Rogowskispule
Die Rogowskispule ist eine toroidförmige Luftspule, das heißt, sie hat keinen ferromagnetischen Kern. Sie dient unter anderem als Bestandteil elektrotechnischer Messgeräte zur Messung von Wechselstrom.
Die grundlegende Idee zu ihrem Aufbau, welcher die von Wechselströmen in konzentrisch umgebenden Spulen induzierten Spannungen ausnutzt, hatte Arthur Prince Chattock 1887. Die Bezeichnung ist seit der Veröffentlichung[1] von Walter Rogowski (1881–1947) als „Rogowskispule“ oder „Rogowski-Stromwandler“ bekannt.
Allgemeines
Die Rogowskispule besteht aus einem Leiterdraht, der möglichst gleichmäßig um einen festen Körper aus einem nicht leitenden und nicht ferromagnetischen Werkstoff gewickelt ist (Luftspule). Der Leiterdraht der Spule ist um den gesamten Ring des Spulenkörpers verteilt gewickelt, so dass beide Anschlüsse beieinander liegen. Im nebenstehenden Bild wurde die Spule als offener Kreisbogen realisiert, um das Einfädeln der zu messenden Leitung zu vermeiden. Der zweite Anschluss der Spule wird dabei magnetisch neutral zum anderen Ende geführt.
Um einen Strom i1 in einem Leiter zu messen, wird die Rogowskispule um den stromführenden Leiter gelegt – beispielsweise eine Kabelader oder eine Stromschiene. Der durch den Leiter fließende Wechselstrom erzeugt ein veränderliches Magnetfeld, welches in der Rogowskispule eine Spannung u2 induziert.
Die Spannung wird hochohmig gemessen, sodass der Strom in der Rogowskispule nahezu null ist. Unter dieser Bedingung gilt folgender Zusammenhang:
Die Gegeninduktivität M der Rogowskispule lässt sich folgendermaßen berechnen:
wobei μ0 die magnetische Feldkonstante, N die Windungszahl, A die Querschnittsfläche der Rogowskispule und lm die mittlere Feldlinienlänge im Ring ist.
Da der Leiterstrom i1 gemessen werden soll, muss das Zeitintegral der Spannung u2 der Spule gebildet werden. So erhält man eine dem Strom i1 proportionale Größe. Das Zeitintegral wird auf analoge Weise mit einem Integrator gebildet. Bei sinusförmigem Strom kann die Integration entfallen – die gemessene Spannung kann in Strom-Einheiten kalibriert werden, da sie lediglich um 90° Phasenwinkel voreilt.
Vor- und Nachteile
Ein Vorteil der Rogowskispule gegenüber anderen Strommessverfahren ist zum einen die Robustheit des Aufbaus. Zum anderen kann der zu messende Strom in einem weiten Bereich, sogar bis zur Höhe des größtmöglichen Stromes (Kurzschlussstrom) liegen, ohne den Messumformer zu beschädigen. Nichtlineare Einflüsse eines Eisenkerns sind nicht vorhanden. Die magnetische Beeinflussung des Leiters entfällt bei Rogowskispulen; sie ist jedoch auch bei herkömmlichen Stromwandlern mit Eisenkern gering, da jene im sekundären Quasi-Kurzschluss betrieben werden.
Rogowskispulen können ohne Auftrennen des Stromkreises, das heißt, ohne Montagearbeiten einfach angelegt und wieder entfernt werden. Sie werden in vielen verschiedenen Baugrößen hergestellt, so dass von Messungen direkt an Bauteilen auf Leiterplatten bis hin zu Messungen an Stromschienen oder Maschinenteilen (Lagerströme) ein großer Anwendungsbereich möglich ist.
