Kutiyattam
Kutiyattam (Malayalam: കൂടിയാട്ടം) ist eine traditionelle Theaterform in Kerala, Indien. Es handelt sich hierbei – mit einer nachweisbaren Geschichte von 1000 Jahren – vielleicht sogar um die älteste indische Theaterform[1].
Traditionell wurden die Stücke von Schauspielern der Kasten Chakyar und Nannyar in Hindu-Tempeln gespielt. Der verstorbene Guru Mani Madhava Chakyar gehört zu den bekanntesten Persönlichkeiten des Kutiyattam-Theaters. Die Darbietungen seiner Theatertruppe auf weltlichen Bühnen haben Kutiyattam einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Er brachte unter anderem Choreografien der Dramen Abhijnanashakuntala, Vikramorvashiya und Malavikagnimitra von Kalidasa auf die Bühne.
Aufführungspraxis
Traditionellerweise wird Kutiyattam in einem Kuttampalam, einem Tempeltheater, aufgeführt. Charakteristisch für diese Theaterform sind das Verwenden von Kostümen, schwerem Make-up, sowie ein großes Repertoire an stilisierten Gesten und Gesichtsausdrücken, sowie eine Dialogwiedergabe, die Ähnlichkeit mit vedischem Chanten aufweist.[1] Die Texte werden in verschiedenen Tonhöhen rezitiert und mit Mimik und Gestik erklärt sowie mit der Musik vor allem der Trommel idakka, dem Kupferkessel mizhavu, dem Paarbecken elathalam, der Kegeloboe kuzhal und dem Schneckenhorn shankh begleitet.
Es gibt kein Bühnenbild und lediglich eine Metalllampe als eine einzige Lichtquelle. Des Weiteren haben Kutiyattam Vorstellungen eine erstaunliche, zeitliche Länge, bedingt vor allem durch Rituale vor und nach der Vorstellung, sowie die Wiederholung einzelner Dialogpassagen, kann die Aufführung eines kompletten Stückes Monate dauern, weswegen lediglich einzelne Akte eines Stückes aufgeführt werden (Dauer: 5 – 10 Tage).[2] Pro Aufführungstag werden lediglich einzelne Verse aufgesagt. Die Schauspieler dürfen diese jedoch ausschmücken, indem sie eigene, auf das Stück basierende Texte namens Attaprakaram schreiben.[3]
Die Stücke behandeln sowohl religiöse wie weltliche (z. B. Liebesgeschichten, politische Intrigen,…) Themen.[4] Die Handlungen sind dem Publikum zumeist schont bekannt, weswegen der Fokus von Kuttiyatam nicht im Erzählen einer Handlung, sondern in dessen audiovisueller Darstellung liegt.[5]
Die Schauspieler sind hierbei nicht immer in einer einzigen, sondern in mehreren Rollen zu sehen (das Verändern der Charaktere wird „pakarnnattam“ genannt).[6] Durch das Ändern von Details ihrer Kostüme, können sie zwischen den Rollen wechseln.
Schauspieler und Musiker
An einer Kutiyattam Aufführung sind drei verschiedene Gruppen beteiligt:[7]
- Cākyār: Sie sind die männlichen Schauspieler.
- Naṅṅyār: Die weiblichen Schauspielerinnen, welche die weiblichen Rollen übernehmen und die Stücke musikalische, mit kleinen Zimbeln, unterstützen.
- Nampyār: Sie sind die Musiker, welche die, während der Aufführung durchgehend präsente, Kupfertrommel mizhavu (miḻāvu) spielen.
