Sarah Copia Sullam
Sarah Copia Sullam (* um 1588/1592 in Venedig; † 1641 ebenda) war eine jüdisch-venezianische Dichterin.
Sarah Sullam stand im Briefwechsel mit dem Genueser Literaten und Dichter Ansaldo Cebà. Leone da Modena war einer ihrer Förderer, der vermutlich auch die Inschrift auf ihrem Grabstein verfasste.
Namen und Vornamen variieren in zeitgenössischen Quellen zwischen Copio, Coppio, Copia, Coppia, Sara, Sarah oder Sarra.[1]
Leben
Sarah Copia wurde als einziges[2] Kind des Simone Coppio († 1606) und der Ricca Coppia geboren. Die wahrscheinlich aus Mantua stammende wohlhabende Familie lebte im Ghetto von Venedig. Zwischen 1606 und 1612 heiratete sie Giacobbo Sullam, einen prominenten jüdischen Geschäftsmann. Ihr erstes Kind starb 1615 und von den später geborenen scheint keins die frühe Kindheit überlebt zu haben. Sarah und ihr Ehemann liebten die Künste, führten ein offenes Haus, organisierten dort Konzerte und luden Dichter, Künstler, Gelehrte und Intellektuelle und sowohl Rabbiner als auch christliche Kleriker in ihr Haus ein.
Zu regelmäßigen Gästen des Hauses gehörten Numidio Paluzzi (1567–1625), ein aus Rom kommender Dichter und Literat, der sie möglicherweise in Latein unterrichtete, Alessandro Berardelli, ein Maler aus Rom und enger Freund Paluzzis, Baldassare Bonifacio (1586–1659), Dichter, Priester, Rechtsgelehrter und Briefpartner Paluzzis, Giovanni Francesco Corniani (1581–1646), Schriftsteller und Amtsträger der Esecutori contro la bestemmia, eine Behörde zur Verfolgung von Blasphemie, und der auch das Amt eines Avogador di commun (entspricht dem Staatsanwalt) bekleidet hatte, sowie der jüdische Rabbi, Gelehrter und Freund der Familie, Leone da Modena. Einige von ihnen gehörten zur damals bedeutendsten literarischen Vereinigung Venedigs, der Accademia degli Innocenti.[3]
1618 las sie das Buch La Reina Ester, ein 1615 in Genua erschienenes und ein Jahr später in Mailand nachgedrucktes episches Gedicht des Genueser Dichters Ansaldo Cebà, dem sie in einem Brief ihre Bewunderung und Begeisterung für das Buch ausdrückte. In der Folge entfaltete sich über vier Jahre zwischen den beiden ein emotional aufgeladener Schriftwechsel. Sie tauschten Bilder, Gedichte und Geschenke aus. Cebà verfolgte dabei – erfolglos – das Ziel, seine Briefpartnerin zum Christentum zu bekehren. Nachdem dieses Unternehmen gescheitert war, stellte er den Briefwechsel abrupt ein. Von der intensiven Debatte der beiden über die christliche und jüdische Religion ist nur der Part Cebàs erhalten, dessen Briefe in der Bibliothek des Museo Correr in Venedig aufbewahrt werden.
Über die Unsterblichkeit der Seele
1621 kam in Venedig ein Traktat des Klerikers Baldassare Bonifacio[4] mit dem Titel Immortalità dell’anima heraus, in dem er Sarah Copia, deren Gast er häufig gewesen war, beschuldigte, nicht an das Dogma der Unsterblichkeit der Seele zu glauben. Damit lief Sarah Copia Gefahr, die Aufmerksamkeit der Inquisition auf sich zu ziehen.
Sarah Copia reagierte sofort auf die Beschuldigungen mit einem Manifest,[5] das sie ihrem verstorbenen Vater widmete. Mit dieser Schrift, die in drei unterschiedlichen Editionen herauskam, verteidigte sie ihre Ansichten, griff Bonifacio wegen seiner Methoden und Argumentationen heftig an und bezog sich ihrerseits auf Quellen aus dem Alten und Neuen Testament, auf Aristoteles, Josephus Flavius und Dante.[6] In einem Brief unterstellte ihr Bonifacio, sie habe den Text nicht selbst geschrieben habe, sondern ein – ungenannter – Rabbi; gemeint war wahrscheinlich der hochgebildete und eloquente Leone da Modena. Damit beschuldigte Bonifacio sie nicht nur der Häresie, sondern auch der Täuschung und des Plagiats.[7]
Sarah schickte ein Exemplar an Cebà, der aber nichts zu ihrer Verteidigung unternahm, sondern wiederum versuchte, sie zum Christentum zu bekehren; als er erfolglos blieb, brach er jeden Kontakt zu ihr ab. Bonifacio seinerseits reagierte mit neuen Beschuldigungen auf ihr Manifest.[8] Sarah Copia sah sich also unvermittelt als Protagonistin und als Opfer in einem theologisch-philosophischen Streit, in dem es nicht mehr um einen einzelnen Glaubenssatz ging, sondern um eine Grundsatzdebatte über jüdische und christliche Glaubensgewissheiten. 1623 erschien Cebàs Anteil am Briefwechsel in einem Mailänder Verlag, Sarah Copias Briefe blieben ungedruckt.
