Schloss Grafeneck
Schloss Grafeneck ist ein Schloss bei Gomadingen, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Haupt- und Landgestüt Marbach, etwa 25 Kilometer südöstlich von Tübingen zwischen Engstingen und Münsingen. Im nationalsozialistischen Deutschland wurde es als Tötungsanstalt Grafeneck genutzt. Über 10.000 Menschen wurden 1940 umgebracht.
Geschichte
Zunächst befand sich hier eine hochmittelalterliche Burganlage. Die Herzöge von Württemberg errichten um 1560 ein Jagdschloss.
Herzog Carl Eugen von Württemberg nutzte das Anwesen als Sommerresidenz und erweiterte es in den Jahren 1762 bis 1772 zu einem barocken Schloss mit Opernhaus und zahlreichen Lustbauten. Das Opernhaus wurde später nach Ludwigsburg versetzt, das Schloss wurde aufgegeben.
Im 19. Jahrhundert wurden einzelne Bauten abgerissen, das Schloss nutzte das Forstamt. 1928 kaufte die Samariterstiftung das Schloss, richtete ein Heim für Behinderte ein und legte 1930 einen eigenen Friedhof an. Nach Weisung durch das württembergische Innenministerium wurde die Anstalt bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in das Kloster Reutte in Oberschwaben verlegt.[1]
Die ersten Ermordungen im Dritten Reich im Rahmen der Aktion T4, der sogenannten Euthanasie, begannen am 18. Januar 1940 hier,[2] und zwar in einer als Duschraum getarnten Gaskammer, die sich in einer „Garage“ befand. Der Anstaltsarzt ließ Kohlenmonoxid einströmen. Die Leichen wurden im Krematorium verbrannt. Im Dezember 1940 wurde, nachdem die Geschehnisse in der Anstalt publik geworden waren, auf Betreiben Heinrich Himmlers[3][4] die Tötungsanstalt geschlossen, die Krankenmorde wurden in der Tötungsanstalt Hadamar fortgesetzt.[5] In Grafeneck nahm das industrielle Morden seinen Anfang und die Methode wurde danach in den anderen Anstalten und in KZs weitergeführt.
Das Haus diente später für die Unterbringung von Kindern aus der Kinderlandverschickung.
Heute ist Schloss Grafeneck eine Einrichtung der Behindertenhilfe und Sozialpsychiatrie. Es beherbergt die Gedenkstätte Grafeneck und seit Oktober 2005 ein Dokumentationszentrum. Die Garage wurde in den 1960er Jahren abgerissen.
Literatur
- Verena Christ: Täter von Grafeneck. Vier Ärzte als Angeklagte im Tübinger "Euthanasie"-Prozess 1949, Steiner, Stuttgart 2020 (Contubernium, Band 88), ISBN 978-3-515-12516-1.
- Walther-Gerd Fleck: Grafeneck und Einsiedel. 2 Lustschlösser des Herzogs Carl Eugen von Württemberg. Stuttgart 1986.
- Franka Rößner: "Im Dienste der Schwachen". Die Samariterstiftung zwischen Zustimmung, Kompromiss und Protest 1930 - 1950, Senner, Nürtingen 2011, ISBN 3-922849-29-6.
- Günter Schmitt: Burgenführer Schwäbische Alb, Bd. 2: Alb Mitte-Süd: Wandern und entdecken zwischen Ulm und Sigmaringen. Biberacher Verlagsdruckerei, Biberach an der Riß 1989, ISBN 3-924489-45-9, S. 133–142.
- Thomas Stöckle: Grafeneck 1940. Die Euthanasie-Verbrechen in Südwestdeutschland, 3. Aufl., Silberburg-Verl., Tübingen 2012, ISBN 978-3-87407-507-7.
Weblinks
Fußnoten
- Brigitte Templin und Ingaburgh Klatt: „Lösch mir die Augen aus ...“ – Leben und gewaltsames Sterben der vier Lübecker Geistlichen in der Zeit des Nationalsozialismus. Sonderdruck: Herausgeber Burgkloster zu Lübeck/Amt für Kultur der Hansestadt Lübeck, Lübeck 1994, S. 51–53 (Brief des Landesbischofs Theophil Wurm an den Reichsinnenminister Frick zur Euthanasie geistig Behinderter vom 19. Juli 1940)
- „Euthanasie“-Verbrechen in Südwestdeutschland – Grafeneck 1940, abgerufen am 10. September 2018.
- Norbert Frei: Einleitung. In: Norbert Frei (Hrsg.): Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit. R. Oldenbourg Verlag, München 1991 (= Schriften der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Sondernummer), ISBN 3-486-64534-X, S. 7–32, hier: S. 28.
- Kurt Nowak: Widerstand, Zustimmung, Hinnahme. Das Verhalten der Bevölkerung zur „Euthanasie“. In: Norbert Frei (Hrsg.): Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit. R. Oldenbourg Verlag, München 1991 (= Schriften der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Sondernummer), ISBN 3-486-64534-X, S. 217–233, S. 235–251, hier: S. 242.
- Grafeneck – Geschichte und Gegenwart, abgerufen am 16. Februar 2018.