Sonderrolle des Vidushaka
Die Rolle des Vidushakas („der Narr“), welche zumeist nur von den älteren und erfahrenen Cakyar übernommen wird, unterscheidet sich von den festgelegten Rollen der Aufführungen, darf dieser schließlich improvisieren und hat das Recht alles und jeden (selbst Priester des Tempels) zu kritisieren.[8] Während die anderen Darsteller in Sanskrit oder Prakrit sprechen, spricht der Vidushaka in der regionalen Sprache und benutzt auch nicht die, von den anderen Darstellern verwendete, Gestik.[9] Damit tritt er in eine Position zwischen Stück und Publikum: So ist er einerseits eine Figur der Handlung (zumeist ein Kumpane des Protagonisten), darf andererseits die Handlung auch kommentieren, sogar parodieren.[10] Außerdem übersetzt er die Dialoge der Protagonisten in die lokale Sprache und fungiert daher als Verbindung zwischen Zuseher und Stück.[11]
Geschichte
Es wird angenommen, dass eine Vorform von Kutiyattam ihre Wurzeln im Buddhismus hat. Buddhistische Siedler in Kerala verwendeten Theaterstücke wahrscheinlich zur Propaganda religiöser Zwecke.[12] Diese dramatischen Praktiken wurden erst viel später von Vertretern des Brahmanismus übernommen und dienten auch als Mittel für satirische, wie intellektuelle Attacken auf den Buddhismus, später wurden religiöse, die Aufführung umrahmende (jedoch an den eigentlichen, ursprünglichen Konventionen der Theaterform nichts ändernde), Rituale Bestandteil von Kutiyattam.[13] Dies geschah vermutlich im 13. oder 14. Jahrhundert, die ersten Tempeltheater wurden im 15. Jahrhundert erbaut.[14] Der Ursprung von Kutiyattam liegt daher im Profanen und nicht im Religiösen.
1949 gab es mit einem Auftritt von Painkulam Rama Chakyar, das erste Mal eine Kutiyattam Aufführung außerhalb eines Tempeltheaters. Ab 1965 wurde Kuttiyatam auch Menschen außerhalb der Schauspieler Kaste gelehrt.[15] 2001 wurde Kutiyattam in die UNESCO-Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen.
Stücke und Autoren
Dies sind einige Autoren aus dessen Stücke einige Akte für Kudiyattam noch heute verwendet werden:[16]
- Bhasa: Bhasa war einer der wichtigsten Autoren des altertümlichen Indiens. Er lebte vermutlich im 2. oder 3. Jahrhundert vor Christus. Ihm werden 13 Stücke zugeschrieben. Hierbei handelt es sich zumeist Stücke mit politischem Hintergrund.
- Saktibhadra: Saktibhadra schrieb mit Ascharyachudamani eines der beliebtesten und von Kutiyattam Darstellern am meisten verwendeten Stücke (ca. 8. Jahrhundert n. Chr.).
- Kulasekhara: Kulasekhara war ein Herrscher der Chera – Dynastie (welche Teile von Kerala beherrschte) im 10. Jahrhundert. Von ihm wird angenommen, dass er dem Kudiyattam zu seiner jetzigen dramatischen Form verhalf.
Ritual und Theater
Vor der Aufführung gibt es für die Schauspieler Rituale. So tauchen diese ihren Ringfinger in Butterschmalz und berühren schließlich ihre Stirn, Nase und Kinn und binden sich ein rotes Tuch um den Kopf.[17] Schließlich tragen sie ihr Make-up auf. Dies wird oft als Grenzüberschreitung beschrieben bei der die Schauspieler von der profanen in die religiöse Welt gelangen.[17] Dennoch findet keine vollständige Identifikation des Schauspielers mit den dargestellten Figuren statt (während es durchaus Rituale Aufführungen gibt, bei denen geglaubt wird, dass sich der Schauspieler in die dargestellte Gottheit verwandelt).[18] Dies widerlegt vor allem das Wechseln der Rolle während der Aufführung (pakarnnattam). Trotz der vorhandenen Verbindung mit dem Religiösen ist Kutiyattam nicht als Ritual per se zu betrachten (oft wird es als „visuelles Opfer“ bezeichnet). Schließlich muss zwischen in sich geschlossenen Ritualen, welche nicht an andere Aktivitäten gekoppelt und Ritualen, die mit anderen Praktiken, wie eben z. B. Kutiyattam, verbunden sind, welche aus den Praktiken jedoch keine selbstständigen Rituale machen.[19]
