No. 5 Elbe
Die No. 5 Elbe (früher zeitweilig: Wandervogel und später übersetzt: Wander Bird) ist ein Lotsenschoner und eines der wenigen erhaltenen Segelschiffe aus der Ära des Holzschiffbaus in Hamburg. Im Juni 2019 lag sie nach einer Kollision auf der Unterelbe für gut eine Woche auf dem Grund der Schwinge (Elbe).[1] Sie konnte gehoben werden und wird seither instand gesetzt.
Geschichte
Der Zweimaster wurde bei H. C. Stülcken Wwe in Hamburg gebaut und lief 1883 vom Stapel. 30 Jahre lang diente der Gaffelschoner zur Überführung von Lotsen in der Elbmündung und der Deutschen Bucht. Der Schoner ist 37 Meter lang, 6 m breit und hat eine Segelfläche von 427 m2.
1924 wurde das Schiff außer Dienst gestellt und an die Firma A. Rickmers abgegeben. 1927 erwarb die Hamburger Ortsgruppe der Jugendbewegung Wandervogel das Schiff und veräußerte es bereits ein Jahr später an die Eigentümergemeinschaft Müller/Svensen. 1928 ging das Schiff in amerikanischen Privatbesitz über und wurde – als Lehnübersetzung des zwischenzeitlichen deutschen Namens Wandervogel – auf den Namen Wander Bird umgetauft.[2] Als Privatyacht überquerte es den Atlantik 13-mal, darunter 1930 mit dem später als Segler und Schriftsteller bekanntgewordenen Irving Johnson als Besatzungsmitglied, der bei dieser Reise seine spätere Frau kennenlernte.[3]
Warwick M. Tompkins umrundete mit dem Schiff 1937 Kap Hoorn: Mit ihren sechs- und vierjährigen Kindern Ann und Warwick sowie fünf weiteren Besatzungsmitgliedern verweilte die Familie Tompkins aufgrund eines Sturms 28 Tage in der Kap-Hoorn-Region, bevor sie den 50. Breitengrad erreichte und mit dem Südostpassat nach San Francisco gelangte.[4] Tompkins hat die Reise in einem 27-minütigen Film dokumentiert, das Deutsche Schifffahrtsmuseum stellt einen Auszug davon zur Verfügung. Weitere Pazifik-Überquerungen schlossen sich an.
2002 erwarb die Stiftung Hamburg Maritim das Schiff in Seattle und brachte es wieder zurück in die Hansestadt. Es wurde von Grund auf saniert, der gemeinnützige Verein Jugend in Arbeit Hamburg e. V. investierte weit über 1.000 Arbeitsstunden. Im Winter 2005/2006 wurden die gesamte Antriebsanlage, große Teile des Achterschiffs und des Vorstevens erneuert. Danach fuhr das Schiff wieder unter seinem alten Namen Elbe. Die Segelaufschrift „ELBE“ und „5“ verweist auf das Einsatzgebiet und auf die laufende Nummer 5 von ehemals insgesamt elf Lotsenschonern. Auf dem Schoner konnten zuletzt Tagesfahrten auf der Elbe oder Mehrtagestörns auf der Nord- und Ostsee unternommen werden. Das Schiff gehört der Stiftung Hamburg Maritim und wird vom Förderverein „Freunde des Lotsenschoners No. 5 Elbe e. V.“ betrieben.
Nach einem achtmonatigen Aufenthalt zur Restaurierung im dänischen Hvide Sande, bei dem die No. 5 Elbe für 1,5 Millionen Euro unter anderem neue Außenplanken und einen neuen Achtersteven erhielt,[5] kehrte der Lotsenschoner am 29. Mai 2019 nach Hamburg zurück.[6]
Kollision
Zehn Tage nach Abschluss der Restaurierung kollidierte die No. 5 Elbe am 8. Juni 2019 um 13:54 MESZ auf der Unterelbe auf Höhe Stadersand mit dem 132 m langen Feederschiff Astrosprinter. Das Traditionsschiff, das nach der Überholung nur noch bis Windstärke 5 für Tagestörns zertifiziert war, war bei vorhergesagter Windstärke 5 bis 6 mit 15-köpfiger Besatzung und 28 Fahrgästen zunächst von Hamburg aus elbabwärts gesegelt. Die Schiffsführung kannte weder die aktuelle Wettervorhersage des DWD noch die geänderte Zertifizierung, ein vorhandener NAVTEX-Empfänger wurde nicht genutzt.
