fasziniert und staunt: „Amazing“.
- 1983: Die US-amerikanische Band Mannheim Steamroller ließ sich für ihr Album Fresh Aire V von Keplers Mondgeschichte inspirieren.
- 1983: Der vom Schweizer Astronomen Paul Wild entdeckte Asteroid (3258) Somnium ist nach Johannes Keplers Schrift benannt.
Ausgaben
- Ludwig Günther: Keplers Traum oder die Astronomie des Mondes, Leipzig 1898. (Digitale Ausgabe von 2013)
- Johannes Kepler: Der Traum, oder: Mond-Astronomie. Somnium sive astronomia lunaris. Aus dem Lateinischen von Hans Bungarten und mit einem Leitfaden für Mondreisende von Beatrix Langner. Matthes & Seitz Berlin 2011, ISBN 978-3-88221-626-4.
Literatur
- Gale E. Christianson: Kepler's Somnium: Science Fiction and the Renaissance Scientist. Science Fiction Studies, Nr. 8 = Volume 3, Part 1 = March 1976.
Weblinks
- Helmut Mayer: Im Schatten der Erde fliegen die Dämonen. 2011.
Einzelnachweise
- Marie-Luise Heuser: Transterrestrik in der Renaissance. Nikolaus von Kues, Giordano Bruno und Johannes Kepler. In: M. Schetsche, M. Engelbrecht (Hrsg.): Menschen und Außerirdische. Kulturwissenschaftliche Blicke auf eine abenteuerliche Beziehung. Bielefeld (Transcript-Verlag) 2008, S. 55–79.
- Deutsche Biographie: Kepler, Ludwig.
- Max E. Lippitsch: Mysterium cosmographicum: Katalog zu steirischen Ausstellungen im internationalen Jahr der Astronomie 2009. S. 292 f.
- Edward Rosen (Hrsg.): Kepler’s Somnium: The Dream, Or Posthumous Work on Lunar Astronomy. Verlag Courier Corporation, 1967, S. 242.
- Keplers Traum vom Mond. Übersetzt und kommentiert von Ludwig Günther, Leipzig 1898, Digitale Neuausgabe (HeiDOK). PDF; 5,2 MB (200 S.).
- Verlag Matthes & Seitz Berlin: Der Traum, oder: Mond-Astronomie. (Abgerufen am 17. Februar 2021.)