Noise (Musik)
Noise (engl. für „Geräusch“, „Krach“, „Lärm“) bezeichnet ein Musik(sub)genre, das klassische Elemente der Musik wie den reinen Ton oder den Klang weitgehend bis vollständig durch Geräusche ersetzt. Damit einher geht meist der Verzicht auf Strukturen wie Melodien oder, je nach Interpret, mehr oder weniger auch auf Rhythmus.
Musikalische Eingrenzung
Der wörtlichen Übersetzung ungeachtet ist Noise nicht unmittelbar mit den klassischen Geräuschmusiken wie dem Bruitismus oder der Musique concrète verwandt, deren jeweiliger Ausgangspunkt echte Geräusche wie Eisenbahnen, Motorengeräusche waren, die arrangiert und häufig mit klassischen Instrumenten kombiniert wurden. Insbesondere im Bruitismus wurden die Geräusche zusätzlich auch weniger ob einer musikalischen Qualität gewählt, sondern hatten eine programmatische Bedeutung, da sie auf Fortschrittssymbole wie Lokomotiven, Automobile, Maschinen und Ähnliches verwiesen.
Noise hingegen arbeitet meist mit abstraktem Geräusch, das nur selten referenziert. Fast allen Noise-Musikern ist das Bestreben eigen, das verwendete Instrumentarium bzw. Schallereignis in seinem typischen Klang zum Verschwinden zu bringen (Whitehouse verwendeten z. B. anfangs defekte oder extrem übersteuerte Synthesizer). Viele Bands und Musiker begannen zwar noch mit einem klassischen Rock-Band-Instrumentarium, das sie stark verfremdet gebrauchten, stellten aber in den frühen 1980er Jahren auf Synthesizer und in den 1990er Jahren auf Computer um. Entscheidend dafür war nicht nur allein eine größere Freiheit bei der Geräuscherzeugung, sondern vor allem die Möglichkeit, extrem kompakte und dichte Geräusche zu erzeugen, regelrechte Walls of Sound (deutsch: „Klangmauern“); die erzeugten Geräusche sollen „nicht nur das Ohr, sondern den gesamten Körper“ angreifen und den Hörer traumatisieren.[1] Daneben existiert eine Strömung von Noise-Musikern, die es aus unterschiedlichen Gründen (z. B. DIY-Ethos) ablehnen, moderne Geräte zu verwenden.
Noise intendiert in seiner Anlage somit weniger ein klassisch musikkompositorisches Muster, als eher eine Art Klangbildhauerei.
Geschichte
Als Inspiration für das Genre gilt unter anderem das Album Metal Machine Music von Lou Reed aus dem Jahr 1975. Weitere Entwicklungen fanden Ende der 1970er Jahre statt. Zentrum in dieser Phase war vor allem England, wo sich durch die Impulse des frühen Industrial schnell eine Gruppe eigenständiger Acts bildete, die zwar noch als Industrial firmierte und auch die Ästhetik des klassischen Industrial à la Throbbing Gristle oder SPK teilte, musikalisch aber bereits vollständig andere Wege ging, die sie mit dem Begriff Power Electronics vom Industrial schied. Herausragend war dabei insbesondere die Szene um das Londoner Label Come Organisation mit stilprägenden Bands wie Come, Whitehouse, Nurse with Wound, dem Italiener Maurizio Bianchi (a.k.a Sacher-Pelz, MB, Leibstandarte SS MB) oder Sutcliffe Jügend (die sich personell teils überschnitten).
