Paul Ridder
Paul Ridder (* 5. September 1942 in Bielefeld) ist ein deutscher Psychologe und Soziologe, Dozent und Autor.
Leben
Paul Ridder studierte Soziologie und Ökonomie mit Abschluss Diplom-Soziologe an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster bei Niklas Luhmann und Helmut Schelsky. Anschließend promovierte er zum Dr. phil. bei Arnold Gehlen an der RWTH Aachen. Nach dem Zweitstudium der Psychologie an der Universität München diplomierte er in klinischer Psychologie. Schließlich habilitierte sich Ridder für Allgemeine Soziologie an der Universität Konstanz. Antrittsvorlesung über "Die Sprache des Schmerzes". Es folgte die Ernennung zum Privatdozenten.
Hochschullehrer
Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Hygiene und Arbeitsmedizin der RWTH Aachen bei H.J. Einbrodt zur Erforschung der sozialen Rolle des Fremden, insbes. Gastarbeitern. Als Research Fellow forschte Ridder ein akademisches Jahr mit J. K. Myers an der Yale University, New Haven, Conn. USA, über Methoden zur empirischen Analyse der Patientenkarriere. Er setzte seine Ausbildung fort in Kinderpsychotherapie am Eastern Pennsylvania Psychiatric Institute in Philadelphia, Pennsylvania (USA) bei Ivan Boszormenyi-Nagy und an der Philadelphia Child Guidance Clinic (PCGC)[1] bei Salvador Minuchin.
Paul Ridder wurde wissenschaftlicher Assistent an der Universität Konstanz. Ein großes empirisches Forschungsprojekt zur sozialen Rolle des Patienten im Krankenhaus ermöglichte die Robert Bosch Stiftung. Historische Untersuchungen zur Geschichte der Schmerzdefinition unterstützte die Schmeil-Stiftung. Nach einem Lehrauftrag für Sozialmedizin an der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen folgte 1982 die Lehrstuhlvertretung von Niklas Luhmann an der Universität Bielefeld, 1995 eine Gastprofessur für Gesundheitspolitik, sowie 1996 die Vertretungsprofessur für Gesundheitspolitik an der Universität Kassel. Zusammenarbeit mit Thomas Luckmann in Konstanz und Heinrich Schipperges in Heidelberg. Auch wirkte Ridder als Gutachter für öffentliche Institutionen wie das Bundesgesundheitsministerium, in der Öffentlichkeitsarbeit für Pharmafirmen, in der Soziologischen Beratung von Ärzteverbänden wie als Publizist und Verleger. Umfangreiche Publikationstätigkeit, Kolumnen und wissenschaftliche Werke zu den Sozialwissenschaften sowie zum breiten Spektrum der Gesundheitswissenschaften.
Wissenschaftliche Leistungen
Theoretische, empirische und kulturhistorische Arbeiten zu Soziologie, Sozialpsychologie und Kulturanthropologie mit dem Arbeitsschwerpunkt Gesundheitssystem und Gesundheitspolitik standen im Zentrum. Die wissenschaftlichen Arbeiten begannen mit der sozialen Rolle des Fremden dargestellt an der Lage von 4000 Gastarbeitern (1972). Es folgten die Patientenkarriere im Gesundheitssystem (1974) auf der Basis empirischer Daten, die therapeutische Interaktion in der Familientherapie in teilnehmender Beobachtung zur Erklärung der Prozesse therapeutischer Wirkung (1977), die empirische Analyse des Patienten als klinischer Fall in der Organisation des Krankenhauses (ca. 1.100 Befragte in 110 Stationen der Allgemeinen u. Psychiatrischen Krankenversorgung, 1980). Aus der intensiven Beschäftigung mit der empirischen Analyse sozialer Sinn-Systeme erwuchs ein prozessuales Verständnis sozialer Sinn-Systeme. Es wurde seit 1973 in programmatischen Arbeiten entwickelt: „Historischer Funktionalismus“, „Dynamik sozialer Systeme“ und „Messung sozialer Prozesse“. (1976)
Die Prozesse der Bearbeitung eines klinischen Falls in der Organisation des Krankenhauses („Patient im Krankenhaus“, 3 Bde.) wiesen die empirische Brauchbarkeit des wissenschaftlichen Ansatzes überzeugend nach. In der historischen Analyse gelang der Fortschritt mit Hilfe der Prüfsonde „Proportion“ („Schön und gesund: Das Bild des Körpers in der Geschichte“). Die Proportionen pythagoreischer tetraktys insbesondere erschlossen soziale Prozesse in der Kulturgeschichte („Musik für Leib und Seele“, „Sonette gegen Liebesschmerz“, „Freude. Geschichte seelischer Gesundheit“). Die Eignung der Methode zeigte sich in weiteren historischen Analysen: Morphogenese einer Hierarchie („Prozesse sozialer Macht“) oder Prozesse der Machtschöpfung („Die Falschmünzer. Vom Aufstieg des NS-Regimes“) ebenso wie bei Untersuchungen über die soziale Differenzierung der Berufe im Gesundheitssystem (Hierarchiebildung bei Chirurgen und Apothekern).
