San Michele Maggiore
Die Kirche San Michele Maggiore in der norditalienischen Stadt Pavia ist architektonisch eine Basilika und ein Schlüsselwerk der romanischen Entwicklung des lombardischen Baustils.
Geschichte
Die Vorgängerkirche war während der Herrschaft der Langobarden errichtet worden. In ihr wurde im Jahre 774 Karl der Große zum König der Langobarden gekrönt. Vierundzwanzig Tage nach dem Tod des Kaisers Otto III. ließ sich Arduin von Ivrea vom Bischof von Pavia in San Michele Maggiore zum König von Italien krönen. Um die von Arduin organisierte Opposition zu brechen, ließ sich der deutsche König (und Prätendent auf die römische Kaiserkrone) Heinrich II. vom Erzbischof von Mailand an selber Stelle zum König von Italien krönen. Die Feierlichkeit wurde durch einen von Arduin organisierten blutigen Volksaufstand beendet, bei dem die Kirche in Flammen aufging.[1] Nur der untere Teil des Glockenturms stammt noch von der langobardischen Kirche.
Der Bau der heutigen Basilika begann um 1100 mit der Errichtung von Krypta, Chor und Querschiff. Einen Rückschlag brachte das große Erdbeben von Verona am 3. Januar 1117. Heute ist man sich sicher, dass kein heute sichtbares Teil des Gebäudes vor dem Jahr 1100 geschaffen wurde[2] Fertiggestellt war die Kirche, als sich am 15. April 1155 Kaiser Friedrich Barbarossa hier zum König von Italien krönen ließ.
Bauwerk
San Michele wird als der Prototyp zahlreicher mittelalterlicher Kirchenbauten der Region angesehen. Während vorher der lombardische Baustil nach Norden abgefärbt hatte, übernahm die Architektur Norditaliens gegen Ende des 11. Jahrhunderts einige Anleihen von jenseits der Alpen. Dazu gehörte die Vierung. Gewölbedecken waren eigentlich ein römisches Erbe, aber bis dahin bei Kirchen, mit Ausnahme von Rundbauten, unüblich. Allerdings hatten auch nördlich der Alpen bis zum Ende der Romanik die meisten Kirchen flache Decken oder offene Dachstühle. Die Westfassaden blieben in Italien aber weiterhin turmlos. Diese glatte Fassadenfläche wurde nun mit Mitteln gestaltet, die teilweise wiederum aus dem Norden stammten: die Dreiportalanlage aus Frankreich und die Zwerggalerie aus Deutschland.
Im Gegensatz zu den anderen Kirchen der Stadt sind Kernmauern und Verzierungen aus einem recht brüchigen Sandstein und nicht aus Backstein.
Gebäudestruktur
Der Grundriss der Kirche hat die Form eines lateinischen Kreuzes, da die Querhausarme über die Seitenschiffe hinausragen.
Hauptschiff, Seitenschiffe und Chorjoch des Langhauses haben Kreuzgewölbe, die Querschiffsarme Tonnengewölbe. Die Kreuzgewölbe der Romanik waren eine mutige Neuerung, mussten aber im späten 15. Jahrhundert wegen Einsturzgefahr durch neue Gewölbe ersetzt werden. Dabei wurden auch einige Pfeiler verstärkt.[2]
Über der Vierung erhebt sich ein achteckiges Turmgeschoss mit Kuppel. Der nördliche Querschiffsgiebel hat ein Eingangsportal, der südliche ist innen eine Altarwand.
Westfassade
Der heutige Zustand der Fassade und besonders ihrer bedeutenden Reliefs ist desolat. Ihr Verfall ist sehr weit fortgeschritten, obwohl man hier schon in den 1960er Jahren versucht hatte, ihn zu stoppen. Der Sandstein ist empfindlich gegen Witterungs- und Umweltschäden.
Die Zwerggalerie
Die Zwerggalerie verläuft hier direkt unter der Dachschräge des Westgiebels. Die Zwerggalerie ist ein wichtiges Element in der romanischen Architektur. Sie trat zum ersten Mal um 1050 an der Westfassade des Trierer Domes auf.[3] Die Zwerggalerie ansteigend unter die Giebelschräge zu setzen, ist die kreative Neuerung bei San Michele Maggiore und sollte für norditalienische Giebel typisch werden, ist südlich der Alpen wegen der üblicherweise geringeren Dachneigungen passender als nördlich. Waagerechte Säulengalerien wurden aber auch beliebt in Italien und konnten zu mehreren übereinander große Teile von Wänden bedecken, besonders dekorativ an den Fassaden von Santa Maria della Pieve in Arezzo, beim Dom zu Pisa am Westgiebel und am Schiefen Turm.
Wandpfeiler
Ein weiteres auffälliges Element dieser Fassade sind die Bündelpfeiler. Bündelpfelier hat diese Kirche auch im Inneren, wo sie den Druck des Gewölbes aufnehmen. Dort aber sind sie ein Nachtrag aus dem späten 15. Jahrhundert. In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts waren sie auch nördlich der Alpen noch nicht üblich.[4] Weitergehende Interpretationen[5] bedürfen daher einer Absicherung durch eine Überprüfung der Datierung.
Flechtornamente
Nicht nur als Ausdruck „langobardischer Schmuckfreudigkeit“ werden die Flechtornamente gesehen. Sie finden sich an den mächtigen Diensten und in den waagerechten Reliefbändern an den Portalen. Diese sollen in ihrer Bedeutung auch eine Abwehrfunktion besitzen.
Einzelnachweise
- http://www.italiamedievale.org/personaggi/enrico_il_santo.html
- LombardiaBeniCulrurali: Basilica di S. Michele Maggiore – complesso – Pavia (PV)
- Wilfried Koch: Baustilkunde. Das große Standardwerk zur europäischen Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart. München 1994, S. 92
- Siehe die Baugeschichten des Wormser Doms und der Abteikirche und heutigen Kathedrale von Saint-Denis.
- Rolf Toman (Hrsg.): Die Kunst der Romanik. Architektur – Skulptur – Malerei. Köln 1996, S. 22
Schwesterprojekte