Das zweite wichtige Zentrum des Noise war Japan. Die ersten Bands wurden 1979 gegründet, sie entstanden mehr vor einem Hintergrund von Free Jazz, Freier Improvisation und Krautrock. Daher sind die Noisekollagen sehr tiefschichtig, im Gegensatz zu dem monotoneren Power Electronics. Der japanische Noise wird auch oft als „Japanoise“ bezeichnet. Die meisten Aktiven kamen aus der sogenannten Kansaiszene um Osaka und Kyōto (Hijokaidan[1], Auschwitz), aber auch in Tokio gab es eine Szene (Merzbow, The Stalin). Weitere wichtige frühe Japanoise-Bands waren Hanatarash, Masonna[1], K.K. Null[1] und Gerogerigegege. Die meisten Noise-Aufnahmen wurden über kleine Mailorder-Verlage vertrieben und waren oft kreativ und aufwendig gestaltet. So entstanden viele oft unkatalogisierte Aufnahmen, die in geringen Auflagen verteilt wurden. Besonders Merzbow veröffentlichte vermutlich über 500 Alben auf diesem Weg. Beispielsweise kann hier sein Album 1930 angeführt werden. 2001 veröffentlichte Merzbow die Merzbox mit 50 Alben. Das Tellus Audio Cassette Magazine aus New York war in den 80ern ein wichtiges Dokument der Noise-Bewegung.
Aber auch in anderen Ländern waren frühzeitig Noise-Musiker aktiv, so z. B. Boyd Rice (aka NON)[2], The Haters, Coup de grâce[3] und Slogun aus den USA; das Mauthausen Orchestra aus Italien sowie zeitweise P16.D4 und Asmus Tietchens in Deutschland.
In den frühen 1990er Jahren schien der Noise laut Will I und Rose (Cthulhu Records, Ernte), von Nurse with Wound und einigen anderen Projekten „endgültig auf der Stelle zu treten“, „musikalisch und auch gestalterisch [sei] eigentlich nur noch reproduziert und kopiert worden“.[4]
Musikbeispiele
Maurizio Bianchi veröffentlichte 2005 mit dem Album Blut und Nebel einen Remix seiner ersten zehn LPs (aus technischen Gründen mussten die Tracks in drei Teile gespalten werden):
- Blut Und Nebel, CD 1, Teil 1
- Blut Und Nebel, CD 1, Teil 2
- Blut Und Nebel, CD 1, Teil 3
Bedeutende Projekte, Musiker und Bands
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Wichtige Labels
- Ant-Zen
- Auf Abwegen
- Blossoming Noise
- Cold Meat Industry
- Come Organisation
- Mego
- Old Europa Cafe
- RRRecords
- Soleilmoon
- Staalplaat
- Tesco Organisation
Siehe auch
- Wikipedia:WikiProjekt Industrial und Noise
- Industrial
- Rhythm ’n’ Noise
- Noise-Rock
Literatur
- Paul Hegarty: Noise/Music. A History. Continuum, New York NY u. a. 2007, ISBN 978-0-8264-1726-8.
- Kai Ginkel: Noise – Klang zwischen Musik und Lärm. Transcript, Bielefeld 2017, ISBN 978-3-8376-3928-5.
Einzelnachweise
- Allen S. Weiss: Experimental Sound & Radio, Cambridge, Massachusetts: MIT Press 1996, S. 169.
- Andreas Diesel, Dieter Gerten: Looking for Europe. Neofolk und Hintergründe, 2. Auflage, Index Verlag 2007, ISBN 978-2-910196-67-7, S. 192.
- Andreas Diesel, Dieter Gerten: Looking for Europe. Neofolk und Hintergründe, 2. Auflage, Index Verlag 2007, ISBN 978-2-910196-67-7, S. 175.
- Andreas Diesel, Dieter Gerten: Looking for Europe. Neofolk und Hintergründe, 2. Auflage, Index Verlag 2007, ISBN 978-2-910196-67-7, S. 34.
- Gulaggh ist eine Band, welche als meisten menschen als Noise bezeichnen würden
- Andreas Diesel, Dieter Gerten: Looking for Europe. Neofolk und Hintergründe, 2. Auflage, Index Verlag 2007, ISBN 978-2-910196-67-7, S. 164.