Planuncus tingitanus
Planuncus tingitanus ist eine Art der Waldschaben, einer Gruppe im Freiland, nur außerhalb von Gebäuden, lebenden Schabenarten. Die Art gehört zu einem Artenkomplex nahe verwandter, im Mittelmeergebiet heimischer Arten, die bis zu einer Überarbeitung im Jahr 2013 zur Gattung Ectobius gestellt worden waren. In der Artengruppe sind drei Arten beschrieben worden, allerdings teilweise unvollständig, so dass die Tiere nicht anhand der Beschreibungen einer der Arten zugeordnet werden können, es ist sogar nicht unwahrscheinlich, dass es sich in Wirklichkeit um dieselbe Art handelt. Aufgrund dieser Unsicherheit werden die meisten Tiere als Planuncus tingitanus sensu lato (abgekürzt s.lat. oder auch s. l., lateinisch für „im weiteren Sinn“) bezeichnet.
Planuncus tingitanus | ||||||||||||
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Planuncus tingitanus, Weibchen | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Planuncus tingitanus | ||||||||||||
(Bolivar, 1914) |
Die Tiere wurden, als Neozoen vom Menschen in weitere Regionen außerhalb ihrer ursprünglichen Heimat verschleppt. So wurden sie in Deutschland in der nördlichen Oberrheinebene, erstmals 2007 in Mainz, nachgewiesen, wo sie jeweils stabile, sich weiter fortpflanzende Populationen aufgebaut haben (also nicht nur unbeständig eingeschleppt wurden). Sie leben hier in Grünflächen und Gebüschen innerhalb von menschlichen Siedlungen.
Merkmale
Die Tiere ähneln in ihrer generellen Körpergestalt anderen Waldschaben-Arten. Ihre Flügel sind etwas verkürzt. Die Vorderflügel (Deckflügel) erreichen beim Männchen beinahe die Hinterleibsspitze, beim Weibchen sind sie ein wenig kürzer. Die Hinterflügel sind stärker verkürzt, mit teilweise reduzierter Aderung. Der gesamte Körper ist in der Grundfarbe blassgelblich gefärbt, der Mittelfleck (Diskalfleck) auf dem Pronotum ist gelb ohne dunkle Zeichnungselemente. Zwischen den Augen befindet sich ein etwas verdunkeltes Band. Der Hinterleib ist bei den Männchen ganz gelb gefärbt oder trägt zwei Reihen dunklerer Punkte, beim Weibchen ist er gewöhnlich dunkler, mit dunkler Querbänderung oder ganz verdunkelt. Für eine sichere Artbestimmung ist aber die Untersuchung der Genitalanhänge, besonders der Männchen, notwendig, eine sichere Bestimmung anhand von Fotos ist nicht möglich. Die Männchen tragen an der Hinterleibsspitze eine stark gewölbte, auf der Unterseite abgerundet bootsförmige, symmetrische, nur schwach sklerotisierte Subgenitalplatte, in deren Oberseite die Begattungsorgane eingesenkt sind. Wichtig für die Artdiagnose ist die Gestalt der (asymmetrischen), hakenförmigen linken Paramere (Genitalhaken). Dieser ist vor allem auf der Außenseite schwach sklerotisiert mit langem Schaft und einer fast rechtwinklig abgeknickten Spitze, mit gleichmäßig abgerundeter Klaue. Der siebte Tergit des Hinterleibs trägt eine Drüsenöffnung mit charakteristischer Gestalt. Diese sitzt zentral auf einer kleinen Erhöhung, sie ist stumpf herzförmig eingesenkt mit undeutlichen Rändern und einer zentralen, knopfartigen Erhöhung, die dicht mit (längs gefurchten) Borsten besetzt ist.
Die Oothek der Weibchen besitzt eine charakteristische Gestalt mit etwa 17 Längsrippen. Die frühen Nymphenstadien besitzen, wie viele Arten der Gattung, eine leicht kenntliche Färbung. Sie sind dunkel gefärbt mit einem scharf abgesetzten, weißen Querband über das Metanotum.