Der Schoner befand sich bei Wind aus Südsüdwest in einem nordwestwärts fließenden Abschnitt der Elbe, vorschriftsmäßig auf der rechten Seite des Fahrwassers, wo er auch regelmäßig von größeren Frachtschiffen überholt wurde, als er planmäßig umkehren sollte. Dies hätte erreicht werden können durch ein Anluven, um zunächst das Fahrwasser annähernd rechtwinklig zu queren, und eine anschließende Wende auf Kurs elbaufwärts. Der Schiffsführer, ein 82-jähriger pensionierter Elblotse, ließ die Wende jedoch sofort einleiten und gab die Anweisung, danach auf die nächste grüne Tonne, also den dann richtigen Rand des Fahrwassers, zuzuhalten. Während der Wende riss von beiden gesetzten Vorsegeln zuerst die Schot, mit der die Fock zunächst noch back gehalten wurde, dann das Schothorn des Innenklüvers, schließlich riss sich die Fock auch von der Arbeitsschot los. Dies beanspruchte die Aufmerksamkeit der Schiffsführung, die jedoch auch die Maschine startete. Ein Ausguck war nicht eingeteilt. Der Rudergänger hielt das Schiff nach der Wende hart am Wind. Obwohl der fehlende Druck in den Vorsegeln hier sogar günstig wirkte, reichte dies aber ohne eine weitere Wende zurück auf den anderen Bug bis zur nächsten Flussbiegung nur aus, um der Richtung der Elbe zu folgen. "Die nächste grüne Tonne" war so nicht erreichbar und der Schoner segelte auf der falschen Fahrwasserseite. Ein begegnender Frachter, der letztlich in nur ca. 30 Metern Entfernung passierte und dann die Verkehrszentrale über den "Geisterfahrer" informierte, funkte ihn wegen der gefährlichen Fahrweise erfolglos an. An Bord der Elbe 5 war jedoch seit der mit Verlassen Hamburgs erfolgten Umstellung auf den Funkkanal für den entsprechenden Streckenabschnitt weder ein Funkspruch empfangen noch ein AIS-Signal gesendet worden. Dies änderte sich erst mit dem Senden des Mayday-Rufes nach der Kollision wieder. Ob ein technischer Defekt oder eine Fehlbedienung ursächlich war, ist unklar. Der Kapitän war jedenfalls nicht im Besitz des erforderlichen Funkbetriebszeugnisses.