Grab
Sarah Copias Grab befindet sich im jüdischen Friedhof auf dem Lido von Venedig. Die in hebräischer Schrift gemeißelte Inschrift wird traditionell Leone da Modena zugeschrieben. Sie wurde im 19. Jahrhundert von Moisè Soave (1820–1882) ins Italienische übersetzt.[9]
Questa è la lapide della distinta
Signora Sara Moglie del vivente
Jacobbe Sullam
L’angelo sterminatore saetto il dardo
ferendo mortalemento la Sara
Saggia fra le moglie, appoggio ai derelitti
Il tapino trovava in lei una compgna, un'amica
Se al presente e data irreparabildmente preda agli insetti
nel di predistinato dira il buon Dio:
Torna, torna o Sulamita.
Cessava di vivere il giorno seste (venerdi)
5 adar 5401 dell’era ebraica
L’anima sua possa godere l’eterna beatitudine
übersetzt
Dies ist der Grabstein der gewissen
Signora Sara Ehefrau des lebenden
Jacobbe Sullam
Der Würgeengel warf den Würfel
Die Sara tödlich treffend
Weise unter den Frauen, Stütze den Verlassenen
Der Bedürftige fand in ihr eine Gefährtin, eine Freundin
Wenn sie jetzt auch unwiederbrlinglich Beute der Würmer [Insekten] ist
Nach der Vorherbestimmung wird der gute Gott sagen:
Komm zurück, komm zurück, o Sulamith.
Sie hörte auf zu leben, am sechsten Tag (Freitag)
am 5. Adar hebräischer Zeit
Ihre Seele möge genießen die ewige Glückseligkeit
Werkausgaben und zeitgenössische Quellen
- Jewish Poet and Intellectual in Seventeenth-Century Venice: The Works of Sarra Copia Sulam in Verse and Prose. Along with Writings of Her Contemporaries in Her Praise, Condemnation, or Defense. Reihe: The Other Voice in Early Modern Europe. Hrsg. Don Harrán. The University of Chicago Press, Chicago 2009. ISBN 0-226-77989-0
- Baldassare Bonifacio: Dell’immortalità dell’anima. Pinelli, Venedig 1621.
Literatur (Auswahl)
- Heinrich Graetz Geschichte der Juden. Bd. 10. Leipzig 1868
- Ernest David: Sara Copia Sullam, une Héroïne Juive au XVIIe Siècle. Paris 1877
- Nahida Ruth Lazarus (Nahide Hemy): Das Jüdische Weib. 3. Auflage. Sullam, Berlin 1896, S. 170 ff., archive.org
- Meyer Kayserling: Die jüdischen Frauen in der Geschichte, Literatur und Kunst. 1879. books.google.de
- Hannah Karminski: Jüdisch-religiöse Frauenkultur, in Emmy Wolff: Frauengenerationen in Bildern. Herbig, Berlin 1928, S. 163–172 (Sullam S. 165f.)
- Riccardo Calimani: Storia del ghetto di Venezia. Milano 1995 ISBN 88-04-49884-6. Kap. 15: Sara Coppio Sullam, la poetessa. S. 193–199
- Barbara H. Whitehead: Jewish Women and Family Life, Inside and Outside the Ghetto. In: The Jews of Early Modern Venice. Ed. Robert C. Davis and Benjamin Ravid, Baltimore 2001, S. 143–165
Weblinks (Auswahl)
- Jewish Encyclopedia
- Howard Tzvi Adelman: Sarra Copia Sullam. In: Jewish Women’s Archive
Einzelnachweise
- Dizionario Biografico degli Italiani. Treccani, Vol. 28. 1983.
- Hannah Karminski, op. cit., S. 165
- Diana Mary Robin, Anne R. Larsen, Carole Levin: Encyclopedia of Women in the Renaissance: Italy, France, and England. 2007, S. 97
- Balthasar Bonifacio wollte Karriere machen, was ihm auch gelang; er wurde Bischof von Capodistria
- Manifesto di Sarra Copia Sulam hebrea Nel quale è da lei riprovate, e detestata l’opinione negante l’Immortalità dell’Anima, falsemente attribuitale da Sig. Baldassare Bonifacio
- Längerer deutscher Auszug bei Karminski 1928, S. 166. Sullam schreibt: meine Religion gebietet mir, mit Ihrer Einfalt Mitleid zu haben.
- Howard Zvi Adelmann
- Risposta al Manifesto. Venezia 1621
- Calimani 1995, S. 199