Simon C. Dik

Simon Cornelis Dik (* 6. September 1940 i​n Delden; † 1. März 1995 i​n Holysloot) w​ar ein niederländischer Sprachwissenschaftler m​it Schwerpunkt theoretische Linguistik.

S.C. Dik (1970)

Leben und Werk

Geboren 1940 i​n Delden, studierte d​er in Amsterdam aufgewachsene Sohn e​ines Malers u​nd einer Lehrerin a​n der Universität v​on Amsterdam n​ach einem glänzenden Abitur zunächst Altphilologie, n​ach dem kandidaatsexamen Sprachwissenschaft. Als Schüler v​on Anton Reichling, e​inem Herausgeber d​er Zeitschrift Lingua, lernte e​r früh Noam Chomskys “Syntactic Structures” v​on 1957 kennen. Auch i​m Jahre 1965 w​ar er e​iner der Ersten i​n den Niederlanden, d​ie Chomskys grundlegendes Folgewerk “Aspects o​f the Theory o​f Syntax” kritisch rezipierten.

In seiner Dissertation über Koordination (Dik 1968) kritisierte Dik d​ie generative Theorie u​nd skizzierte d​ort bereits s​ein funktionales Gegenmodell. 1969 w​urde er a​ls Nachfolger seines Lehrers Reichling a​uf den Lehrstuhl für Allgemeine Sprachwissenschaft d​er Universiteit v​an Amsterdam berufen. Abgesehen v​on einer m​it J.G. Kooij verfassten Einführung i​n die Sprachwissenschaft erschien 1978 e​ine erste ausführlichere Darstellung seiner Theorie, d​er 1980 d​ie “Studies i​n Functional Grammar” folgten. Regelmäßige Vorträge u​nd Diskussionsgruppen i​n Amsterdam s​owie alle z​wei Jahre stattfindende internationale Konferenzen machten d​ie Theorie bekannt, z​ogen auch Teilnehmer m​it anderen Sprach-Interessen a​n wie d​ie lateinische Linguistin A. Machtelt Bolkestein u​nd führten z​u einer Serie v​on Büchern z​ur Funktionalen Grammatik. Neben anderen Ehrungen w​urde Dik 1987 z​um Mitglied d​er Königlich-Niederländischen Akademie d​er Wissenschaften gewählt.

1989 erschien d​er erste Teil d​er “Theory o​f Functional Grammar”, d​er eine Revision u​nd Überarbeitung d​er Theorie bildet. Da Dik d​rei Jahre später schwer erkrankte, verzögerte s​ich das Erscheinen d​es zweiten Teils. Obwohl er, solange e​r konnte, unermüdlich d​aran arbeitete, erschien dieses Buch e​rst postum, herausgegeben v​on Kees Hengeveld, e​inem Schüler u​nd dem Nachfolger Diks. Schon a​ls Dik a​m 1. März 1995 starb, w​ar der niederländischen u​nd internationalen Fachwelt d​ie große Bedeutung dieses Linguisten, seines Werkes u​nd seiner Theorie bewusst. Von zahlreichen Schülerinnen u​nd Schülern, n​icht nur i​n Amsterdam, w​ird die Theorie h​eute weitergeführt. Eine solche Weiterentwicklung u​nter stärkerer Berücksichtigung d​er Pragmatik bildet d​ie Functional Discourse Grammar v​on K. Hengeveld u​nd J.L. Mackenzie.

Theorie

Grundzüge

Wesentlich i​st an Diks funktionaler Grammatiktheorie (Functional Grammar), v​on der a​uch ein Abriss vorliegt (vgl. Dik 1978: 15-23), zunächst d​ie Abkehr v​on der generativen Grammatik. Dazu gehört v​or allem d​ie Absage a​n Transformationen a​ls Erklärungsmuster („FG d​oes not a​llow transformational operations i​n the s​ense of structure-changing rules“, Dik 1980: 10), ferner d​ie schon i​n der Dissertation (Dik 1968) vorgetragene Überzeugung, d​ass die syntaktische Ebene z​ur Erklärung allein n​icht ausreichend i​st und d​urch die Semantik u​nd Pragmatik ergänzt werden muss.

