Orgel von St. Sebastian (Augsburg)

Die Koulen-Orgel v​on St. Sebastian, d​er ehemaligen Klosterkirche St. Sebastian i​n Augsburg, i​st das größte erhaltene u​nd gleichzeitig spielbar aufgestellte Instrument d​er Firma Heinrich Koulen & Sohn.[1]

Orgel von St. Sebastian (Augsburg)
Allgemeines
Ort Kloster St. Sebastian (Augsburg)
Orgelerbauer Heinrich Koulen & Sohn
Baujahr 1912
Letzte(r) Umbau/Restaurierung 1965 Änderung der Disposition und Bau eines neuen Spieltisches durch Max Offner
Epoche 20. Jahrhundert
Orgellandschaft Oberschwaben
Technische Daten
Anzahl der Register 43
Anzahl der Manuale 3
Windlade Kegelladen
Tontraktur elektropneumatisch
Registertraktur elektropneumatisch
Sonstiges
Bedeutende Organisten

Marius Beckmann (seit 2019)

Beschreibung

Im Jahr 1912 wurde das von der Firma Heinrich Koulen & Sohn erbaute Instrument mit Stücken von Alexandre Guilmant, Josef Gabriel Rheinberger, Johann Sebastian Bach, uvm. eingeweiht. Trotz ihrer deutschen Registerbezeichnungen steht die Orgel klanglich in der Tradition der späten französischen Symphonik im Stil der Firmen Mutin-Cavaillé-Coll und Joseph Merklin. Bei letztgenannter hatte Heinrich Koulen das Orgelbauhandwerk gelernt. Französische Einflüsse zeigen sich unter anderem in der Besetzung der Zungen, z. B. der Bauform der Oboe im Schwellwerk als französische Hautbois oder auch in der für deutsche Orgeln dieser Zeit ungewöhnlichen Disponierung einer Septime 117′ im Schwellwerk, die intonatorisch wenig gemein hat mit den gleichnamigen Aliquotregistern der Orgelbewegung der 1960er Jahre.[2] Deutsche Einflüsse hingegen zeigen sich in der Wahl der pneumatischen Traktur und dem Bau von zwei durchschlagenden Zungenregistern (Fagott 16′ im Schwellwerk und Posaune 16′ im Pedal). Weitere klangliche Besonderheiten der Orgel sind die zahlreichen überblasenden Register, darunter gleich zwei Flöten im Hauptwerk, eine im Unterwerk und nicht zuletzt der sonore überblasende Hauptwerksprincipal 8′ entsprechend dem französischen Register Montre 8′. Des Weiteren besitzt die Orgel die relativ seltene Zungenstimme Cor anglais 8′ mit voller Becherlänge.[3][2]

Die Koulen-Orgel i​st somit e​ine der wenigen original französisch-symphonischen Instrumente a​uf deutschem Boden u​nd besitzt aufgrund dessen e​ine überregionale Bedeutung. Zudem i​st sie d​ie größte spielbar erhaltene Orgel d​er elsässisch-deutschen Orgelbaufirma Heinrich Koulen & Sohn. Die m​it 70 Registern größte erhaltene Koulen-Orgel d​er Martinskirche Landshut befindet s​ich seit 1984 eingelagert i​m Orgelzentrum Valley.[4] Die größte Koulen-Orgel überhaupt, welche s​ich in d​er Augsburger Basilika St. Ulrich u​nd Afra befand u​nd über 73 Register verfügte, i​st nicht erhalten.[5]

Umbau 1965

Spieltisch von 1965

Im Jahr 1965 fand ein Umbau der Orgel durch die Firma Offner aus dem nahegelegenen Kissing statt. Der Eingriff ist aus heutiger Sicht im Vergleich zu anderen Umbauten jener Zeit als relativ behutsam einzustufen. Die Disposition wurde verändert, indem einige Register innerhalb der Orgel das Teilwerk wechselten oder zu Registern höherer Fußtonlage aufgerückt wurden. Aus bisher unerklärlichen Gründen wurde die Registerzahl um insgesamt zwei Register verringert. Die entsprechenden Pfeifenstöcke auf den Windladen im Haupt- und Unterwerk sind nach wie vor vorhanden, aber vakant. In einigen Fällen wurden klanglich unverändert belassene Register umbenannt, um einer weniger romantischen Lesart zu folgen. So verbirgt sich hinter dem heute als Hohlflöte 4′ beschrifteten Register im Hauptwerk nach wie vor die überblasende Harmonieflöte 4′ von 1912.[2] Trotz dieser Dispositionsänderungen wurde die Intonation aller Register 1965 nicht angetastet, weshalb der originale Klang unverändert bis heute erhalten ist. Technisch wurde die Orgel elektrifiziert und erhielt einen neuen Spieltisch von Eisenschmid. Der originale Koulen-Spieltisch wurde ohne Funktion auf der Empore belassen und ist daher ebenso erhalten.[1]

