Meinen Jesus lass ich nicht
Meinen Jesus lass ich nicht ist ein evangelisches Kirchenlied. Es handelt vom unbedingten Vertrauen des Christen zu Jesus Christus. Den Text schrieb Christian Keimann 1658. Die heute gebräuchliche Melodie komponierte Johann Ulich 1674. Im Evangelischen Gesangbuch hat es die Nr. 402, Rubrik „Glaube – Liebe – Hoffnung. Geborgen in Gottes Liebe“.
Entstehung
Christian Keimann (1607–1662), ein fruchtbarer pädagogischer und religiöser Autor, war seit 1638 Gymnasialrektor in Zittau und hatte 1651 schon den kaiserlichen Ehrentitel Poeta laureatus erhalten, als er Meinen Jesum laß ich nicht verfasste. Das Lied findet sich erstmals in Andreas Hammerschmidts Chorbuch Fest-, Buß- und Danklieder von 1658 und dürfte nicht viel früher entstanden sein. Anlass war der Tod des sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. am 8. Oktober 1656. Dieser hatte auf dem Sterbebett im Gespräch mit seinem Seelsorger Jakob Weller mehrfach den Bekenntnissatz gesagt, der zum Titel und roten Faden von Keimanns Lied wurde.[1] Die Anfangsbuchstaben der letzten Strophe J–G–C–Z–S ergeben die Initialen von „Johann Georg Churfürst zu Sachsen“.[2]
Inhalt
Keimann konzipierte das Lied vollständig auf den Kernsatz hin, erstens als Anfangszeile, zweitens durch die Anfangswörter der Strophen 1–5 (Akrostichon, vgl. Befiehl du deine Wege), drittens als Schlusszeile aller sechs Strophen, viertens, abgewandelt, als Anfangszeile der zweiten und der letzten Strophe.
Der Satz ist kein direktes Bibelzitat, wird jedoch schon in den Leichenpredigten Jakob Wellers für den Kurfürsten ausführlich auf den nächtlichen Kampf Jakobs mit dem Engel, der Gott selbst repräsentiert, bezogen (Gen 32,27 ), also auf eine radikale Konfliktsituation des Gottvertrauens. Keimanns Entfaltung – dem Ausgangssatz entsprechend in der Ich-Form, ohne Bezug auf die Gemeinschaft der Gläubigen – beginnt bei der Selbsthingabe Jesu am Kreuz, die eine „klettenweise“[3] Anhänglichkeit des Menschen fordere und bewirke, für den Jesus starb. Die zweite Strophe bezieht diese Anhänglichkeit auf die Gestaltung des „Erdenlebens“, die dritte auf Leiden und Todeskampf, die vierte nimmt ihre Vollendung in der seligen Gottesschau vorweg. Die fünfte Strophe formuliert die Sehnsucht nach Jesus, dem „Licht“, die alle anderen Wünsche als nichtig erscheinen lässt, und nimmt erneut Bezug auf die Versöhnungstat Jesu, bevor die letzte Strophe alles zusammenfasst.
Text im Evangelischen Gesangbuch
1. Meinen Jesus[4] lass ich nicht,
weil er sich für mich gegeben,
so erfordert meine Pflicht,
unverrückt für ihn zu leben.[5]
Er ist meines Lebens Licht;
meinen Jesus lass ich nicht.
2. Jesus lass ich nimmer nicht,
hier in diesem Erdenleben;[6]
ihm hab ich voll Zuversicht,
was ich bin und hab, ergeben.
Alles ist auf ihn gericht’;
meinen Jesus lass ich nicht.
3. Lass vergehen das Gesicht,
Hören, Schmecken, Fühlen weichen,
lass das letzte Tageslicht
mich auf dieser Welt erreichen:
wenn der Lebensfaden[7] bricht,
meinen Jesus lass ich nicht.
4. Ich werd ihn auch lassen nicht,
wenn ich nun dahin gelanget,
wo vor seinem Angesicht
meiner Väter[8] Glaube pranget.
Mich erfreut sein Angesicht;
meinen Jesus lass ich nicht.
5. Nicht nach Welt, nach Himmel nicht
meine Seel sich wünscht und sehnet,[9]
Jesus wünscht sie und sein Licht,
der mich hat mit Gott versöhnet,
mich befreiet vom Gericht;
meinen Jesus lass ich nicht.
6. Jesus lass ich nicht von mir,
geh ihm ewig an der Seiten;
Christus lässt mich für und für
zu dem[10] Lebensbächlein leiten.
Selig, wer mit mir so spricht:
Meinen Jesus lass ich nicht.
Melodien und musikalische Bearbeitungen
In der Erstveröffentlichung ist dem Lied eine Melodie von Andreas Hammerschmidt zugeordnet, die noch im 18. Jahrhundert gebräuchlich war. Sie liegt Johann Sebastian Bachs Choralsatz BWV 380 und Bearbeitungen in den Kantaten 70, 154, 157, 163 und am Schluss des ersten Teils der Frühfassung der Matthäus-Passion zu Grunde, vor allem aber der Choralkantate 124.
Noch im 19. Jahrhundert galt Johann Crügers Melodie Jesus, meine Zuversicht als die Melodie für Keimanns Text.[12]
Die heute – spätestens seit dem Deutschen Evangelischen Gesangbuch – mit Meinen Jesus lass ich nicht ausschließlich verbundene Melodie komponierte Johann Ulich 1674. Sie gibt dem Text vor allem durch die Terzbetontheit der beiden Anfangszeilen einen „zärtlichen“ Klang. Max Reger legte sie seiner spätromantischen Choralkantate Meinen Jesum laß ich nicht (1906) zu Grunde.
Literatur
- Konrad Klek: 402 – Meinen Jesus lass ich nicht. In: Martin Evang, Ilsabe Alpermann (Hrsg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Nr. 22. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2016, ISBN 978-3-525-50345-4, S. 76–80, doi:10.13109/9783666503450.76 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
Weblinks
Einzelnachweise
- Weller bezog sich darauf mehrfach in seinen Gedächtnispredigten für den Kurfürsten, so am 16. Oktober 1656 in Dresden (Digitalisat).
- belegt z. B. 1787 und 1843; das erklärt den Wechsel von „Jesus“ (Zeile 1) zu „Christus“ (Zeile 3).
- Strophe 1, Zeile 4, Originalversion. – Jakob Weller berichtet in seiner Gedächtnispredigt vom Oktober 1656, die Mutter des verstorbenen Kurfürsten habe auf ihrem Sterbebett (1622) gesagt: „Ich will mich als eine Klette an den Rock der Barmherzigkeit Jesu Christi anhangen“ (Digitalisat).
- 1693: „Jesum“; vgl. Jesus – Deklination
- 1693: „klettenweis an ihm zu kleben“
- 1693: „weil ich soll auf Erden leben“; der temporale Gebrauch von „weil“ (= „derweil“) ist heute unverständlich.
- 1693: „der letzte Faden“
- Keimann schrieb „meiner Eltern Glaube pranget“ und machte damit den sterbenden Kurfürsten direkt zum lyrischen Ich des Liedes. Die späteren Änderungen dieser Stelle tragen der Tatsache Rechnung, dass manche Sänger des Liedes noch lebende Eltern haben und andere vielleicht ungläubige (1693: „frommer Christen“).
- vgl. Ps 73,25
- 1693: „den“
- in heutigen Gesangbüchern veränderte Textzeile
- Goltz, 1843