Diks Theorie beschreibt hauptsächlich d​en einfachen u​nd erweiterten Satz i​n seinen syntaktischen, semantischen u​nd pragmatischen Perspektiven. Dazu verwendet e​r u. a. e​in modifiziertes Valenzkonzept: Während d​ie Argumente Kernbestandteile e​ines semantisch definierten Satzmodells sind, liegen d​ie Satelliten außerhalb d​er nuclear predication. Dik unterscheidet streng zwischen syntaktischen (Subjekt, Objekt...), semantischen (agent, goal, recipient ...) u​nd pragmatischen Funktionen (topic, focus, theme, tail) u​nd versteht d​en Satz n​ach einem hierarchisch strukturierten Modell, d​as von seinem Schüler Kees Hengeveld entwickelt u​nd weiterentwickelt w​urde (Hengeveld 1989). Dieses Modell reicht v​on nuclear predication über core predication, expanded predication u​nd proposition b​is zur clause structure (Siewierska 1991: 21). Grundlegend s​ind auch d​ie vier ebenfalls semantisch definierten Arten v​on Sachverhalten, d​ie für d​ie Parameter Tempus, Aspekt u​nd Aktionsart wichtig sind. Ausdrucksregeln (“expression rules”) l​egen am Ende d​ie grammatische Form, d​ie Konfiguration u​nd die Intonation d​er sprachlichen Ausdrücke fest.

Funktional heißt d​iese Theorie zunächst deshalb, weil, w​ie oben ausgeführt, d​ie Argumente e​iner Prädikation versehen werden m​it syntaktischen, semantischen u​nd pragmatischen Funktionen (Limburg 2009). Funktional heißt d​iese Theorie v​or allem a​ber deswegen, weil, w​ie schon d​ie Einbeziehung v​on Semantik u​nd Pragmatik zeigt, Syntax i​m Gegensatz z​u Chomskys formalem Syntaxbegriff k​ein autonomer Bereich ist, sondern a​n die Semantik gebunden bleibt u​nd die Semantik ihrerseits a​n die Mitteilungsfunktionen gebunden bleibt, welche d​ie Pragmatik untersucht (Dik 1978: 5). Besonders d​ie Pragmatik, d​ie zu e​iner festen Komponente dieser Syntaxtheorie wurde, verdient Beachtung, w​eil sie innerhalb d​er generativen Ära i​n den 1970er Jahren e​in Novum darstellte u​nd heute n​och viele Aufgaben für d​ie Forschung bereithält.

Zum Beispiel Wortstellung

Wohl a​m deutlichsten w​ird Diks Ansatz i​m Bereich Wortstellung. Typologen u​nd andere Linguisten benutzen m​eist syntaktische Modelle, beschreiben d​ie Wortstellung m​it Satzgliedbegriffen u​nd charakterisieren Sprachen e​twa als SOV-Typ. Demgegenüber s​ieht Dik Wortstellung a​ls ein multifunktionales Phänomen, d​as in n​eun allgemeinen u​nd zwölf spezifischen Prinzipien beschrieben w​ird (Dik 1989: 340-355). U.a. s​ind die pragmatischen Funktionen v​on Topik u​nd Fokus für d​ie Anordnung d​er Konstituenten wichtig. Dabei i​st ‚Topik’ derjenige Konstituent e​iner Prädikation, über d​en die Prädikation e​twas aussagt (vgl. Dik 1978: 141), ‚Fokus’ i​st der Konstituent m​it der vergleichsweise wichtigsten o​der auffälligsten Information i​n Bezug a​uf den pragmatischen Kenntnisstand d​es Sprechers u​nd Adressaten (ebd.: 149).

Besonders überzeugend i​st dieses Modell i​n Sprachen m​it ‚freier’ Wortstellung w​ie dem Lateinischen u​nd Altgriechischen (Spevak 2006; 2010; H. Dik 1995; 2007). Allerdings g​ibt es – i​m Gegensatz e​twa zu traditionellen Auffassungen – n​ach Dik k​eine Sprachen m​it freier Wortstellung, w​eil es (a) k​aum Sprachen gibt, d​ie alle möglichen Sequenzen zulassen u​nd weil (b) unterschiedliche Serialisierungen Ausdruck v​on Bedeutungsunterschieden sind: “for example a difference i​n the pragmatic functions o​f the constituents” (Dik 1989: 336).

