Skitour-Unglück im Wallis (2018)
Bei einem Skitour-Unglück im Wallis nahe der italienischen Grenze starben Ende April 2018 sieben Menschen. 14 Skitourengänger gerieten am Sonntag, den 29. April, in ein Unwetter, als sie auf der Route La Serpentine unterwegs waren. Sie brachen bei der Berghütte Cabane des Dix 2928 m ü. M. auf und wollten die Cabane des Vignettes (3160 m) erreichen. Die Gruppe war in der Nähe des Pigne d’Arolla unterwegs, als Nebel, starker Wind und Schneefall auftraten. Die Strecke zwischen den beiden Hütten gilt als anspruchsvoll, führt durch Gletschergebiet, hat etwa 980 Höhenmeter im Aufstieg und ist über 8 Kilometer lang. Über mehrere Kilometer hinweg befindet man sich oberhalb von 3600 Meter Höhe.[1]
Während mehrere Todesopfer bei Lawinen-Unglücken nicht aussergewöhnlich sind, sorgte der Unterkühlungstod so vieler Tourengeher für Aufsehen.[2]
Ablauf der Ereignisse
Die vierzehn Tourengeher gehörten zu zwei Gruppen, die in der Dix-Hütte übernachteten. Etwa um 6 Uhr 30 brachen alle Beteiligten auf. Vier Personen waren Franzosen und ohne Bergführer unterwegs. Zehn der Alpinisten waren mit einem im Tessiner Muggiotal wohnhaften, aus Italien stammenden Bergführer unterwegs. Er leitete ein alpinistisch orientiertes Reisebüro. Der Bergführer war sehr erfahren und hatte bereits vier der sogenannten Seven Summits sowie drei Achttausender bestiegen. Dazu wiesen mehrere Teilnehmer dieser Gruppe langjährige Erfahrung mit Skitouren auf; einer von ihnen hatte im Jahr zuvor den 6960 m hohen Aconcagua bestiegen. Sie beschäftigten den Bergführer primär für die Organisation der mehrtägigen Begehung der sogenannten Haute Route; kürzere Touren hätten sie in eigener Regie unternommen.
Für die Zehnergruppe handelte es sich um den zweitletzten Tag auf der Haute Route, die von Chamonix nach Zermatt führt. Zwischen der Dix- und der Vignettes-Hütte liegt der höchstgelegene und der dem Wetter am stärksten ausgesetzte Teil der Strecke.[3][2]
Ein aus Italien stammender Überlebender berichtete, die Temperatur sei in der Nacht auf Montag auf −5 °C bis −10 °C gesunken,[4] und sie hätten aufgrund der schlechten Sicht mehrmals die Orientierung verloren.[3] Nach der Aussage eines Teilnehmers hatte der Bergführer kein eigentliches GPS-Gerät dabei, welches im Nebel hilfreich gewesen wäre. Er navigierte jedoch mit einer GPS-App auf seinem Mobiltelefon, was unter Bergführern üblich sei. Ein Teilnehmer führte ein GPS-Gerät mit, auf dem allerdings die Sommer- anstelle der Winter-Route abgespeichert war. Es gibt Hinweise darauf, dass das Mobiltelefon des Bergführers nicht wie gewünscht funktionierte. Zwischen 11 und 12 Uhr trafen die Alpinisten im Gipfelbereich des Pigne d'Arolla ein. Von dort aus beträgt die Strecke zur Vignettes-Hütte weniger als 3 km, mit noch 100 Höhenmeter Aufstieg und 700 Höhenmeter Abstieg.[5]
Da die Sicht zu schlecht wurde, verzichtete man auf eine Pause und setzte die Route zu Fuss, mit Steigeisen, fort. In den folgenden Stunden versuchten die Leute erfolglos, in einem abschüssigen vergletscherten Gelände, bei nur wenigen Metern Sichtweite, die Vignettes-Hütte zu finden. Das Steinmännchen, das bei guter Sicht den Weg zur Vignettes-Hütte weist, fanden sie nicht. Ohne diesen Wegweiser neigen Tourengeher dazu, intuitiv der Falllinie entlang abzusteigen; doch ist es so bis zur Hütte deutlich mühsamer als auf dem weiteren Weg. Wegen Batterieproblemen konnte der Bergführer sein Satelliten-Telefon nicht benutzen.[2] Dem Bericht eines Überlebenden nach mussten sie vier Mal umkehren, da sie den richtigen Weg nicht fanden.
