Massaker von Wiriyamu
Das Dorf Wiriyamu in der nordmosambikanischen Provinz Tete wurde durch ein dort von portugiesischen Soldaten begangenes Massaker bekannt, dem im Dezember 1972 fast die gesamte Bevölkerung mehrerer weiterer Dörfer zum Opfer fiel. Durch die folgende internationale Berichterstattung wurde das Interesse der Weltöffentlichkeit im Jahr vor der Nelkenrevolution auf die Verbrechen der portugiesischen Kolonialkriege gelenkt.
Die Situation des Befreiungskampfes
Die FRELIMO, die sozialistisch geprägte Befreiungsbewegung gegen die Kolonialherrschaft, die zunächst nördlich des Sambesi operiert hatte, eröffnete 1968 und verstärkte 1971 den Guerillakampf in den südlicher gelegenen Teilen der Provinz Tete, ursprünglich in der Absicht, das Staudammprojekt von Cabora Bassa zu verhindern. In der Schlussphase dieses Konfliktes reagierten das Militär und die Geheimdienste zunehmend repressiver und brutaler. Dem Massaker von Wiriyamu waren in den Dörfern am Sambesi seit 1971 eine ganze Reihe von Strafaktionen und Gräueltaten der portugiesischen Streitkräfte vorausgegangen, die von engagierten Missionaren in diversen Berichten dokumentiert werden konnten, deren Kenntnis aber über lokale kirchliche Vorgesetzte und behördliche Dienststellen zunächst nicht hinaus gelangten.[1] Von vermutlich vielen anderen hat die Welt nie erfahren; erst das vielfältig und umfassend dokumentierte Morden von Wiriyamu drang ins Medieninteresse und damit Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit vor.
Das Massaker
Am 16. Dezember 1972 bombardierten zwei Militärflugzeuge die Dörfer Wiriyamu[2] und Juwau, die 25 km südöstlich von Tete in der Nähe des Sambesi liegen. Kurz darauf drangen Soldaten der 6. Kompanie der portugiesischen Kolonialstreitkräfte in Wiriyamu sowie einigen benachbarten Dörfern ein und erschossen deren einheimische Einwohner einschließlich der Frauen und Kinder oder verbrannten sie in ihren Hütten. Noch am gleichen Tag ermordete das Kommando 53 Einwohner des Dorfes Chawola. Die Aktionen waren von exzessiven Grausamkeiten begleitet.[3]
Der von den Militärs Operation Marosca genannte Einsatz war von der Geheimpolizei DGS, einer Nachfolgeorganisation der berüchtigten PIDE, angestiftet worden und wurde von deren Agent Chico Kachavi geleitet, der später, noch während eines gegen ihn eingeleiteten Verfahrens, durch ein Attentat umkam. Seiner Aussage nach lautete der Auftrag, alle Bewohner zu töten. Die Mannschaften waren aus schwarzen und weißen Soldaten gemischt, die Offiziere waren ausschließlich weiß.
Die Zahl der Toten wird mit etwa 300 bis 500 Personen oder einem Drittel der Bewohner angegeben.[4]
Reaktionen
Zwei Patres des Spanischen Instituts für Auslandsmission, in Deutschland auch als „Burgos-Priester“ bekannt, unter ihnen Vicente Berenguer Llopis, der am Tag nach dem Massaker nahe dem verwüsteten Dorf den wenigen Überlebenden zufällig begegnet war, stellten in den folgenden Tagen detaillierte Berichte über die von den Hinterbliebenen, aber auch von portugiesischen Soldaten gemachten Aussagen zusammen. Eine daraufhin vom Generalgouverneur zugesagte Untersuchung fand nie statt. Zwei wegen ihrer Kritik aus Mosambik ausgewiesene spanische Patres schmuggelten einen der Berichte nach Europa, wo der britische Theologe und Historiker Adrian Hastings davon erfuhr und ihn der Times zum Abdruck anbot. Dort erschien er am 10. Juli 1973 auf der ersten Seite.[5] Das war eine Woche vor den Feierlichkeiten zum 600-jährigen Bestehen der Anglo-portugiesischen Allianz, zu der Marcelo Caetano, der portugiesische Premierminister, anreiste. Eine entsprechend aufgeregte und durchaus noch kontroverse Mediendiskussion folgte.[6] Am 20. Juli 1973 wurde Hastings vor dem UN-Sonderausschuss für Entkolonialisierung angehört.[7] Einen Monat später brachte der Spiegel mit einer Titelgeschichte[8] an die deutsche Öffentlichkeit, was kurz zuvor die Patres Vicente Berenguer Llopis und Julio Moure in einem Interview bei einem Besuch in der deutschen Bundeshauptstadt noch einmal ausführlicher berichtet hatten. Anders als Hastings waren die beiden ja Gewährsleute, die unmittelbar Kontakt mit den Betroffenen gehabt hatten.[9]
Auch wenn das Militär und die Regierung Portugals das Massaker leugneten und eigene Untersuchungsberichte unterschlugen, andere Akteure die Verbrechen der FRELIMO in die Schuhe zu schieben versuchten[10] oder konservative Teile der deutschen Presse zunächst noch den portugiesischen Positionen folgten, wurden Publizisten, Kirchenvertreter und immer mehr auch deutsche Politiker gegen den Kolonialkrieg in Afrika mobilisiert.[11] So trugen die Enthüllungen dazu bei, das portugiesische Regime zu isolieren und der Nelkenrevolution den Weg zu ebnen. Wiriyamu spielte für Mosambik also eine ganz ähnliche Rolle wie das Massaker von Mỹ Lai im Vietnamkrieg.[12][13]
Literatur
- Adrian Hastings: Wiriyamu. Search Press, London 1974, ISBN 0-85532-338-8.[14]
- Adrian Hastings: Wiriyamu. (Reihe: Stichwörter zu Afrika Nr. 42), Nürnberg 1974, ISBN 3-7839-0068-9.[15]
- Franz Ansprenger et al. (Hrsg.): Wiriyamu: eine Dokumentation zum Krieg in Mozambique. (Reihe: Entwicklung und Frieden, Materialien, Nr. 2) Kaiser und Mainz. Matthias-Grünewald-Verlag, München 1974, ISBN 978-3-459-00903-9.[16]
Einzelnachweise
- Hastings, Wiriyamu (dt.), S. 59–76; Ansprenger, S. 33–35.