Rogowskispulen werden in verschiedenen Empfindlichkeiten für Ströme ab einigen Ampere bis zu einigen 100 kA gefertigt. Sie sind, je nach Baureihe und Empfindlichkeit, für Messungen von unter 1 Hertz (Hz) bis in den zweistelligen MHz-Bereich geeignet. Steile Stromanstiege, wie sie zum Beispiel in Umrichtern oder anderen leistungselektronischen Baugruppen auftreten, lassen sich damit gut erfassen. Auch für die Messung von Oberschwingungen und anderen höherfrequenten Störungen eignen sich Rogowskispulen.
Neben Baureihen mit direktem Spannungsausgang gibt es auch Ausführungen mit Umsetzer zur Messung des Effektivwertes. Damit können diese zum Beispiel direkt an 0–5 V- oder 4–20 mA-Eingänge einer speicherprogrammierbaren Steuerung angeschlossen werden.
Hohe Kurzschlussströme, wie sie beispielsweise in der elektrischen Energietechnik vorkommen, verursachen bei Rogowskispulen im Gegensatz zu Stromwandlern keine hohen Kräfte und Verluste. Hystereseeffekte und Dauer-Magnetisierung, wie sie bei Hallsonden auftreten, entfallen. Rogowskispulen bilden im Gegensatz zu Stromwandlern keine Gefahr für das Bedienpersonal und werden nicht zerstört, wenn sie unbeschaltet sind.
Sie benötigen jedoch zur Strommessung Hilfseinrichtungen wie Verstärker und die Stromversorgung des Verstärkers. Herkömmliche Stromwandler dagegen können aufgrund des das Magnetfeld bündelnden Kernes (im Rahmen ihrer Nennbürde) erhebliche Leistungen abgeben, die ausreichen, um Messwerke und Überstrom-Auslöseeinrichtungen direkt zu betreiben.
Ein weiterer Nachteil ist die Lageabhängigkeit der Messgenauigkeit. Für eine ideale, d. h. homogene Spule ist die Lage des umschlossenen Leiters irrelevant. Bei realen Rogowskispulen existieren jedoch Inhomogenitäten (Öffnung zum Einfädeln, variierende Windungsabstände), wo das Magnetfeld zu viel oder zu wenig Strom induziert. Ist der Leiter in Mittelposition, heben sich die Fehler bei idealer Ringform der Spule zwar auf, Mittenabweichungen führen jedoch zu Fehlern. Liegt der Leiter bei einer Messung in der Nähe der Öffnung, ist der gemessene Strom kleiner als der tatsächliche Wert. Liegt der Leiter bei einer dichter gewickelten Stelle, ist der gemessene Strom größer als der tatsächliche Wert.
Im Gegensatz zu einigen alternativen Messverfahren kann die Rogowskispule keinen Gleichstrom messen.
Bei einer Studie der Universität Twente über intelligente Stromzähler ('Smart Meter') wurden überhöhte Messergebnisse bei Geräten mit Rogowskispule als Messelement festgestellt.[3] Die Fehlmessungen werden in der Studie in Zusammenhang gestellt mit Verbrauchern mit nicht-sinusförmigem Stromverlauf. Solche Verbraucher sind beispielsweise viele elektronische Geräte mit Schaltnetzteil.
Literatur
- Dieter Kind, Kurt Feser: Hochspannungs-Versuchstechnik. 5., überarb. u. erw. Auflage. Vieweg+Teubner, 1995, ISBN 3-528-43805-3.
Weblinks
Einzelnachweise
- W. Rogowski, W. Steinhaus: Die Messung der magnetischen Spannung. In: Archiv für Elektrotechnik. Band 1, Nr. 4, April 1912, S. 141–150, doi:10.1007/BF01656479.
- Jens Haun: Leitfähigkeitsmessungen an stark gekoppelten Kohlenstoff- und Zinkplasmen. 2001 (PDF – Dissertation, Fakultät für Physik und Astronomie, Ruhr-Universität Bochum. – Enthält eine Herleitung der Formel).
- Electronic energy meters’ false readings almost six times higher than actual energy consumption. University of Twente, abgerufen am 6. März 2017 (englisch).