Mit der Faust in der Tasche
Mit der Faust in der Tasche ist ein sozialkritischer italienischer Spielfilm in Gestalt einer Familientragödie. Die Produktion aus dem Jahre 1965 wurde von Marco Bellocchio inszeniert, der hier sein Regiedebüt gab.
Film | |
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Titel | Mit der Faust in der Tasche |
Originaltitel | I pugni in tasca |
Produktionsland | Italien |
Originalsprache | Italienisch |
Erscheinungsjahr | 1965 |
Länge | 103, 105, 108 Minuten |
Altersfreigabe | FSK 18 |
Stab | |
Regie | Marco Bellocchio |
Drehbuch | Marco Bellocchio |
Produktion | Enzo Doria |
Musik | Ennio Morricone |
Kamera | Alberto Marrama |
Schnitt | Aurelio Mangiarotti |
Besetzung | |
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Handlung
Im Mittelpunkt des Geschehens steht eine italienische Mittelschichtfamilie, die in vielerlei Hinsicht krank und einem inneren Verfall ausgesetzt ist. Und doch wird mit aller Macht nach außen hin versucht, den Schein der Wohlanständigkeit aufrechtzuerhalten: Die Mutter ist erblindet, drei ihrer Kinder leiden unter epileptischen Anfällen, allen voran der ebenso intelligente wie narzisstische Alessandro. Lediglich der älteste Sohn Augusto ist vollkommen gesund. Diese Gesundheit wird von dem jüngeren Bruder Alessandro mutmaßlich ebenso geneidet wie Augustos soziale Vormachtstellung innerhalb des Familiengefüges. Dies ist die Ausgangssituation.
Augustos Freundin Lucia zeigt ihm einen anonymen Brief, den sie erhalten hatte. In ihm legt der Anonymus Lucia nahe, sich von Augusto zu trennen, denn die Absenderin sei von ihm schwanger, und damit habe er sich auch zu ihr zu bekennen. Augusto ist augenblicklich klar, dass nur seine Schwester Giulia die Verfasserin des Schreibens sein kann. Als er sie mit seiner Vermutung konfrontiert, streitet Giulia diesen Sachverhalt auch nicht ab. Sie habe dieses Schreiben in bester Absicht aufgesetzt, denn weder mag sie Lucia, noch, dass sie eine Beziehung mit ihrem Bruder führt. Augusto würde gerne mit Lucia in die nahe gelegene Stadt ziehen, kann sich aber keine Wohnung leisten und lässt deshalb die übrigen Familienmitglieder spüren, dass er der Einzige ist, der sich normal integrieren könnte, wenn er sich für diese „kaputte“ Familie nicht verantwortlich fühlen würde und man ihn ließe.
Vor allem auf den intelligenten Alessandro hat Augustos Präsenz nachhaltige Auswirkung. Dessen tiefe Unzufriedenheit mit seinem direkten Umfeld wächst zu einem Hass an, der in eine finale Rebellion gegen die in der Familie hochgehaltenen Lebenslügen mündet, sodass er eines Tages seine Mutter wie auch seinen Bruder Leone umbringt. Ob dies ein Befreiungsversuch zum Wohle des “normalen” Augusto ist oder vielmehr eine Auflehnung gegen dessen “Normalität” und die dadurch zementierte, interfamiliäre Dominanz, bleibt ungewiss. Die halbseitig gelähmte Giulia, der sich Alessandro anschließend anvertraut hat, handelt zunächst unerwartet. Sie ist nicht etwa verschreckt oder angewidert, vielmehr fasziniert sie dessen Handlungsweise. Bald aber hat sie die Befürchtung, auch Opfer Alessandros zu werden. Als der Bruder wieder einen seiner epileptischen Anfälle hat, kommt sie ihm, obwohl in unmittelbarer Nähe befindlich, nicht zur Hilfe, sondern lässt ihn – ob Ausdruck ihrer Befreiung oder schlicht das körperliche Unvermögen aufgrund ihrer Teillähmung bleibt unklar – sterben.
Produktionsnotizen
Mit der Faust in der Tasche wurde am 28. Juli 1965 im Rahmen des Internationalen Filmfestivals von Locarno uraufgeführt. Massenstart in Italiens Kinos war der 31. Oktober 1965. Am 5. Dezember 1969 konnte man Mit der Faust in der Tasche erstmals in Deutschland sehen.
