Pflichtjahr
Das Pflichtjahr wurde 1938 von den Nationalsozialisten eingeführt. Es galt für alle Frauen unter 25 Jahren – sogenannte Pflichtjahrmädel/-mädchen – und verpflichtete sie zu einem Jahr Arbeit in der Land- und Hauswirtschaft. Es stand in Konkurrenz zum etablierten Landjahr sowie ab 1939 durch die Einführung des Reichsjugenddienstpflichtgesetzes zum Dienst im Rahmen des Reichsarbeitsdienstes. Dies betraf vor allem jene Jugendlichen, die bis dahin keiner Parteijugendorganisation angehörten und zudem auch keine Berufsausbildung absolvierten. Die Zwangsverpflichtung im RAD erfolgte dabei nach rein willkürlichen Richtlinien, ohne Rücksicht auf Interessen, Fähigkeiten oder Affinitäten jeglicher Art. Weder der Dienstort noch die Art der Tätigkeit standen dabei zur Auswahl.
Die Mädchen und Frauen sollten so auf ihre zukünftigen Rollen als Hausfrau und Mutter vorbereitet werden. Darüber hinaus konnte so in vielen Haushalten die fehlende Arbeitskraft der Männer, die als Soldaten im Krieg waren, kompensiert werden. Ausgenommen waren Frauen mit Kindern und Frauen, die ohnehin in diesen Bereichen arbeiteten. Ohne den Nachweis über das abgeleistete Pflichtjahr konnte keine Lehre oder anderweitige Ausbildung begonnen werden.
Grund für das Pflichtjahr laut dem NS-Regime
Die hauswirtschaftliche Ausbildung stellte die Grundlage aller Frauenberufe dar. Die Erlernung des Haushaltes war das Wichtigste, was ein Mädchen bzw. eine Frau lernen konnte. Alle Mädchen sollten einmal tüchtige Hausfrauen und Mütter werden. Die Kinder konnten nur gesund und ordentlich erzogen werden, wenn die Mutter eine tüchtige Hausfrau war. Die Hausfrau konnte nur tüchtig sein und richtig wirtschaften, wenn sie die Hauswirtschaft ordentlich erlernt hatte.[1]
Entwicklung des Pflichtjahres
Hermann Göring ordnete im Februar 1938 das sogenannte Pflichtjahr an, das im März desselben Jahres in Kraft trat. Alle Frauen unter 25 Jahren durften von privaten und öffentlichen Betrieben der Bekleidungs-, Textil- und Tabakindustrie nur dann eingestellt werden, wenn sie eine mindestens einjährige Beschäftigung in der Land- oder Hauswirtschaft nachweisen konnten. Dies galt auch für Anstellungen in Büros oder kaufmännischen Beschäftigungen. Als Alternative zum einjährigen Pflichtjahr auf dem Land konnte man auch einen zweijährigen Dienst in der Wohlfahrtspflege oder im Gesundheitssektor erbringen.[2]
In das Pflichtjahr wurde das bereits bestehende Hauswirtschaftliche Jahr eingegliedert, das im Mai 1934 veranlasst worden war, um die große Zahl an Schulabsolventinnen in eine Warteschleife zu schicken und sie so aus dem Arbeitsmarkt zu nehmen, da es zu wenige Ausbildungsplätze gegeben hatte. Die Eingliederung des Hauswirtschaftlichen Jahres diente dazu, eine Barriere aufzustellen, mit der man die Berufswahl der Frauen stärker beeinflussen konnte.[2]
Das Pflichtjahr war eine Institution, die – verglichen mit der freiwilligen Landhilfe oder dem Landdienst der Hitlerjugend – erst relativ spät eingeführt worden war. Sie unterschied sich von dem 1930 gegründeten „Frauenarbeitsdienst“, der bis 1938 auf Freiwilligkeit basierte und anfangs nur den männlichen Arbeitsdienst unterstützte. Später wurde der „Frauenarbeitsdienst“ in den „Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend“ eingegliedert und konzentrierte sich so auf die hauswirtschaftliche und ideologische Schulung junger Mädchen, und nicht auf die Erbringung einer tatsächlichen Arbeitsleistung.[3]
Der Mangel an Arbeitskräften in der Land- und Hauswirtschaft blieb bis zu Görings Einführung des Pflichtjahres ein großes Thema in der Politik. Das Pflichtjahr war eine erste Dienstverpflichtung in Zeiten einer kriegsbedingten Notlage und sollte eine schnelle Beschaffung von Arbeitskräften ermöglichen.[3]
Zunächst löste die Einführung des Pflichtjahrs Bestürzung in der Bevölkerung aus. Junge Mädchen, die nicht in land- oder hauswirtschaftlichen Berufen arbeiten wollten, oder Eltern, die für ihre Töchter andere Berufe vorgesehen hatten, waren unzufrieden mit dieser Verordnung.[2]
Im Jahr 1938 kamen rund 130.000 Mädchen aufgrund des Pflichtjahres in Land- und Hauswirtschaft sowie in Berufe, die die Pflege betrafen. Der Bedarf war damit aber nicht gedeckt. Daher verschärfte das Regime im Januar 1939 die Bestimmungen dadurch, dass nun sämtliche Branchen betroffen waren. 300.000 bis 400.000 Mädchen und junge Frauen unter 25 Jahren wurden erfasst. Zudem musste das Arbeitsamt dem Pflichtjahr zustimmen; dadurch verstärkte sich die Lenkkraft der Arbeitsverwaltung und es konnten Vorgaben gemacht werden, wo das Pflichtjahr absolviert werden musste. Durch diese Entwicklung wurde das bisher partielle Pflichtjahr, das den direkten Zugang zu einigen Berufen versperrt hatte, zu einem allumfassenden.[2]
Mit dem fortschreitenden Kriegsgeschehen kam es zu einem Positionsstreit. Die arbeitspolitischen Entscheidungsträger konnten sich bei der allgemeinen Durchsetzung der Dienstpflicht für alle nichterwerbstätigen Frauen nicht entscheiden, und bis zum Ende des Krieges kam es zu keinem Ergebnis. Die Befürworter und Gegner standen in einem Zwiespalt. Einerseits wurde die Frau als eine bedeutende Arbeitskraft für den Krieg gesehen, andererseits wurde sie in ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau wahrgenommen, und eine Dienstpflicht würde diesem Bild entgegenwirken.[3]
Literatur
- Stichwort Pflichtjahr (Pflichtjahrmädchen, -mädel), in: Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin : Walter de Gruyter, 1998, S. 465f.
- Gertrud Albrecht: Das Pflichtjahr. Berlin : Junker und Dünnhaupt, 1942 (mit einer ausführlichen Übersicht über die Rechtsgrundlagen des "Pflichtjahres", die für die Durchführung zuständigen staatlichen Stellen sowie deren Aufgaben (Deutsche Arbeitsfront, Arbeitsämter, Arbeitsgerichte) sowie die Rechte und Pflichten der betroffenen Mädchen und jungen Frauen, ihrer Eltern sowie der beteiligten Arbeitgeber/innen). PDF.
Einzelnachweise
- Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. 2. Auflage. Berlin/New York 2007, S. 465–466.
- Detlev Humann: „Arbeitsschlacht“. Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS-Zeit 1933–1939. In: Ulrich Herbert/Lutz Raphael (Hrsg.): Moderne Zeit. Neue Forschungen zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Band 23. Göttingen 2011, S. 149.
- Christina Löffler: Die Rolle und Bedeutung der Frau im Nationalsozialismus. Antifeminismus oder moderne Emanzipationsförderung? Saarbrücken 2007, S. 67.