Massaker von Caiazzo
Das Massaker von Caiazzo war ein Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht, bei dem 22 wehrlose Menschen – Männer, Frauen und Kinder – ermordet wurden. Das Kriegsverbrechen fand während des Zweiten Weltkriegs am 13. Oktober 1943 am Monte Carmignano bei Caiazzo nördlich von Neapel statt. In einem Strafprozess, der mit 15 Opfern nur einen Teil der Tat betraf, wurden gegen den des Mordes an 15 Menschen angeklagten, zur Tatzeit 20-jährigen, Leutnant Wolfgang Lehnigk-Emden (1922–2006[1]) vom Landgericht Koblenz folgende Feststellungen getroffen:
Ausgangslage
„Um das weitere Vorrücken der alliierten Truppen aufzuhalten, hatte sich die deutsche Heeresleitung entschlossen, zunächst eine Kampflinie nördlich des Flusses Volturno aufzustellen. Der Angeklagte war mit seinem Regiment am Volturno in der Nähe der Stadt Caiazzo eingesetzt. Er war als Kompanieoffizier Zugführer des 1. Zuges einer Kompanie des I. Bataillons im Panzergrenadierregiment 29 der 3. Panzergrenadier-Division. Die Einheit des Angeklagten gehörte zur 10. Armee und zum Befehlsbereich des Generalfeldmarschalls Kesselring als Oberbefehlshaber Süd, später Südwest.
Die deutschen Befehlshaber forderten am 14. September 1943 die Bevölkerung von Caiazzo auf, alle Waffen abzuliefern. Zivilisten wurden zu Arbeitsleistungen herangezogen, um die deutschen Stellungen zu befestigen. Anfang Oktober 1943 wurde Caiazzo zwangsweise geräumt. Die Einwohner suchten Zuflucht in Bauernhäusern der Umgebung und in den Wäldern. Unter den aus Caiazzo evakuierten Personen befanden sich auch die Familien P. und M., die nach Monte Carmignano zu den dort wohnenden Familien A. und D. in zwei Bauernhäuser gezogen waren. Am 13. Oktober 1943 erklärte die königlich italienische Regierung dem Deutschen Reich den Krieg. An diesem Tag richtete die Kompanie des Angeklagten auf dem Monte Carmignano bei Caiazzo in einem Bauernhof ihren Gefechtsstand ein. Nach Einbruch der Dunkelheit verließ der Kompaniechef vorübergehend die Einheit und übertrug dem Angeklagten das Kommando.
Erste Eskalationen
In der Kompanie war das Gerücht aufgekommen, dass aus einem unterhalb des Kompaniegefechtsstandes gelegenen Bauernhaus Blinksignale mit einer Lampe in Richtung der US-amerikanischen Linien gegeben worden seien. Der Angeklagte ging mit den Feldwebeln S. und G. zur Abklärung zu dem unterhalb gelegenen Bauernhaus. Dort trafen sie auf Männer und Frauen der Familien P. und M., die nach der Evakuierung dort Unterkunft gefunden hatten. Der Angeklagte nahm mit seinem Begleiter alle vier anwesenden Männer fest und brachte sie zu dem Kompaniegefechtsstand. Der Gruppe folgten auch drei Frauen, die die Freilassung der Männer erreichen wollten. Am Kompaniegefechtsstand befahl der Angeklagte, die vier Männer und drei Frauen zu erschießen, da er der Überzeugung war, sie seien diejenigen, die den in der Nähe liegenden US-amerikanischen Truppen durch Lichtzeichen die Lage der deutschen Stellungen verraten hätten. Eine Anhörung der Festgenommenen vor der Exekution unterblieb, da kein Dolmetscher anwesend war und keiner der deutschen Soldaten die italienische Sprache beherrschte. Alle sieben Personen wurden sodann unmittelbar vor dem Kompaniegefechtsstand unter Mitwirkung des Angeklagten und der Feldwebel S. und G. erschossen.“ (Diesen Vorfall hatte die Staatsanwaltschaft rechtlich als verjährten Totschlag gewertet. Gegenstand der Anklage war der nachfolgende zweite Vorfall).