Der Film wurde mit mehreren Preise ausgezeichnet; so erhielt er beispielsweise 1965 in Locarno das Silberne Segel. Für Hauptdarsteller Lou Castel war dies die erste Filmhauptrolle.
Kritiken
Die Kritik reagierte auf diesen Erstling des erst 26-jährigen Bellocchio überaus wohlwollend.
Reclams Filmführer urteilte: „Das grausige und grausame Spiel steht als Zeichen für die Dekadenz einer bürgerlichen Ordnung, deren Verteidiger ihren Untergang durch blinden Aktionismus noch beschleunigen. Doch diese gesellschaftskritischen Bezüge sind – zum Vorteil des Films – niemals ausdrücklich betont. Sie ergeben sich, beiläufig und zwangsläufig zugleich, aus der erstickenden Atmosphäre einer einsamen alten Villa, deren Bewohner dumpf dahinvegetieren. Bellocchio hat die Stationen der Handlung mit brutaler Deutlichkeit gestaltet. (…) "I pugni in tasca" ist der Beginn einer neuen Entwicklung im italienischen Film geworden, ein Vorbild für Regisseure, die sich kritisch mit den Grundlagen der italienischen Gesellschaft auseinandersetzen.“[1]
Im Lexikon des Internationalen Films steht geschrieben: „Marco Bellocchios Regiedebüt erzählt von der nahezu hoffnungslosen Situation der italienischen Nachkriegsgeneration, die sich mit anarchischer Zerstörungswut ihre Unabhängigkeit von psychischen und sozialen Zwängen verschaffen will. Ein wütendes Pamphlet von beeindruckender Radikalität und Konsequenz.“[2]
Buchers Enzyklopädie des Films resümierte: „Bellocchios erster Film ist rätselhaft. In einer politischen Interpretation erscheint er als eine Analyse der Stagnation der zeitgenössischen, italienischen Gesellschaft, doch besitzt die Geschichte auch für sich einen Aussagewert. Von Amateuren oder Schauspielschülern gespielt, vermittelt er das Klaustrophobische der Familie und ihrer Beziehungen mit einer Intensität, die bemerkenswert ist.“[3]
Im Ankündiger der Bellocchio-Retrospektive Oktober 2012 im arsenal kino heißt es: „Bellocchios furioses Debüt war nichts weniger als ein Frontalangriff auf die italienische Nachkriegsgesellschaft, ihre bürgerlich-starren Moralvorstellungen, ihre hohlen Konventionen und heuchlerische Frömmigkeit. Fern der offiziellen Filmindustrie entstanden und mit einfachsten Mitteln realisiert, beeindruckt der Film nach wie vor. Unnachgiebig wird hier die Familie als Keimzelle sozialer und gesellschaftlicher Missstände seziert.“[4]
Der Evangelische Film-Beobachter zog folgendes Fazit: „Am mikrosozialen Modell des Niedergangs einer italienischen Adelssippe artikuliert Marco Bellocchio seine psychopathologische Studie eines Epileptikers sowie seine Kritik an gewissen in seinem Lande bestehenden Ordnungen. Wer dieses extreme Konzept als übertragbares Beispiel akzeptiert, wird sich der Ausstrahlung von Bellocchios ebenso kraftvoll-naturalistischer wie subtiler Inszenierung nicht entziehen können.“[5]
Einzelnachweise
- Reclams Filmführer, von Dieter Krusche, Mitarbeit: Jürgen Labenski. S. 481. Stuttgart 1973.
- Mit der Faust in der Tasche. In: Lexikon des internationalen Films. Filmdienst, abgerufen am 7. Oktober 2015.
- Buchers Enzyklopädie des Films, Verlag C. J. Bucher, Luzern und Frankfurt/M. 1977, S. 621.
- Mit der Faust in der Tasche auf arsenal-berlin.de
- Evangelischer Presseverband München, Kritik Nr. 53/1970
Weblinks
- Mit der Faust in der Tasche in der Internet Movie Database (englisch)
- Mit der Faust in der Tasche in bretzelburger.blogspot.de