Neom
Neom (arabisch نيوم Niyum, DMG Niyōm; Zusammensetzung aus „neo“ (altgriechisch νέος néos, deutsch ‚neu‘) und „m“ (arabisch مستقبل mustaqbal ‚Zukunft‘))[1] ist eine von der Regierung Saudi-Arabiens beabsichtigte Planstadt mit angeschlossenem Technologiepark im Nordwesten des Landes unweit des Golfs von Akaba sowie an der Küste des Roten Meeres.
Neom نيوم | |
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Lage von Neom | |
Bauwerk | Megastadt |
Koordinaten | 28° 17' 15" N 34° 50' 42" O |
Staat | Saudi-Arabien |
Provinz | Provinz Tabuk |
Größe | 26.500 km² |
Ankündigung | 24.10.2017 |
Initiator | Mohammed bin Salman |
Offizielle Website | www.neom.com |
Hintergrund
Initiiert wurde das als künftige Megastadt konzipierte Projekt, das am 24. Oktober 2017 in Riad erstmals vorgestellt wurde, durch den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Es ist als Meilenstein in der Zukunftsplanung des Landes für die Ära nach der Ölförderung gedacht. Das Projekt soll rund 420 Milliarden Euro kosten und ist ein Versuch Saudi-Arabiens, seine Einkünfte im Zuge des weltweiten Einbruchs der Ölpreise im Jahr 2014 zu diversifizieren. Das gesamte Projekt ist Teil der „Vision 2030“. Es ist nicht das erste Mal, dass sich das Land zum Aufbau einer Planstadt verpflichtet hat. Zum Zeitpunkt der Projektvorstellung waren weitere vier Megastädte, darunter die King Abdullah Economic City (KAEC), in Bau.
Für Neom sind Investitionen in Höhe von bis zu 500 Milliarden US-Dollar vorgesehen, für die Saudi-Arabien garantiert.[2] Ein Großteil des Geldes soll vom saudischen Staatsfonds PIF (Public Investment Fund) finanziert werden. Zur Finanzierung beitragen soll der Börsengang von Saudi Aramco.[3] Ein Ziel des Projekts ist es, ausländisches Kapital und Investoren in das Königreich zu holen.[4] Gefördert werden sollen neue Ökonomiebereiche, um die saudische Wirtschaft für die Zukunft auf eine breitere Grundlage zu stellen, darunter Biotechnologie, Energie und Wasser sowie die mediale Entwicklung.[5]
Beworbene Eigenschaften
Für Neom ist ein 26.500 Quadratkilometer großes Gebiet vorgesehen[6] (etwa so groß wie Mecklenburg-Vorpommern), welches im Nordwesten des Landes am Roten Meer und an der Grenze zu Ägypten und Jordanien liegt. Vorgesehen ist die Querung über die Straße von Tiran mit einer Brücke zwischen den Inseln Tiran und Sanafir, die lange Zeit zwischen Saudi-Arabien und Ägypten umstritten waren. Mit der Brücke entstünde eine Landverbindung von Nordafrika auf die Arabische Halbinsel und damit nach Vorderasien unter Umgehung Israels.[7]
Neom soll eine unabhängige Wirtschaftszone werden, die über ein eigenes Rechts- und Steuersystem verfügt, aber politisch nicht souverän ist.[8]
Neom soll seinen Energiebedarf ausschließlich aus Wind- und Sonnenkraft speisen. Das Projekt hat zum Ziel, die Wirtschaft Saudi-Arabiens unabhängiger vom Öl zu machen. Es ist Teil des Wirtschaftsumbauvorhabens „Vision 2030“. 2025 soll der erste Bauabschnitt fertiggestellt sein. Geleitet wird das Projekt von dem deutschen Manager Klaus Kleinfeld als Vorstandschef der Projektgesellschaft.