Tatsächlich lag die Unglücksstelle nur rund 400 Meter entfernt von der rettenden Vignettes-Hütte auf 3270 m Höhe.[4] Am Montagmorgen um 6.30 Uhr vernahm ein Alpinist Hilferufe, und der Hüttenwart der Vignettes-Hütte alarmierte die Rettungskräfte. Laut diesen war der Boden am Unglücksort hart wie Beton; daher hatte die Gruppe sich gar nicht in den Schnee eingraben können, um Schutz vor dem Wetter zu suchen. Als die Rettungskräfte mit dem Hubschrauber am Ort eintrafen, war der Bergführer bereits durch einen Sturz ums Leben gekommen. Laut Tourteilnehmern hatte er die Gruppe verlassen, um Hilfe zu holen. Seine Leiche wurde direkt unterhalb des Platzes gefunden, wo der Rest der Alpinisten gewartet hatte.[4][2] Mit insgesamt sieben Hubschraubern von Air-Glaciers, Air Zermatt und Rega wurden die zum Teil kritisch unterkühlten Personen geborgen. Gegen 12.30 Uhr befanden sich alle Teilnehmer in Kliniken. Dort starben im weiteren Verlauf sechs der Tourengänger, darunter auch die Frau des Bergführers.
Da Hütten-Übernachtungen nicht zuletzt zur Sicherheit der Tourengänger im Voraus angemeldet werden müssen, sorgte die späte Alarmierung der Rettungskräfte bei manchen Experten für Erstaunen. Laut dem Magazin Outside wollte der Bergführer ursprünglich die Nacamuli-Hütte ansteuern und entschied sich dann aufgrund der Wetterprognosen, die Vignettes-Hütte aufzusuchen. Die schlechte Wetterentwicklung war zumindest einem Teil der Teilnehmer bekannt.[2]
In derselben Wetterlage starben am Mönch zwei junge Alpinisten ebenfalls an Unterkühlung. Bei beiden Unglücken wurde die Suche nach Überlebenden durch die Wetterverhältnisse behindert. Ebenso starb am Monte Rosa ein Alpinist an Unterkühlung.[2]
Wetterentwicklung während des Unglücks
Föhnlagen führen am Alpensüdrand aufgrund der Staulage zu Wolkenbildung und lokalen Niederschlägen die teils bis über den Alpenhauptkamm hinaus reichen. In den Hochlagen entlang des Hauptkamms und der Gipfel bedeuten die Wolken dichten Nebel. Das Ende des Föhnwindes ist ein sicheres Anzeichen für einen Wettersturz.
In einem Editorial schilderte der bekannte Meteorologe Jörg Kachelmann die Wetterentwicklung. Sämtliche verfügbaren Wettermodelle hätten bereits am 26. April für den Abend des 29. April das Ende des Föhnwindes korrekt vorausberechnet. Ebenso sagten die Prognosen vom 27. April das Wetter in der Region Arolla wie folgt – und zutreffend – voraus:
- 7 Uhr: Windböen mit 50–75 km/h
- Mittag: erste Windböen mit 100 km/h
- 13 Uhr: Wind nimmt zu, mässiger Schneefall
- 17 Uhr: Noch relativ milde Temperaturen für diese Höhe (0 bis −4 °C), jedoch muss dabei der wind chill berücksichtigt werden
- 19 Uhr: Starker Schneefall (5–6 cm Neuschnee in einer Stunde)
- 20 Uhr: Windböen mit rund 200 km/h, gegen 21 Uhr zwischen 10 und 12 cm Neuschnee in einer Stunde
- Nach Mitternacht: Wind flaut ab, Schneefall hört auf, jedoch Temperatursturz auf −10 °C[6]
Laut dem Wetterarchiv des Anbieters Meteoblue wurden für den ganzen 29. April und den Ort der Vignettes-Hütte 42,5 mm Niederschlag, ein durchschnittlicher Wind von 60 km/h und eine durchschnittliche Temperatur von 2 °C vorausgesagt.[7]
Ursachen des Unglücks