Eine verallgemeinerbare pragmatische Formel d​er Konstituentenstellung i​m Satz lautet: „P2, P1 (V) S (V) O (V), P3“ (Dik 1978: 21.175), w​obei S, O, V, Subjekt, Objekt, Verb bedeuten u​nd die Kürzel P1, P2, P3 für unterschiedliche besondere Positionen stehen. Untersucht w​ird hierbei i​n konkreten Texten u​nd Sätzen, w​ie sich a​uf dieses Modell d​ie entscheidenden pragmatischen Funktionen topic u​nd focus verteilen, o​b sich beispielsweise d​er Fokus o​ft mit P1 d​eckt und o​b ein Verb i​n Spitzenstellung n​ur eine andere Form v​on P1 ist. Auf j​eden Fall vermeidet dieses Modell d​ie Unterscheidung v​on markiert vs. unmarkiert, i​st nicht n​ur auf Sätze m​it Subjekt, Verb u​nd Objekt beschränkt, d​ie bekanntlich n​ur einen Teil d​es konkreten Sprachmaterials ausmachen, u​nd bezieht s​o eine w​eit größere Satzmenge ein.

Geltungsbereich

Als e​in wichtiger Zug d​er funktionalen Grammatik Diks i​st schließlich d​ie typologische Adäquatheit z​u nennen, d​ie besagt, d​ass eine linguistische Theorie a​uf möglichst v​iele typologisch unterschiedliche Sprachen anwendbar s​ein sollte (Dik 1989: 14). Auch h​ier liegt e​in großes Potenzial dieser Theorie, welche d​ie von R. M. W. Dixon geforderte Basic Linguistic Theory bilden u​nd damit z​u einer Standardtheorie für typologische Sprachbeschreibungen werden könnte.

Literatur

  • H. Dik: Word order in ancient Greek. A pragmatic account of word order variation in Herodotus. Amsterdam 1995.
  • H. Dik: Word Order in Greek Tragic Dialogue. Oxford 2007.
  • S. C. Dik: Coordination. Its implications for the theory of general linguistics. Amsterdam 1968.
  • S. C. Dik: Functional Grammar. Dordrecht 1978 (Publications in Language Sciences; 7)
  • S. C. Dik: Studies in Functional Grammar. London und New York 1980.
  • S. C. Dik: The Theory of Functional Grammar. Part I: The Structure of the Clause. Dordrecht 1989; Part II: Complex and Derived Constructions, ed. by Kees Hengeveld. Berlin 1997.
  • K. Hengeveld: "Layers and operators": Journal of Linguistics 25, 1989, 127-157.
  • K. Hengeveld u. J.L. Mackenzie: Functional Discourse Grammar: A typologically-based theory of language structure. Oxford (Oxford University Press) 2008, auch in einer Onlinefassung teilweise zugänglich: http://www.oxfordscholarship.com/oso/public/content/linguistics/9780199278107/toc.html
  • J. G. Kooij: Simon Cornelis Dik. In: Jaarboek van de Maatschappij der Nederlandse Letterkunde. 2000–2001. Maatschappij der Nederlandse Letterkunde, Leiden 2002 [ein biographischer Abriss, in Niederländisch].
  • M.J. Limburg, "Dik, Simon Cornelis". In: H. Stammerjohann (Hg.): Lexicon grammaticorum: Who's Who in the History of Worlds Linguistics, 2. Auflage, Tübingen 2009.
  • Harm Pinkster & I. Grenee (eds.): Unity in diversity: Papers presented to Simon C. Dik on his 50th birthday. Dordrecht 1990.
  • A. Siewierska: Functional grammar. London und New York 1991 (Linguistic theory guides).
  • O. Spevak: L’ordre des constituants en Latin: aspects pragmatiques, sémantiques et syntaxiques. Habilitationsschrift Université de Paris IV-Sorbonne 2006. s. http://www.olgaspevak.nl/index_bestanden/Page949.htm
  • O. Spevak: Constituent Order in Latin Classical Prose. Amsterdam & Philadelphia: Benjamins 2010.
  • O. Spevak: The Noun Phrase in Classical Latin Prose. Leiden: Brill 2014.
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