Platen-Affäre
Die Platen-Affäre, ein öffentlich ausgetragener Streit zwischen den Dichtern Heinrich Heine und August Graf von Platen, war eine der heftigsten Kontroversen der deutschen Literaturgeschichte.
Auslöser der Affäre waren Xenien des Dichters Carl Leberecht Immermann, in denen er die Orientmode in der Poesie verspottete und die Heinrich Heine 1827 im Anhang seiner Reisebilder. Zweiter Teil veröffentlichte:
„Oestliche Poeten.
Groß’ mérite ist es jetzo, nach Saadi’s Art zu girren,
Doch mir scheint's égal gepudelt, ob wir östlich, westlich irren.Sonsten sang, bei’m Mondenscheine, Nachtigall seu Philomele;
Wenn jetzt Bülbül flötet, scheint es mir denn doch dieselbe Kehle.Alter Dichter[1], du gemahnst mich, als wie Hameln’s Rattenfänger;
Pfeifst nach Morgen, und es folgen all’ die lieben, kleinen Sänger.Aus Bequemlichkeit verehren sie die Kühe frommer Inden,
Daß sie den Olympus mögen nächst in jedem Kuhstall finden.Von den Früchten, die sie aus dem Gartenhain von Schiras stehlen,
Essen sie zu viel, die Armen, und vomiren dann Ghaselen.“
Platen, der sich bereits in seinen Frühwerken jener orientalischen Gedichtform zugewandt und 1821 einen Band Ghaselen sowie 1823 Neue Ghaselen veröffentlicht hatte, bezog diese Kritik auf sich und verübelte Heine die Veröffentlichung der Epigramme. In seinem Lustspiel Der romantische Ödipus (1828) ließ er, als Anspielung auf Heines Freund Immermann, eine Figur namens Nimmermann auftreten und griff Heine unter Bezug auf dessen jüdische Herkunft an. Er bezeichnete ihn als „den herrlichen Petrark des Lauberhüttenfestes“ (Immermann hatte Heine in einer Rezension mit Petrarca verglichen), unterstellte ihm „Synagogenstolz“ und dichtete ihm, antisemitische Klischees bedienend, „Knoblauchsgeruch“ an.[2]
Heine hatte sich 1825 protestantisch taufen lassen, um in den Staatsdienst treten zu können. Er bemühte sich gerade um eine Professur an der Münchner Universität, als Platens Lustspiel erschien. So sah er in den Angriffen eine Intrige gegen seine Pläne. An seinen Freund Varnhagen von Ense schrieb er später: „Als mich die Pfaffen in München zuerst angriffen, und mir den Juden aufs Tapet brachten, lachte ich – ich hielts für bloße Dummheit. Als ich aber System roch, als ich sah wie das lächerliche Spukbild almählig ein bedrohliches Vampier wurde, als ich die Absicht der Platenschen Satyre durchschaute, […] da gürtete ich meine Lende, und schlug so scharf als möglich, so schnell als möglich.“[3]
Der Schlag erfolgte im 1830 erschienenen dritten Band der Reisebilder. Im letzten Kapitel der Bäder von Lukka nannte Heine den Grafen, dessen Homosexualität ihm bekannt war, einen „Dichter und warmen Freund“ und sparte nicht mit abfälligen Bemerkungen: Platen, den „nie ein Weib berührt“ habe, sei „mehr ein Mann von Steiß als ein Mann von Kopf“, eine „männliche Tribade“; gelobt werde am Grafen seine „Zuvorkommenheit gegen Jüngere, bei denen er die Bescheidenheit selbst gewesen sei, indem er mit der liebreichsten Demuth ihre Erlaubniß erbeten, dann und wann zu ihnen auf’s Zimmer kommen zu dürfen“. Auch andere homosexuelle Künstler, so „der ghaselige Iffland“, finden nebenbei Erwähnung.
Heines Bewerbung um die Professur scheiterte wegen dieser persönlichen Angriffe auf Platen endgültig. Der „Vernichtungskrieg“, wie er die Kontroverse einmal bezeichnete, beeinflusste auch seinen Entschluss, 1831 nach Paris überzusiedeln. Die Auseinandersetzung zeigte, dass die Taufe auch zu dieser Zeit noch nicht den erhofften Schutz vor Anfeindungen und Diskriminierung bot und kein „Entre Billet zur Europäischen Kultur“ war, als die Heine sie einmal bezeichnet hatte.
Zeitgenossen verübelten Heine die abfälligen Bemerkungen über Platens Homosexualität. Dagegen urteilte der Literaturkritiker Karl Herloßsohn 1830: „In der Art, wie Heine angegriffen wurde von Platen, lag auch schon die Art, wie er sich verteidigen musste.“ Demnach habe sich Heine lediglich derselben Waffen bedient, mit denen er angegriffen worden war.
Infolge der Affäre wählte auch Graf Platen das freiwillige Exil. Aus Italien, wo er sich seit 1826 aufhielt, kehrte er nicht mehr dauerhaft nach Deutschland zurück, wo er sich durch Heine unmöglich gemacht sah.
Anmerkungen
- Gemeint ist Goethe.
- Auszug aus dem Theaterstück
- Heinrich-Heine-Säkularausgabe (HSA), Bd. 20, S. 385
Texte
- Heinrich Heine: Reisebilder. Sonderausg. Pawlak, Herrsching 1985, ISBN 3-8224-1148-5 (2 Bde.).
Literatur
- Hans Mayer: Der Streit zwischen Heine und Platen. In: ders.: Außenseiter. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1981, ISBN 3-518-37236-X, S. 207–223.
- Christopher Keppel und Joachim Bartholomae (Hrsg.): „Schlaffe Ghaselen“ und „Knoblauchsgeruch“. Platen, Immermann und Heine streiten über freche Juden, warme Brüder und wahre Poesie, Männerschwarm Verlag, Hamburg 2012