Dienstleistungen und Standardprozesse sollen „zu 100 Prozent automatisiert“ sein und „von Robotern ausgeführt“ werden.[9][10]
Elemente von Neom
Neom Bay
Neom Bay soll der erste realisierte Teil von Neom werden. Hierzu wurde 2019 bereits der internationale Flughafen Neom eröffnet.[11]
The Line
Im Januar 2021 wurde The Line vorgestellt, eine 170 km lange Bandstadt für 1 Million Einwohner. Oberhalb eines schnurgeraden unterirdischen Verkehrswegs, der nur von einer Hochgeschwindigkeits-U-Bahn sowie autonom fahrenden Fahrzeugen befahren werden soll, sollen „city modules“ entstehen, innerhalb derer kein Fußweg länger als fünf Minuten dauern soll. Oberirdischer Verkehr bleibt Fußgängern und Radfahrern vorbehalten. Eine Reise mit der U-Bahn soll von einem Ende zum anderen in 20 Minuten möglich sein.[12][13]
Luftverkehr
Am 1. Dezember 2021 wurde bekannt, dass für Neom bei der baden-württembergischen Firma Volocopter zehn Flugtaxis und fünf Schwerlastdrohnen bestellt wurden.[14]
Reaktionen
In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur bezeichnete Sebastian Sons von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik das Projekt als „Versuch, Saudi-Arabien in Bezug auf Modernität und wirtschaftliche Entwicklung international in die ‚Pole Position‘ zu rücken“. Ein „neues Silicon Valley“ solle entstehen. Das Ausmaß des Projekts sei gigantisch.[15]
Die Journalistin und Nahostexpertin Gudrun Harrer meint, dass man es trotz „PR-Maschinerie“ und wenig konkreter Angaben nicht als bloßen Werbegag abtun könne, wenn der Kronprinz des streng salafistischen Königreichs erkläre, „auf einen moderaten Islam setzen zu wollen“.[16]
Der Schweizer Journalist und Nahostexperte Fredy Gsteiger verweist darauf, dass es in Saudi-Arabien an eigenem Kapital, qualifizierten Arbeitskräften und transparenten Standards fehle, um das Projekt zu realisieren. Nun solle „eine Art Hype kreiert“ werden, um ausländische Investoren anzulocken. Ähnliche Großprojekte wie Masdar in Abu Dhabi zeigten, dass dies scheitern könne.[17]
Kritik
Die Süddeutsche Zeitung (SZ) berichtete im Mai 2020 über den Widerstand alteingesessener Beduinen gegen das Projekt. Es gebe Berichte von Zwangsräumungen, immer mehr Stammesangehörige setzten sich gegen die Pläne zur Wehr. Die saudische Menschenrechtsorganisation Alqst berichtet von mehreren Verhaftungen von Stammesmitgliedern, die sich weigerten, ihre Häuser zu verlassen. Besonders öffentlichkeitswirksam ging Abdulrahim al-Howeiti vor, der sich in einer Videobotschaft an seine Landsleute wandte. Seine Heimat stehe zum Verkauf – kurz darauf wurde er getötet. Abdulrahim gehört dem al-Howeitat-Stamm an, der seit Jahrhunderten den Südwesten Jordaniens, den Sinai und den Nordwesten Saudi-Arabiens besiedelt.
In einem Video erzählt er, dass seine Heimatstadt Al-Khuraybah als eine der ersten weichen soll. Er sprach von „Zwangsumsiedlung“ und „Staatsterror“ und rechnete mit Mohammed bin Salmans Herrschaft ab: Die einheimische Bevölkerung müsse verschwinden, um mehr als einer Million Ausländern ein Luxusleben zu ermöglichen.[18] Seitdem reißt die Kritik am Vorgehen der Behörden nicht ab. Die Menschenrechtsorganisation Alqst wirft ihnen vor, die Ermordung „zu vertuschen“, indem sie Mitglieder seines Stammes mit fünfstelligen Summen bestechen würden, um ihn zu verleugnen und „ihre Treue zu erneuern“.