In der symbolischen Kommunikation zwischen dem sozialen, politischen und kulturellem System erwies sich der Schmerz als eine Kontrollsprache wie Einfluss, Macht und Geld („Die Sprache des Schmerzes“). In dieser Funktion bildete der Schmerz in mehr als zweitausend Jahren das Zentrum der Evolution des Gesundheitssystems („Im Spiegel der Arznei. Sozialgeschichte der Medizin“; „Kinetische Analyse historischer Prozesse. Modellfall Gesundheitssystem“). Eine Funktionsbedingung des symbolischen Mediums ist seine Legitimierung: Das Herstellen der Verbindlichkeit politischer Entscheidungen („Bezahlbare Gesundheit“) sichert den Bestand des Gesundheitssystems in der Gesellschaft.
Schriften
- Auch hier ist Arkadien. Lebensbund korporierter Studenten, 2018
- Bezahlbare Gesundheit. Der Streit um die Gesundheitsreform (2011)
- Das Sichtbare und das Verborgene. Das Apothekerbild im Spiegel der Literatur (2010)
- Sonette gegen Liebesschmerz: Bibliotherapie in der Medizingeschichte (2008)
- Musik für Leib und Seele: Musiktherapie in der Medizingeschichte (2006)
- Auf deinen Schwingen, Freude! Die Geschichte seelischer Gesundheit (2004)
- Wohltätige Herrschaft: Philanthropie und Legitimation in der Geschichte des Sozialstaats (2002)
- Der wahre Charakter des Apothekers (2000)
- Die Sprache der Ethik als Kunst der Verstellung (1997)
- Schön und gesund. Das Bild des Körpers in der Geschichte (1996)
- Gesund mit Goethe. Die Geburt der Medizin aus dem Geist der Poesie (1995)
- Chirurgie und Anästhesie. Vom Handwerk zur Wissenschaft (1993)
- Im Spiegel der Arznei. Sozialgeschichte der Medizin (1990)
- Einführung in die medizinische Soziologie (1988)
- Patient im Krankenhaus (3 Bde.): Die Trauer des Leibes; Die Teilung der Arbeit; Materialien und Statistiken (1980)
- Prozesse sozialer Macht. Bindende Entscheidungen in Organisationen (1979)
- Die Sprache des Schmerzes (1979)
- Prozess und Dynamik der Familientherapie (1977)
- Die Patientenkarriere, von der Krankheitsgeschichte zur Krankengeschichte (1974)
- Belastung und Entlastung: die Pathogenese der sozialen Rolle des Fremden (1972)
- Messung sozialer Prozesse, in: Soziale Welt, 27 (1976), S. 144–161
- Kinetische Analyse historischer Prozesse: Modellfall Gesundheitssystem, in: Historical Social Research (HSR), 25.1(2000), S.49-73
- Die Falschmünzer: Die Machtergreifung von 1930 bis 1933 aus systemtheoretischer Sicht, 2013, in: www.researchgate.net
- Mythos Mozart, in: Die Tonkunst. Magazin für klassische Musik und Musikwissenschaft, 5 (2011), Nr.1, S. 63-66
- Veränderungen im Antlitz des Charles Baudelaire, in: lendemains. Etudes comparées Sur la France, 39 (2014), Nr. 156, S. 119-130
- Ein Bildnis des unbekannten Heinrich v. Kleist, in: Heinrich v. Kleist Michael Kohlhaas, hgg., Anm., Nachwort v. Helmut Landwehr, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag 2017, S. 183–188
- Ein Jugendbildnis von Felix Mendelssohn Bartholdy (1825), in: Archiv für Musikwissenschaft, Hft. 1 (2022)
- Friedrich Hölderlin zur Genese feierlicher Wirklichkeit, 2020, in: www.researchgate.net
- Das soziale System des Petrarkismus in der Geschichte Europas, in: www.researchgate.net
- Der Schmerz als symbolische Steuerungssprache in der Geschichte des Gesundheitssystems, in: www.researchgate.net
- Heitere Gelehrsamkeit, in: www.researchgate.net