Unter Alpinismus-Experten wurde vor allem die Frage aufgeworfen, warum keiner der zum Teil sehr erfahrenen Teilnehmer die Entscheidungen des Bergführers hinterfragt hatte, obwohl sich das Wetter zunehmend verschlechtert hatte. Der Bergführer hatte seine Absichten und Informationen kaum den anderen Teilnehmern mitgeteilt; die Organisation, Planung und Führung der Gruppe lag alleinig bei ihm. Als die Skitourengänger bei der Dix-Hütte aufbrachen, entschieden sich mehrere Gruppen in der Vignettes-Hütte zur Abfahrt nach Arolla, anstelle auf grosser Höhe nach Zermatt weiterzugehen. Grund dafür waren die dortigen Sicht- und Windverhältnisse, die bereits am Morgen des 29. April schlecht waren. Es bleibt offen, warum der Bergführer keine telefonische Auskunft bei der Vignettes-Hütte eingeholt hatte. Die Recherchen des Magazins Outside legen nahe, dass das zunächst recht gute Wetter bei der Dix-Hütte die Bedenken entkräftete.[2]
Nebensächlich war, dass die Teilnehmer nicht für eine notfallmässige Übernachtung im Freien ausgerüstet waren. (Während in den USA die Unterkünfte in aller Regel weiter auseinander liegen und schlechter ausgestattet sind, was ein höheres Mass an Autonomie erfordert, können europäische Alpinisten mit leichterer Ausrüstung unterwegs sein.) Ein weiterer Punkt ist, dass der Bergführer keine redundanten Orientierungshilfen mitführte.[2]
Da in der französischen Gruppe keine Todesopfer zu beklagen waren, steht die Möglichkeit im Raum, dass diese besser auf eine Wetterverschlechterung vorbereitet war.
Opfer
Laut Pressemitteilungen der Walliser Kantonspolizei:[8]
- Fünf Personen erlitten eine leichte Unterkühlung. Es handelt sich um drei Franzosen (55, 57 und 58 Jahre alt), eine Deutsche (48) und einen Italiener (50).
- Der 59 Jahre alte Führer der Zehnergruppe starb vor Ort durch einen Sturz.
- Im Krankenhaus sind zwei Paare aus Italien verstorben, ebenso eine 52-jährige Bulgarin und eine 42 Jahre alte Italienerin.
Siehe auch
- Notrufkanal der Schweizerischen Rettungsflugwacht
- Trekking-Unglück am Thorong La, Nepal, im Jahr (2014), mit 43 Toten. Damals bestand keine Möglichkeit, die Warnung vor dem unüblich schweren Wintereinbruch rechtzeitig an die lokalen Guides weiterzuleiten.
Weblinks
- Disaster in the Alps. In: Outside. 13. September 2018, abgerufen am 31. März 2019. Reportage über das Unglück (englisch).
Einzelnachweise
- Routen 460d und 460a gemäss Schweizer Skitourenkarte, die von SAC und Swisstopo herausgegeben wird
- Disaster in the Alps. In: Outside. 13. September 2018, abgerufen am 31. März 2019.
- Tommaso P. überlebte die Horror-Nacht am Berg: «Jetzt weiss ich, was die Hölle ist». In: Aargauer Zeitung / watson.ch. 2. Mai 2018, abgerufen am 3. Mai 2018.
- Unglück im Wallis: Umgekommener Bergführer liess Skitourengruppe nicht im Stich. In: Neue Zürcher Zeitung. 3. Mai 2018, abgerufen am 3. Mai 2018.
- nach Skitourenkarte auf map.geo.admin.ch
- Jörg Kachelmann: Von überraschenden Schneestürmen und der Wahrheit. 4. Mai 2018, abgerufen am 4. Mai 2018.
- Wetterarchiv Pointe des Vignettes. In: meteoblue.com. 3. Mai 2018, abgerufen am 4. Mai 2018.
- Communiqués pour les médias. In: Kantonspolizei Wallis. Abgerufen am 4. Mai 2018. (siehe 1. Mai und 2. Mai 2018)