- Wiriyamu war das größte Dorf einer Ansammlung von Ortschaften („Gebiet des Häuptlings Gandali“) im Dreieck zwischen dem Luenha-Fluss, dem Sambesi, in den der Luenha mündet, und der Straße von Beira und Changara nach Tete, 25 km südöstlich dieser Provinzhauptstadt. Auf allgemein zugänglichen Karten war und ist der Ort nicht verzeichnet. Das erlaubte den Portugiesen eine Zeitlang, die Existenz des Ortes und damit des Geschehens zu leugnen. Heute existiert der Ort nicht mehr. Die oben angegebenen Koordinaten gelten daher nur näherungsweise. Zur Lokalisierung vgl. Ansprenger, S. 26 und die Kartenskizze bei Hastings (dt.) S. 7.
- Vgl. die Dokumentation der Zeugenaussagen bei Ansprenger, S. 16–23
- Zeitnahe Quellen zu den Opferzahlen vom 16. Dezember 1972 in Wiriyamu und den benachbarten Dörfern sind zwei Berichte der Priester aus der Missionsstation Changara. Die aus dem Portugiesischen übersetzten und bei Hastings, Wiriyamu (engl.), S. 75 und 76, Hastings, Wiriyamu (dt.), S. 93 und 128, sowie Ansprenger, S. 15 und 16 abgedruckten Protokolle von Vicente Berenguer u. a. gehen von Zahlen zwischen „mehr als 300“ und „etwa 500“ aus. Auch die später von Felicia Cabrita: Massacres em Africa, Lissabon 2008, S. 243—282 ermittelten Angaben liegen in dieser Größenordnung.
- Adrian Hastings: Portuguese Massacre reported by Priests. In: The Times, 10. Juli 1973, S. 1, 5, dazu ein Leitartikel auf S. 15. Auch erweitert in Buchform: Wiriyamu. London: Search Press, 1974. ISBN 0-85532-338-8 (bereits 1974 folgte eine deutsche Ausgabe).
- Hastings, Wiriyamu (dt.), S. 116–132
- Übersetzung des UN-Dokuments A/AC.109/PV.929 bei Ansprenger, S. 32–39.
- Anonymus: Portugal: Kolonien auf Zeit ? In: Der Spiegel (33), 13. August 1973.
- Der Wortlaut des am 9. August kritisch geführten Interview mit der KNA bei Ansprenger, S. 40–48.
- Arslan Humbarachi & Nicole Muchnik: Portugal's African Wars, N.Y., 1974.
- Dokumentation der zeitgenössischen Stellungnahmen bei Ansprenger, S. 125–177.
- Der amerikanischen Ausgabe des Buches von Hastings wurde ein entsprechender Untertitel zugefügt: Wiriyamu - my lai in Mozambique, New York, Orbis Books, 1974.
- Gabriele Vensky: Morden in Afrika. Keine Unterschiede zwischen weißer und schwarzer Unterdrückungspolitik. In: Die Zeit (30), 27. Juli 1973.
- Copac: bibliografischer Nachweis
- DNB: bibliografischer Nachweis
- DNB: bibliografischer Nachweis
Weblinks
- Anonymus: Portugal: Kolonien auf Zeit?. In: Der Spiegel 33/1973 (vom 13. August) über die portugiesische Kolonialherrschaft und den Massenmord in Wiriyamu.
- Missionare in Mosambik (ZDF 1974) – Filmbericht über das Massaker von Wiriyamu im Videoarchiv – Internet Archive