Quietismus
Quietismus (von lateinisch quietus „ruhig“) bezeichnet eine Sonderform der christlichen Mystik, Theologie und Askese. Er hat seine Wurzeln im katholischen Bereich, wurde jedoch vom Lehramt als Irrlehre und falsche Form der Lebensführung verworfen. Im heutigen allgemeinen Sprachgebrauch dient der Ausdruck Quietismus zur abschätzigen Bezeichnung einer Lebens- und Geisteshaltung, die sich jeder ethischen Herausforderung durch Gleichgültigkeit, Passivität, Resignation oder Weltflucht entzieht.
Kernaussage des theologischen Quietismus ist, dass der Mensch zunächst sein Ich völlig aufgeben und an Gott übergeben müsse, um danach in völliger Ruhe und Gleichmut zu leben. Sobald dieser Zustand im inneren Gebet, in der Schau Gottes erreicht ist, werden äußere asketische Praktiken eher hinderlich. Der Quietismus des Gebetes lehnt daher das mündliche Gebet, den Empfang der Sakramente, überhaupt alle äußerlichen religiösen Formen ab, der Quietismus des Lebens zudem die Bedeutung des Tugendstrebens und des Kampfes gegen die Sünde (Askese).
Diese Grundauffassung wird von einigen Historikern auf den orthodoxen Hesychasmus des Gregorios Palamas (Ende 1296 oder Anfang 1297–1359) zurückgeführt. Weniger umstritten sind Ursprünge in den Vorstellungen der Brüder und Schwestern des freien Geistes und Teilen der Alumbrados. Im 17. Jahrhundert verbreitete sich der Quietismus vor allem in Frankreich, Spanien und Italien. Wichtige Vertreter sind u. a. Juan Falconi de Bustamante (1596–1638), François Malaval (1627–1719) und Miguel de Molinos (1628–1696). Auch die in ihrer Zeit berühmte Mystikerin Madame Guyon (1648–1717) wurde des Quietismus angeschuldigt, nimmt jedoch in keiner ihrer Schriften Bezug darauf. Der französische Erzbischof François Fénelon (1651–1715) bereinigte die Lehre von Inhalten, die sich gegen eine moralische Lebensführung aussprachen, und sprach sich v. a. für eine selbstlose Liebe aus. Das Lehramt unter Papst Innozenz XII. (1615–1700) verwarf 1699 seine Aussagen als Semiquietismus.
Literatur
- Peter Nickl: Quietismus, Hesychasmus. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 7, Schwabe, Basel 1989, Sp. 1834–1837
- Christof Wingertszahn: Anton Reiser und die „Michelein“. Neue Funde zum Quietismus im 18. Jahrhundert. Matthias Wehrhahn, Hannover 2002, ISBN 3-932324-59-5.
- Mario Bendiscioli: Der Quietismus zwischen Häresie und Orthodoxie (= Institut für Europäische Geschichte Mainz. Vorträge. Bd. 36, ISSN 0537-7927). Steiner, Wiesbaden 1964.
- Hartmut Lehmann, Hans-Jürgen Schrader, Heinz Schilling (Hrsg.): Jansenismus, Quietismus, Pietismus (= Arbeiten zur Geschichte des Pietismus. Bd. 42). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002, ISBN 3-525-55826-0, Digitalisat.
- Claus Arnold: Verketzerung von Spiritualität oder Verfolgung von Missbrauch? Der „Molinosismus“ respektive „Quietismus“ in der Wahrnehmung des Heiligen Offiziums, in: Hubert Wolf (Hrsg.): „Wahre“ und „falsche“ Heiligkeit: Mystik, Macht und Geschlechterrollen im Katholizismus des 19. Jahrhunderts (= Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien Bd. 90), Oldenbourg, München 2013 (Digitalisat), S. 59–70.
Weblinks
- Enchiridion Symbolorum, 2181 ff. (in dortigen Artikel Weblinks zu 4 verschiedenen Sprachfassungen)