Der weitere Verlauf
„Nach der ersten Erschießung gingen der Angeklagte sowie S. und G. in den Kompaniegefechtsstand, in dem sich noch weitere deutsche Soldaten befanden. Es gab eine allgemeine Diskussion, wie man sich der Leichen entledigen könnte. Der Angeklagte wies schließlich darauf hin, dass sich in dem unterhalb gelegenen Haus noch weitere Personen befänden. Er hatte anlässlich der Festnahme der vier Männer festgestellt, dass sich noch zahlreiche Frauen und Kinder in dem Haus aufhielten. Der Angeklagte beschloss nunmehr, auch diese Personen zu töten. Er erklärte den anderen, diese müssten ebenfalls erschossen werden. Sinngemäß äußerte der Angeklagte: ‚Wir werden jetzt nach unten gehen und die anderen fertigmachen, lasst uns Handgranaten mitnehmen.‘ Sodann begab sich der Angeklagte mit S. und G. wiederum zu dem Bauernhaus. Dort töteten er und seine beiden Begleiter unter Einsatz von Handgranaten, Maschinenpistolen, Gewehren und Pistolen 15 Personen, davon fünf Frauen und zehn Kinder im Alter zwischen 4 und 14 Jahren. Die Tatopfer gehörten zu den Familien D., P., A. und S. Die Tötungen erfolgten innerhalb des Bauernhauses. Personen, die zu flüchten versuchten, wurden vor dem Haus und in dessen unmittelbarer Nähe erschossen. Eines der Tatopfer war im fünften Monat schwanger.
Anschließend kehrten der Angeklagte und seine Begleiter zum Kompaniegefechtsstand zurück. Einige der dort anwesenden Soldaten waren sehr aufgebracht über das Verhalten des Angeklagten. Der Zeuge M. hatte sinngemäß gegenüber seinen Kameraden geäußert, was dort unten passiere, sei eine Schande für die deutsche Wehrmacht. Die Soldaten wagten jedoch nicht, den Angeklagten als vorgesetzten Offizier zur Rede zu stellen. Insbesondere unterblieb eine Meldung der Vorfälle an die vorgesetzte Dienststelle.
Aufgrund alliierter Angriffe im Rahmen der Schlacht am Volturno musste die deutsche Stellung, in der sich der Angeklagte befand, noch am selben Abend aufgegeben werden. Nachdem sich die deutsche Truppe zurückgezogen hatte, wurden am Morgen des 14. Oktober 1943 die Leichen in den beiden Bauernhäusern entdeckt. Am 16. Oktober 1943 wurde die Gegend von US-amerikanischen Truppen besetzt. Die italienischen Zeugen berichteten von dem Massaker. Der Angeklagte geriet mit seiner Einheit am 4. oder 5. November 1943 in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft. Eine US-amerikanische Offizierskommission des militärischen Geheimdienstes unter dem damaligen US-Offizier Hans Habe leitete eine Untersuchung ein. Habe verhörte Lehnigk-Emden und dieser gestand, die Frauen und Kinder ermordet zu haben. Lehnigk-Emden gelang wenig später die Flucht aus US-amerikanischen Gewahrsam.“[2] Die Vernehmungsakten wurden der italienischen Regierung übergeben. Aber die italienische Regierung unternahm nichts. 26 Jahre nach der Tat erstattete Simon Wiesenthal eine Anzeige. Die Münchner Staatsanwaltschaft stellte jedoch im Frühjahr 1970 das Verfahren ein, da die mutmaßlichen Täter nicht aufzufinden waren. Ein amerikanisch-italienischer Hobbyhistoriker ermittelte Ende der 1980er Jahre weiter und erstattete 1988 Anzeige beim zuständigen Gericht in Santa Maria Capua Vetere. Damit konnten die Haupttäter ermittelt werden. Der Haupttäter Lehnigk-Emden wurde 1992 in Deutschland in Untersuchungshaft genommen. Lehnigk-Emden hatte bis dahin unangefochten als Architekt, SPD-Gemeinderat, Gründer der Arbeiterwohlfahrt und Karnevalspräsident in Ochtendung gewohnt. Er bezog sogar eine kleine Kriegsopferrente.[3]
Der Prozess
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Einstellung des Verfahrens gegen den mutmaßlichen Haupttäter wegen Verjährung, machte dabei aber innerhalb der Kostenentscheidung deutlich, dass er die Straftat für nachgewiesen hielt.[4]
Literatur
- Klaus Feldgen: Die Vergangenheit läßt nicht los. In: Die Zeit. Nr. 29/1996.
- Thomas Kleine-Brockhoff: Zuschlag für die Täter. Warum NS-Verbrecher als Kriegsopfer Zusatzrenten bekommen. In: Die Zeit. Nr. 06/1997 (zeit.de).
Einzelnachweise
- Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Lehnigk-Emden, Wolfgang
- Hans Habe: Ich stelle mich – Meine Lebensgeschichte. Desch, München 1954, S. 453.
- Kerstin Freudiger: Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Mohr Siebeck, Tübingen 2002, ISBN 3-16-147687-5. S. 30 ff.
- Urteil des BGH vom 1. März 1995, Az. 2 StR 331/94, NJW 1995, 1297.