Aktuelle Situation und weiterer Ausblick

Aufgrund der Lage der Kirche etwas abseits der Augsburger Innenstadt in unmittelbarer Nachbarschaft zum MAN-Firmengelände und nach Auflösung des Kapuzinerklosters im Jahr 2008 geriet die Koulen-Orgel und ihre Bedeutung aus dem Blickfeld. Die Kirche und das Instrument werden nach wie vor für Gottesdienste von der deutschen, aber auch kroatischen Gemeinde, rege genutzt. Im Jahr 2019 trat Marius Beckmann die Stelle als Organist in den Gemeinden St. Georg und St. Sebastian an und erkannte den historischen und klanglichen Wert der Koulen-Orgel wieder. In der nächsten Zeit soll der originale Koulen-Spieltisch restauriert, elektrifiziert und wieder an die Orgel angeschlossen werden. Eine Restaurierung der Orgel ist in Planung. Des Weiteren sind Orgelkonzerte und CD-Aufnahmen geplant.[6]

Disposition seit 1965

Die Disposition s​eit dem Umbau 1965 ist:[1][2]

I Hauptwerk C–g3
1.Bourdon16′
2.Principal8′[Anm. 1]
3.Flaut major8′[Anm. 1]
4.Viola8′
5.Octave4′
6.Hohlflöte4′[Anm. 1]
7.Quinte223
8.Principal2′
9.Flöte2′
10.Mixtur V113
11.Cornet V223
12.Trompete8′
II Unterwerk C–g3
13.Rohrflöte8′
14.Quintade8′
15.Principal4′
16.Querflöte4′[Anm. 1]
17.Octave2′
18.Quinte113
19.Cymbel12
20.Cor anglais8′
III Schwellwerk C–g3
21.Hornprincipal8′
22.Gedeckt8′
23.Salicional8′
24.Vox céleste8′
25.Principal4′
26.Gemshorn4′
27.Quinte223
28.Flageolett2′
29.Terz135
30.Septime117
31.Scharff III1′
32.Fagott16′[Anm. 2]
33.Hautbois8′
Tremulant
Pedal C–f1
34.Principalbass16′
35.Violonbass16′
36.Subbass16′
37.Stillgedeckt16′[Anm. 3]
38.Quintbass1023
39.Octavbass8′
40.Gedecktbass8′
41.Choralbass4′
42.Mixturbass III223
43.Posaune16′[Anm. 2]
  • Koppeln:
    • Normalkoppeln: II/I, III/I, III/II, I/P, II/P, III/P
    • Superoktavkoppeln: III/I, I/P
  • Spielhilfen: Handregister, 2 freie Kombinationen, Crescendo-Walze, Automatisches Pedal, Zungenabsteller, Generaltutti

Anmerkungen:

  1. Überblasend.
  2. Durchschlagendes Zungenregister.
  3. Weder Transmission noch Windabschwächung, sondern eigenständiges Register!

Originale Disposition 1912–1965

Die Disposition b​is 1965 war:[3][7]

I Hauptwerk C–
1.Bourdon16′
2.Principal8′[Anm. 1]
3.Flaut major8′[Anm. 1]
4.Gamba8′
5.Dolce8′
6.Gedeckt8′
7.Quintatön8′
8.Octave4′
9.Harmonieflöte4′[Anm. 1]
10.Gemshorn4′
11.Principal2′
12.Mixtur223
13.Cornet223
14.Trompete8′
II Unterwerk C–
15.Dolce Gedeckt16′
16.Geigenprincipal8′
17.Fernflöte8′
18.Rohrflöte8′
19.Salicional8′
20.Aeoline8′
21.Traversflöte4′[Anm. 1]
22.Flageolet2′
23.Harmonia aetheria223
24.Cor anglais8′
III Schwellwerk C–
25.Lieblich Gedeckt16′
26.Hornprincipal8′
27.Konzertflöte8′
28.Viola d’amour8′
29.Vox coelestis8′
30.Violine4′
31.Hohlflöte4′
32.Quinte223
33.Piccolo2′
34.Terzflöte135
35.Septime117
36.Fagott16′[Anm. 2]
37.Oboe8′
Tremulant
Pedal C–
38.Principalbass16′
39.Violonbass16′
40.Subbass16′
41.Stillgedeckt16′[Anm. 3]
42.Quintbass1023
43.Octavbass8′
43.Gedecktbass8′
44.Cello8′
45.Posaune16′[Anm. 2]

Anmerkungen:

  1. Überblasend.
  2. Durchschlagendes Zungenregister.
  3. Weder Transmission noch Windabschwächung, sondern eigenständiges Register!

Bildergalerie

Commons: Koulen-Orgel von St. Sebastian (Augsburg) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Angaben von der Kirchenmusikwebseite.
  2. Sichtung der Orgel vor Ort.
  3. Angaben aus dem originalen Orgelbauvertrag von Koulen (vor Ort eingesehen).
  4. Koulen-Orgel der Martinskirche Landshut in Valley.
  5. Orgeldatenbank Bayern (2009).
  6. Angaben des Organisten Marius Beckmann (Stand März 2020).
  7. Heinz J. Koulen: Die Orgelbauer Koulen - Pioniere in einer Zeit des Umbruchs. Schloßverlag Valley, Valley 2006, ISBN 3-932055-02-0, S. 227.
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