Der Schiffsführung der mit zwei Seemeilen Abstand auf den ersten Frachter folgenden Astrosprinter, die den einseitigen Funkverkehr mitgehört hatte, erschien der Raum zwischen Elbe 5 und dem rechten Rand des Fahrwassers zu gering. Sie ging außerdem davon aus, dass der Schoner wie die Astrosprinter selbst weiter dem Fahrwasser folgen würde, was zu einer Begegnung Steuerbord an Steuerbord führen würde und richtete sich darauf ein. Dies ist, obwohl hier genaugenommen nicht von den geltenden Verkehrsbestimmungen gedeckt, mit Absprache der beteiligten Schiffsführungen gängige Praxis. Jedoch unternahm die Astrosprinter weder den Versuch, mit der Elbe Funkkontakt aufzunehmen, noch gab sie ein entsprechendes Schallsignal. Der Schiffsführer der Elbe 5 beabsichtigte dagegen weiter hart am Wind zu bleiben und so die einsetzende Krümmung des Flusses zum Wechsel der Fahrwasserseite zu nutzen, ohne zu erkennen, dass er so dem begegnenden Schiff keinen ausreichenden Raum ließ, und obwohl er mit nun laufender Maschine wieder jeden beliebigen Kurs steuern konnte. Damit kamen die Schiffe in der Krümmung der Elbe in Höhe des Kernkraftwerks Stade auf Kollisionskurs. Entsprechend ihrer vorherigen Annahmen versuchten beide im Manöver das letzten Augenblicks nochmals in die gleiche Richtung auszuweichen.[7]
Dennoch erkannte jemand auf dem Schoner, dass die andere Richtung sinnvoller wäre, was an dem Ruf „Hart backbord“, bei dessen korrekter Befolgung ein Ausweichen noch möglich gewesen wäre, auf einem Video im Internet zu hören ist. Die Pinne wird allerdings entsprechend der Intentionen von Kapitän und Steuermann des Schoners dann tatsächlich so gelegt, dass das Schiff in Richtung Steuerbord und damit doch direkt vor den Bug des Containerschiffs steuert.[8][9] Der Lotsenschoner wurde glücklicherweise bei der Kollision nicht unter das Containerschiff gedrückt, sondern nach dem Auftreffen auf dessen Bugwulst an dessen Seite. Die Astrosprinter erlitt Lackschäden an der Steuerbordseite des Bugwulstes, während beim hölzernen Lotsenschoner der Kiel, mehrere Spanten und der Fockmast brachen.
Durch Zufall waren Rettungskräfte aufgrund eines vorhergehenden Einsatzes in unmittelbarer Nähe der Kollisionsstelle und konnten rasch Hilfe anbieten. Nach der Havarie wurde die No. 5 Elbe bei schwerem Wassereinbruch in den Mündungsbereich der etwa 0,6 Seemeilen entfernten Schwinge geschleppt, wo sie zunehmend tiefer im Wasser liegend kurz vor Niedrigwasser vor der Pier von Stadersand auf Grund lief. Laut dem Einsatzleiter waren seit der Havarie weniger als zwölf Minuten vergangen. Alle 43 an Bord befindlichen Personen konnten gerettet werden, acht Personen wurden überwiegend leicht verletzt.[7] Aus dem Havaristen, der mit dem nächsten Hochwasser sank, lief Schiffsdiesel aus, der durch eine Ölsperre aufgefangen wurde.[10] Die No. 5 Elbe wurde acht Tage später durch ein spanisches Unternehmen mittels Hebekissen am Rumpf gehoben.[11] Der Auftrag zur Reparatur wurde an die Peters Werft vergeben. Nach der Schadensbegutachtung und der Genehmigung des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts Hamburg für den Transport am Schlepperhaken, wurde die Überführung nach Wewelsfleth mittels Schlepper am 21. Juni 2019 durchgeführt.[12][13] Anschließend wurde der Rumpf des Lotsenschoners in Dänemark in der „Hvide Sande Shipyard“ überholt, von wo er am 6. Oktober 2020 zurück nach Hamburg geschleppt wurde.[14]
Am 2. Juni 2021 veröffentlichte die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung den zur Sache gehörigen Untersuchungsbericht 211/19[7]. In diesem sieht sie ein Fehlverhalten der Schiffsführung des Lotsenschoners als hauptursächlich. Hierüberhinaus formuliert die BSU jedoch auch Kritik an der Verkehrszentrale Brunsbüttel, der Form der Erteilung des Sicherheitszeugnisses durch die BG Verkehr, sowie der zu diesem Zeitpunkt geltenden Traditionsschiffverordnung.
