Multiple-Streams-Ansatz
Der Multiple-Streams-Ansatz wurde im Jahr 1984 vom US-amerikanischen Politikwissenschaftler John W. Kingdon entwickelt. Im Politikzyklus wird dieses Modell beim Agenda Setting eingeordnet. Denn mittels dieses Modells soll in der Politikfeldanalyse erklärt werden, warum manche Themen auf die politische Agenda gelangen – und schließlich zu politischen Entscheidungen führen – und warum dies bei anderen nicht der Fall ist. Das Modell betont, dass die Agendagestaltung weniger durch einen rationalen Prozess zustande kommt, dem eine gründliche Problemdefinition vorausgeht, als dass sie vielmehr stark vom Zufall geprägt ist.
In diesem Ansatz wird von drei unabhängigen Strömen ausgegangen, die auch mithilfe von Politikunternehmern durch ein Policy-Window verbunden werden und so ein Thema auf die politische Agenda bringen können. Diese drei Ströme sind:
- Problem-Strom
- Politics-Strom (Strom der Entscheidungsprozesse)
- Policy-Strom (Strom der Lösungsvorschläge)
Der Problem-Strom umfasst alle jene Zustände, die gleichzeitig in einem politischen System gehandelt werden und um Anerkennung konkurrieren. Dabei können Probleme unter anderem durch fokussierende Ereignisse oder Feedbacks zu politisch relevanten Problemen werden. Ein fokussierendes Ereignis mit Einfluss auf die Umweltpolitik war etwa die Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011, die zu einem Aufschwung der Umweltparteien und Diskussionen über einen möglichen Atomausstieg führte. Ein anderes Beispiel ist die Flüchtlingskrise in Europa ab 2015, mit der mitunter das Erstarken der rechten, konservativen Parteien erklärt werden kann.
Der Politics-Strom wird durch politische Prozesse definiert wie die Nationale Stimmung, die Machtverteilung der organisierten Interessen oder auch durch Regierungswechsel. Als Beispiel für die Machtverteilung kann die Kompetenzverteilung zwischen der Legislative und der Exekutive oder auch die Stärke von Interessenverbänden, respektive der vierten Gewalt in einem politischen System, genannt werden.
Der Policy-Strom besteht sodann aus einem Wettlauf von Ideen, bei denen es um die technische Durchführbarkeit und die normative Akzeptanz geht. Diese Ideen werden von Policy-Spezialisten in Netzwerken entwickelt (z. B. durch Bürokraten, Interessenvertreter, Wissenschaftler, Think-Tanks, Ideologen und Stiftungen). Da solche Ideen teilweise sogar bereits vor der Problemerkennung ausgearbeitet werden, spricht man hier auch von "solutions in search of problems" (Deutsch etwa „Lösungen auf der Suche nach Problemen“).
Ein Policy Window (auch Window of Opportunity, Deutsch etwa Möglichkeitsfenster) kann sich durch ein Ereignis vor allem im Problem-Strom oder im Politics-Strom, z. B. eine Krise oder einen Regierungswechsel, öffnen. Öffnet es sich, können dadurch die drei Ströme verbunden werden, sodass die Wahrscheinlichkeit für eine Entscheidung steigt.
Politikunternehmer versuchen aktiv, diese drei Ströme zu verbinden. Prominente Beispiele sind Angelina Jolie, Bono, Bob Geldof, George Clooney, aber auch Al Gore.
Eine Stärke dieses Modells ist es, die Agendagestaltung und Politikergebnisse erklären zu können, wenn einerseits beispielsweise nach Wahlen Akteurskonstellationen wechseln oder anderseits die zentralen Akteure unklare Präferenzen besitzen.
Literatur
- John W. Kingdon: Agendas, Alternatives and Public Policies. Little, Brown and Company, Boston 1984.
- Roger Cobb: Review: John W. Kingdon: Agendas, Alternatives and Public Policies. In: Journal of Health Politics, Policy and Law Band 10, Nr. 2, 1985, S. 410–414.