Literatur
- Mundoli Vasudevan Narayanan: Over-Ritualization of Performance Western Discourses on Kutiyattam. In TDR: The Drama Review 50/2, 2006, S. 136–153
- Farley und Yasmin Richmond: The Multiple Dimensions of Time and Space in Kūṭiyāṭṭam, the Sanskrit Theatre of Kerala. In: Asian Theatre Journal 2/1, 1985, S. 50–60
- Farley P. Richmond: Kūṭiyāṭṭam. In: Farley P. Richmond, Darius L. Swann, Phillip B. Zarrilli (Hrsg.): Indian Theatre. Traditions of Performance. University of Hawaii Press, Honolulu 1990, S. 87–117
- Bozena Sliwczynska: Cakyar Initiation in the Kuttiyattam Theatre of Kerala. In: Heidrun Brückner, Elisabeth Schömbucher, Philipp B. Zarrilli (Hrsg.): The Power of Performance: Actors, Audiences and Observers of Cultural Performances in India. Manohar Publishers, Neu-Delhi 2007, S. 105–118
- Arya Madhavan: Kudiyattam. Theatre and the Actor's Consciousness. Rodopoi, Amsterdam 2010, ISBN 978-9042027985
Einzelnachweise
- Narayanan, Mundoli Vasudevan, "Over-Ritualization of Performance Western Discourses on Kutiyattam", in TDR: The Drama Review 50/2, 2006, S. 137
- Farley Richmond, Yasmin Richmond: The Multiple Dimensions of Time and Space in Kūṭiyāṭṭam, the Sanskrit Theatre of Kerala. In: Asian Theatre Journal 2/1, 1985, S. 57 und S. 137
- Madhavan, Arya, KUDIYATTAM. Theatre and the Actor's Consciousness, Amsterdam: Rodopoi 2010, S. 24
- Madhavan, Arya, KUDIYATTAM. Theatre and the Actor's Consciousness, Amsterdam: Rodopoi 2010, S. 139
- Madhavan, Arya, KUDIYATTAM. Theatre and the Actor's Consciousness, Amsterdam: Rodopoi 2010, S. 140
- Madhavan, Arya, KUDIYATTAM. Theatre and the Actor's Consciousness, Amsterdam: Rodopoi 2010, S. 145
- Heike Moser: Das Sanskrittheater Kūṭiyāṭṭam – eine kurze Einführung auf den Seiten der Universität Würzburg, abgerufen am 2. Januar 2015
- Sliwczynska, Bozena, "Cakyar Initiation in the Kuttiyattam Theatre of Kerala", The Power of Performance: Actors, Audiences and Observers of Cultural Performances in India., Heidrun Brückner, Elisabeth Schömbucher, Philipp B. Zarrilli (Hg.). Manohar Publishers, New Delhi, 2007, S. 113
- Farley und Yasmin Richmond: The Multiple Dimensions of Time and Space in Kūṭiyāṭṭam, the Sanskrit Theatre of Kerala. In: Asian Theatre Journal 2/1 S. 57
- Mundoli Vasudevan Narayanan: Over-Ritualization of Performance Western Discourses on Kutiyattam. In TDR: The Drama Review 50/2, 2006, S. 146
- Mundoli Vasudevan Narayanan: Over-Ritualization of Performance Western Discourses on Kutiyattam. In TDR: The Drama Review 50/2, 2006, S. 147
- Mundoli Vasudevan Narayanan: Over-Ritualization of Performance Western Discourses on Kutiyattam. In TDR: The Drama Review 50/2, 2006, S. 141
- Mundoli Vasudevan Narayanan: Over-Ritualization of Performance Western Discourses on Kutiyattam. In TDR: The Drama Review 50/2, 2006, S. 142
- Mundoli Vasudevan Narayanan: Over-Ritualization of Performance Western Discourses on Kutiyattam. In TDR: The Drama Review 50/2, 2006, S. 142
- Arya Madhavan: Kudiyattam. Theatre and the Actor's Consciousness. Rodopoi, Amsterdam 2010, S. 23
- Arya Madhavan: Kudiyattam. Theatre and the Actor's Consciousness. Rodopoi, Amsterdam 2010, S. 26
- Farley und Yasmin Richmond: The Multiple Dimensions of Time and Space in Kūṭiyāṭṭam, the Sanskrit Theatre of Kerala. In: Asian Theatre Journal 2/1, 1985, S. 55
- Mundoli Vasudevan Narayanan: Over-Ritualization of Performance Western Discourses on Kutiyattam. In TDR: The Drama Review 50/2, 2006, S. 140
- Mundoli Vasudevan Narayanan: Over-Ritualization of Performance Western Discourses on Kutiyattam. In TDR: The Drama Review 50/2, 2006, S. 143f.