Technische Daten
- Takelung: Schoner
- Baujahr: 1883
- Heimathafen: Hamburg
- Werft: H. C. Stülcken Sohn, Hamburg - Steinwerder
- Länge: 25,32 m
- Gesamtlänge: 37 m
- Breite: 5,95 m
- Tiefgang: 3,66 m
- Segelfläche: max. 427 m²
- Rumpf: Eichenholz
- Ruderanlage: Pinne
- Motor alt: General Motors 471 Diesel (158 PS)
- Motor neu: 2 × Volvo-Penta DS130 mit je 130 PS
Literatur
- Warwick M. Tompkins: Fifty South to Fifty South. The Story of the Voyage West around Cape Hoorn in the Schooner Wander Bird, Ox Bow Press, Woodbridge, Connecticut 1938; Nachdruck im selben Verlag im Jahre 2000 ISBN 1-881987-16-7 LCC No. 00-103 234
- Warwick M. Tompkins: Two Sailors and Their Voyage Around Cape Hoorn, 1939 LCC No. G463.T63; deutsch: Zwei Kinder segeln um Kap Horn, übersetzt von Annemarie Menzner von Weiss, 1950
Weblinks
- Offizielle Website der No. 5 ELBE
- Newsletter der Stiftung Hamburg Maritim mit Bericht zur Restauration (PDF; 762 kB)
- Havarie auf der Elbe: "No. 5 Elbe" gesunken
- Foto
Einzelnachweise
- Bob Geisler, Stefan Walther, Franziska Coesfeld, Christoph Heinemann: Lotsenschoner "No.5 Elbe" sinkt bei Havarie auf der Elbe. In: www.abendblatt.de. Hamburger Abendblatt, 8. Juni 2019, abgerufen am 8. Juni 2019.
- John Riise: The sinking of Wander Bird. In: Latitude 38. 10. Juni 2019, abgerufen am 2. Dezember 2021 (englisch).
- Remembering Exy. In: Cruising World. April 2005, ISSN 0098-3519, S. 20 (google.de).
- Erdmann Braschos: Die Kap-Hoorn-Familienarche. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 11. November 2010 (faz.net [abgerufen am 6. Dezember 2021]).
- Eckart Gienke: Drama um "No 5 Elbe". In: Die Welt. 11. Juni 2019 (welt.de [abgerufen am 6. Dezember 2021]).
- Die "No. 5 Elbe" ist zurück in Hamburg. In: www.ndr.de. 30. Mai 2019, archiviert vom Original am 3. Juni 2019; abgerufen am 6. Dezember 2021.
- Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (Hrsg.): Untersuchungsbericht 211/19 - Sehr schwerer Seeunfall - Kollision zwischen Traditionsschiff No.5 ELBE und Containerschiff ASTROSPRINTER auf der Elbe am 8. Juni 2019. 2. Juni 2021 (bsu-bund.de [PDF]).
- "No 5 Elbe" Videeo. Die letzten Sekunden vor der Kollision. In: Die Welt. 14. Juni 2019 (welt.de [abgerufen am 6. Dezember 2021]).
- Daniel Wüstenberg: Containerfrachter versenkt Traditionssegler – Video zeigt Moment vor dem Crash. In: Stern. 14. Juni 2019 (stern.de [abgerufen am 6. Dezember 2021]).
- Robert Hehlert: Gesunkener Lotsenschoner - THW Cuxhaven wird zur Ölschadensbekämpfung beim gesunkenenen Lotsenschoner Elbe No. 5 in Stade eingesetzt. In: www.thw-cuxhaven.de. Technisches Hilfswerk, 10. Juni 2019, abgerufen am 6. Dezember 2021.
- Eine Woche nach Havarie: Historischer Lotsenschoner „No. 5 Elbe“ schwimmt wieder. In: Focus. 17. Juni 2019 (focus.de [abgerufen am 6. Dezember 2021]).
- Historisches Segelschiff «No. 5 Elbe» zur Werft geschleppt. In: Die Welt. 21. Juni 2019 (welt.de [abgerufen am 6. Dezember 2021]).
- Tina Kielwein: Lotsenschoner "No. 5 Elbe" Havarierter Lotsenschoner wird repariert. In: Yacht. 25. Juni 2019 (yacht.de [abgerufen am 6. Dezember 2021]).
- Nina Gessner: Ein Jahr nach dem Unfall: Lotsenschoner „No.5 Elbe“ auf dem Weg nach Hamburg. In: Hamburger Morgenpost. 6. Oktober 2020 (mopo.de [abgerufen am 6. Dezember 2021]).