Biologie und Lebensweise
Die Art besitzt, soweit bekannt, eine Generation pro Jahr (univoltin). Die abgelegten Ootheken überwintern. Im Frühjahr schlüpfen aus den darin befindlichen Eiern die jungen Nymphen aus, die sich bis zum Spätsommer oder Frühherbst zu Imagines entwickeln. Nach der Paarung und Ablage der Ootheken sterben die Imagines im Spätherbst. In Deutschland wurden die Tiere auf Straucharten, ausschließlich im Siedlungsbereich, gefunden. In Ludwigshafen leben die Tiere in einem innerstädtischen Wäldchen. Funde liegen sonst vor aus Hausgärten, von Bahngelände, von Sträuchern entlang eines Parkplatzes und von ähnlichen Orten. Die Imagines sind mit ihren verkürzten Flügeln nur zu etwas verlängerten Sprungflügen imstande, aber nicht auf längere Strecken flugfähig. Die Ausbreitung erfolgt daher wohl vor allem mit Hilfe des Menschen (anthropochor), möglicherweise über Autos.
Verbreitung
Die Art im weiteren Sinne (Artaggregat) lebt in Nordafrika (Algerien, Marokko), in Spanien und im Süden Frankreichs. In Deutschland liegen Funde bisher aus der nördlichen Oberrheinebene, aus Rheinland-Pfalz (Koblenz, Mainz, Ludwigshafen, Worms, Neustadt a.d.W.), aus Baden-Württemberg (Heidelberg) und aus Südhessen (Bürstadt und Lampertheim) vor. Der bisher einzige englische Fund von 2011 stammt aus Hythe, nahe Dover.
Taxonomie
Die Taxonomie der Waldschaben ist noch unzureichend geklärt. Die Gattungen werden nach Merkmalen wie Flügellänge oder Färbung unterschieden, die hochgradig variabel sind und sich vermutlich vielfach konvergent ausgebildet haben. In einer taxonomischen Revision stellte der in München forschende Entomologe Horst Bohn für eine Reihe von Arten, die bisher den Gattungen Ectobius und Phyllodromica zugeordnet worden waren, die neue Gattung Planuncus auf. Diese gliedert er in zwei Artengruppen im Rang von Untergattungen, Planuncus s. str. und Margundatus. Innerhalb der Untergattung Planuncus sind drei Arten beschrieben worden:
- Planuncus tingitanus (Bolivar, 1914)
- Planuncus finoti (Chopard, 1943)
- Planuncus vinzi (Maurel, 2012)
Planuncus tingitanus wurde aus Tanger (Marokko) beschrieben, Planuncus finoti aus Ghazaouet, Algerien, Planucus vinzi im Département Lot, Frankreich. Die Beschreibungen erwähnen keine Differenzialmerkmale zwischen den Arten und stützen sich teilweise auf Merkmale, die zwischen Individuen einer Art variabel sind. Obwohl Bohn vermutet, dass alle bisher gefundenen Tiere zur selben Art gehören könnten, hat er davon abgesehen, die Arten formal zu synonymisieren, weil möglicherweise künftige Untersuchungen noch brauchbare Merkmale ergeben können. Dadurch sind heute, von den Typusexemplaren der Erstbeschreibungen abgesehen, die Individuen nicht einer der drei Arten zugeordnet worden, sondern einem weit gefassten Artenaggregat aus allen drei Arten. Sollten sich die Unterschiede nicht bestätigen, wäre der gültige Artname Planuncus tingitanus, weil diese als erste beschrieben wurde.
Literatur und Quellen
- Horst Bohn, George Beccaloni, Wolfgang H.O. Dorow, Manfred Alban Pfeifer (2013): Another species of European Ectobiinae travelling north – the new genus Planuncus and its relatives (Insecta: Blattodea: Ectobiinae). In: Arthropod Systematics & Phylogeny 71(3), S. 139–168.
- Manfred Alban Pfeifer (2015): Zwei neobiotische Waldschabenarten (Blattoptera: Ectobiinae) neu für das Bundesland Hessen (Bundesrepublik Deutschland). In: Articulata 30, S. 109–113.