Nothafen
Ein Nothafen (auch Schutzhafen, englisch port of refuge) ist ein Schiffsliegeplatz für ein in Seenot befindliches Schiff. Ein solcher Notliegeplatz kann auch ein inneres Gewässer, eine vorgelagerte Reede oder ein anderer geschützter Ankerplatz sein. Deshalb wird im Rahmen der EU und der internationalen Schifffahrtsorganisation IMO von Notliegeplätzen (places of refuge) gesprochen.[1] Seenot liegt vor, wenn aus Sicht des Kapitäns bei pflichtgemäßer Ermessensausübung eine unüberwindliche und zwingende Notlage mit Gefahr für Schiff, Ladung oder darauf befindliche Menschen besteht.[2]
Zweck
Brennende oder Leck geschlagene Schiffe sollen möglichst schnell an einen sicheren Liegeplatz gebracht werden, um dort Rettungsmaßnahmen durchführen zu können. Die Gefahr für die Meeresumwelt soll dadurch ebenfalls reduziert werden.
Rechtlicher Hintergrund
Verschiedene Länder haben in bilateralen Verträgen sogenannte Notstands-Klauseln, in denen die gegenseitige Hilfe bei Seenot, Strandung/Grundberührung und Schiffbruch zugesichert wird. Jedoch können die Staaten mit dem Verweis auf die Gefährdung ihrer Meeresumwelt die Einfahrt in ihre Gewässer und Nothäfen verweigern.
Sowohl die Internationale Seeschifffahrts-Organisation als auch die Europäische Union haben Richtlinien und Vorschriften über die Passage beschädigter und in Seenot geratener Schiffe aufgestellt. Diese gelten bisher nur für Notfälle in küstennahen Gewässern. Jedoch traf genau dieser Fall z. B. auf die 2012 im Atlantik havarierte und in europäische Gewässer geschleppte MSC Flaminia nicht zu.[3]
Europäisches Nothafen-Konzept
Nachdem in 2012 die havarierten MSC Flaminia und die MT Stolt Valor aufgrund befürchteter Umweltschäden wochenlang keine Notliegeplätze anlaufen durften, erarbeitete die EU mit der European Maritime Safety Agency (EMSA) bis 2016 neue operative Richtlinien (EU Operational Guidelines on Places of Refuge).[4][5]
Deutschland
Die Hafenkapitäne und Wasserstraßen- und Schifffahrtsämter melden Liegeplätze an das Havariekommando. Dieses entscheidet im Einvernehmen mit den Landes- und Bundesbehörden bei komplexen Schadenslagen anhand von Parametern wie Art und Ladung des Schiffs, Verfügbarkeit von Sachverständigen, Notfallplänen und Risikoanalyse über den Zugang zu einem geeigneten Liegeplatz. Für den Massenanfall von Patienten werden nach dem Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften von 2005 bei den Häfen der Städte Bremen, Bremerhaven, Hamburg, Kiel, Rostock und Wilhelmshaven Kernkapazitäten für den Infektionsschutz vorgehalten.[6]
Weblinks
- Maritime Notfallvorsorge, Bundesministerium für Verkehr
- Places of Refuge, Europäische Kommission
- "Places of refuge" - addressing the problem of providing places of refuge to vessels in distress, UN International Maritime Organization (IMO)
Siehe auch
Literatur
- Aldo Chircop und Olof Linden (Hrsg.): Places of Refuge for Ships – Emerging Environmental Concerns of a Maritime Custom. BRILL 2005, ISBN 978-90-47-41764-4.
- Inken von Gadow-Stephani: Der Zugang zu Nothäfen und sonstigen Notliegeplätzen für Schiffe in Seenot. Geleitwort Rainer Lagoni. Berlin : Springer, 2006 ISBN 978-3-540-30518-7 Diss. Universität Hamburg, 2005
- Anthony P. Morrison: Places of Refuge for Ships in Distress: Problems and Methods of Resolution. Nijhoff Publishers, Leiden 2012, ISBN 978-90-04-21889-5.
- Wenzhi Yang: A study on the legal problems related to places of refuge. World Maritime University, 2006.
- Gesetz zur Notliegeplatzverordnung (NotLPlVbgG)
Einzelnachweise
- Inken von Gadow-Stephani: Der Zugang zu Nothäfen und sonstigen Notliegeplätzen für Schiffe in Seenot. Springer 2006, ISBN 978-3-540-30518-7, S. 62.
- Inken von Gadow-Stephani: Der Zugang zu Nothäfen und sonstigen Notliegeplätzen für Schiffe in Seenot. S. 236.
- Rettender Hafen Wilhelmshaven im Tagesspiegel, 11. September, 2012
- Places of Refuge: An overview. Safety4Sea, 21. Juni 2018, abgerufen 5. September 2019.
- Places of Refuge - EU Operational Guidelines, safety4sea, Februar 2018, abgerufen 7. September 2019.
- Was ist ein Notliegeplatz?. Kompass 2019, abgerufen 12. September 2019.