Naschid
Naschid (arabisch نشيد, DMG našīd (Singular), أناشيد, DMG anāšīd (Plural); arabisch für Hymne oder Lied[1]; englisch Nasheed; Nasyid in Malaysia und Indonesien bzw. Ilahija in Bosnien-Herzegowina) ist die Bezeichnung für islamische Lobpreise und Hymnen, welche den Lob Allah[s], des Propheten oder die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft zum Inhalt haben. Als religiöses Liedgut dienen sie neben dem Ghazal vorrangig der Glaubensbekräftigung im Islam. Die Instrumentalisierung umfasst traditionelle wie elektronischer Musikinstrumente. In einigen Liedtexten werden Koranverse rezitiert. Gegenstand der Anaschid ist neben dem Lobpreis die Bitte um göttlichen Beistand und die Einhaltung religiöser Pflichten wie der Bewährung im irdischen Leben.
Naschid in der Gegenwart
Als populäre zeitgenössische Sänger von Anaschid im klassischen Stil gelten Ahmed Bukhatir aus den VAE, der Koranrezitator Mischari Raschid al-Afasi aus Kuwait oder Muhammad Al Kurdi aus dem Irak sowie Maher Zain aus Schweden wie Sami Yusuf aus Aserbaidschan. Die Anaschid von Zain und Yusuf tragen Einflüsse westlicher Populärmusik (Soul, R&B oder Pop) und werden auch in englischer Sprache gesungen. Sängerinnen wie Nissa Sabyan aus Indonesien oder Selma Bekteshi aus Albanien erreichen gleichfalls ein breites Publikum mit ihre Anaschid. Weiterhin sind Kinder wie Ayisha Abdul und Hasbi Rabbi Jallallah als Sängerinnen erfolgreich. Die deutschsprachigen Anaschid zeigen deutliche Einflüsse des Sprechgesangs aus dem Hip-Hop.
Innerislamische Diskussionen über den Instrumenteneinsatz oder Anpassungen an die kommerzielle Populärmusik zeigen die große Bedeutung der Loblieder innerhalb der islamischen Musik. Letztlich überwiegt eine sehr große musikalische, sprachliche und instrumentelle Praxis.
Außerislamische Missinterpretation
Die mediale wie institutionelle Wahrnehmung des Nasheed im deutschsprachigen Raum führte zu einer krassen Fehlinterpretation des sakralen Liederguts im Islam als Gattungsbegriff für Kampflieder salafistischer Jihadisten. So behauptete der Islamwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders wahrheitswidrig, dass „heute […] Naschids oft islamistische Mobilisierungs- und Durchhaltelieder“[2] seien und Mehmet Koc bestimmte diese fälschlicherweise als Hymnen des Salafismus. Gleichfalls setzte die liberale Muslima Elham Manea pauschal Nasheed mit „Lieder der Muslimbrüder“[3] gleich. Ebenfalls trug der Islamwissenschaftler Guido Steinberg zur Falschdarstellung bei, als er die keineswegs traditionelle, sondern in der muslimischen Hörerschaft gängige Bedeutung des Naschid als Lobgesang ohne thematische Einengung auf Kampflieder plakativ in „Dschihad-Hymnen“[4] im Sinne der kriegerischen Anstrengung umbenannte. Gleichfalls verengt Stefan Goertz den Begriff, wenn er einseitig von „salafistischen und jihadistischen Kampfgesängen“ spricht. Die gehäufte Missinterpretation, nicht nur in Populärwerken, ist in der unreflektierten Übernahme der Begriffsauswahl von Verfassungsschutzbehörden begründet, deren Essentialisierung und Alteritätsvorstellungen seitens einiger deutschsprachiger Wissenschaftler nicht kritisch überprüft wurde. Sehr wohl wurden und werden Anaschid mit kämpferischen Inhalt zur teils kriegerischen Motivation komponiert, jedoch stellt dies nur ein Spektrum der Lobgesänge dar, womit sich eine Verkürzung der Gattung auf martialische Musik, gar auf eine einzige islamische Strömung wie die des Salafismus verbietet. Kämpferische Anaschid wurden unter anderem von Imam Alimsultanov (1957–1996) anlässlich des ersten Tschetschenienkrieges gesungen.
Naschid im Salafismus
„Naschids sind A-cappella-Gesänge mit religiösen Inhalten und haben eine lange Tradition. Unter anderem wurden sie von mystischen islamischen Richtungen wie dem Sufismus genutzt. Gerade in den letzten Jahren bedienen sich Salafisten der Naschids.“[5] Die salafistisch-jihadistische Anaschid, welche ihre Botschaft vom kriegerischen Märtyrertum im Sinne eines militanten Salafismus dem Hörer unterbreiten, stellen eine erfolgreiche Mobilisierungsstrategie des islamistischen Terrorismus dar. In der salafistischen Islamistenszene werden jene „Kampf-Naschids“[6] als Propaganda- und Kampflieder für den gewaltsamen Dschihad gegen die sogenannten Ungläubigen verbreitet.[7] Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) setzte im März 2012 erstmals drei im Internet weit verbreitete Dschihad-Lieder auf den Index (Liste der jugendgefährdenden Medien). Es handelt sich um islamistische Kampflieder von Denis Cuspert, der früher als Rapper unter dem Namen Deso Dogg auftrat.[8]
Bekannte Naschids
- Rahman und Mustafa von Mischari Raschid al-Afasi.
- Allahu Akbar und La ilahe illallah von Imam Alimsultanov.
- Ya Adheeman, liyakun und Taweel Al shawq von Ahmed Bukhatir.
- Allahumma salli ala Muhammad und Make me Strong von Sami Yusuf.
- Tamanna von Ehsaan Tahmid.
- My Hope von Muhammad Al Muqit.
- Ya Nabi Salam Alayka von Maher Zain.
- Dā də bātorāno kor, gesungen von Mullah Faqir Muhammad Darwesh (Taliban).
- Salil al-Sawarim, weitverbreitester Naschid des IS.
Weblinks
Einzelnachweise
- Hans Wehr: Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart : Arabisch – Deutsch, 5. Auflage, Harrassowitz-Verlag, Wiesbaden, 2015, ISBN 978-3-447-06584-9, S. 1273.
- Thorsten Geralds Schneiders: Islamistische Radikalisierung. Wie Musik Dschihadisten formt. in: Deutschlandfunk, 29. August 2016
- Manea, Elham: Der alltägliche Islamismus. Terror beginnt, wo wir ihn zulassen. Kösel Verlag, München 2018
- Steinberg, Guido: Al-Qaidas deutsche Kämpfer. Die Globalisierung des islamistischen Terrorismus. Edition Körber-Stiftung 2014.
- Inan, Alev: Jugendliche als Zielgruppe salafistischer Internetaktivitäten, in: Salafismus in Deutschland. Jugendkulturelle Aspekte, pädagogische Perspektiven. Springer, Wiesbaden 2016, S. 109.
- Schwert im Ohr, Bericht von Alex Marshall in Der Freitag Ausgabe 47/14 vom 24. November 2014, abgerufen am 1. Januar 2015
- Vom Gangster-Rap zum Jihad-Aufruf – radikalisierende Hymnen „neugeborener“ Salafisten (Memento vom 11. Dezember 2013 im Internet Archive), Lageanalyse des Verfassungsschutz Berlin, September 2011
- „Islamistische Kampflieder auf den Index gesetzt“, Die Welt, 16. März 2012