Die SZ-Autorin Dunja Ramadan beschreibt den Konflikt auch als einen um das alte und neue Saudi-Arabien. Mohammed bin Salmans Umgang mit alteingesessenen Stämmen könnte viele Saudis verärgern, denen der Wandel und die Öffnung zu schnell gehe.[19]
Siehe auch
Weblinks
- Offizielle Website
- Ruth Michaelson: ‘It’s being built on our blood’: the true cost of Saudi Arabia’s $500bn megacity. The Guardian, 4. Mai 2020
- Frank Gardner: Saudi tribe challenges crown prince's plans for tech city. BBC, 23. April 2020
- Vertreibung für die Mega-City Spiegel Online, 22. Juni 2020
Einzelnachweise
- What does Saudi Arabia’s mega project ‚NEOM‘ actually stand for? In: al-Arabiya. 24. Oktober 2017, abgerufen am 28. Oktober 2017 (englisch).
- Sven Clausen: 500 Milliarden Dollar für Neom: Ex-Siemens-Chef Kleinfeld soll Saudi-Arabiens Megacity bauen. In: Spiegel Online. 24. Oktober 2017, abgerufen am 24. Oktober 2017.
- Gabriel Knupfer: Neom: Saudi-Arabien plant die Stadt der Zukunft. In: Handelszeitung. 26. Oktober 2017, abgerufen am 1. November 2017.
- Saudi-Arabien plant Megastadt, größer als Steiermark plus Kärnten. In: Der Standard. 24. Oktober 2017, abgerufen am 28. Oktober 2017.
- Saudi-Arabien plant Megastadt. In: Sächsische Zeitung. 24. Oktober 2017, abgerufen am 27. November 2018.
- Aziz El Yaakoubi, Marwa Rashad: Saudi Crown Prince launches zero-carbon city in NEOM business zone. In: Reuters. 11. Januar 2021 (reuters.com [abgerufen am 29. Januar 2021]).
- Ex-Siemens-Chef soll für Saudi-Arabien futuristische Megastadt planen. In: sueddeutsche.de. 24. Oktober 2017, abgerufen am 25. Oktober 2017.
- NEOM. Abgerufen am 24. Oktober 2017.
- Saudi-Arabien will für 500 Milliarden eine Megastadt bauen. In: faz.net. 24. Oktober 2017, abgerufen am 30. Oktober 2017.
- Peter Brors, Thomas Jahn: Klaus Kleinfelds arabisches Märchen. In: handelsblatt.com. 25. Oktober 2017, abgerufen am 30. Oktober 2017 (Artikelbeginn frei abrufbar).
- Neom Bay, Saudi Arabia opens to commercial traffic. Abgerufen am 29. Januar 2021 (englisch).
- „The Line“ in Saudi-Arabien: Eine Stadt wie eine Ader. In: Baublatt. 13. Januar 2021, abgerufen am 29. Januar 2021.
- Florian Siebeck: Was für ein Ding! Eine Linie von Stadt. In: FAZ.NET. 26. Januar 2021, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 30. Januar 2021]).
- dpa: Volocopter aus Bruchsal soll Flugtaxis und Lastdrohnen für Saudi-Arabien liefern. Badische Zeitung, 1. Dezember 2021, abgerufen am 3. Dezember 2021.
- Ein Zeichen an den Westen – für 500 Milliarden Dollar, Sebastian Sons im Gespräch mit Dieter Kassel. In: Deutschlandfunk Kultur. 26. Oktober 2017, abgerufen am 28. Oktober 2017.
- Gudrun Harrer: Saudi-Arabien zwischen Megalomanie und Reform. In: Der Standard. 28. Oktober 2017, abgerufen am 30. Oktober 2017 (Analyse).
- Isabelle Maissen: «Neom» – Stadt der Zukunft: Mehr als eine Fata Morgana? In: SRF. 25. Oktober 2017, abgerufen am 23. Oktober 2018 (Interview).
- Middle East Eye: Killing of Saudi activist exposes tensions over Neom megacity project. You Tube, 17. April 2020 (abgerufen am 14. Mai 2020)
- Dunja Ramadan: „Auf Sand und Blut gebaut.“ In: Süddeutsche Zeitung (Ressort Politik), 12. Mai 2020 (auch SZplus).