Kleiner Rat (Bern)
Der Kleine Rat (auch Täglicher Rat, frz. Conseil de la Ville de Berne) war bis 1798 die Regierung der Stadt und Republik Bern.
Geschichte
In einer Urkunde vom 3. September 1226 ist ein Rat (consilium) mit zwölf Mitgliedern (consules) belegt, der gemeinsam mit dem Schultheiss das Gericht bildet und damit Kompetenzen der Exekutive und Judikative vereint.[1] Der Rat setzte sich in der Frühzeit Berns aus Adeligen und Handwerkern zusammen.[1] Der Rat beaufsichtigte die Waage, Mass und Gewicht, die Märkte, amtete als Vormundschaftsbehörde und Polizei, urteilte bei Erbschaftssachen.[1] Die 1218 datierte, möglicherweise aber erst später ausgefertigte Goldene Handfeste erteilt dem Rat das Recht, den Schultheissen aus seiner Mitte zu wählen. Der Rat dürfte um dieses Recht gerungen haben.[2] Mit der Bildung des Grossen Rats wurde der Rat nun zur Abgrenzung als Kleiner Rat oder Täglicher Rat bezeichnet. Schultheiss und Mitglieder des Kleinen Rats gehörten immer auch dem Grossen Rat an.[3] Möglicherweise um 1295 wurde der Kleine Rat vergrössert, indem neu die vier Venner und die beiden Heimlicher dem Rat angehörten.[1] Ab dem späten 14. Jahrhundert bestand der Rat aus 27 Mitgliedern.[1] Im Lauf des 14. Jahrhunderts bildete sich ein besonderes Stadtgericht heraus.[4] Seit 1526 bereitete der Kleine Rat die Geschäfte des Grossen Rats vor.[5] Eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten des Kleinen Rats zum Grossen Rat gab es nicht, was regelmässig zu Diskrepanzen führte.[6] Ab 1465 wurden die Protokolle des Rats in Manualen gesammelt und aufbewahrt.
Voraussetzungen für den Einsitz in Kleinen Rat waren in der Neuzeit, dass ein Kandidat das Burgerrecht der Stadt Bern seit mindestens drei Generationen besitzt, verheiratet ist (oder war), in der Stadt Bern getauft wurde,[7] im Kleinen Rat weder Vater, Sohn oder Bruder sitzt, mindestens zehn Jahre Mitglied des Grossen Rats war und seine «Amts-Restanz» bezahlt hat.[8] Die als adelig (offiziell: wohledelfest) definierten Geschlechter der von Bonstetten, von Diesbach, von Erlach, von Luternau, von Mülinen und von Wattenwyl hatten den sogenannten Vorsitz im Kleinen Rat. Dieser Vorsitz bedeutete, dass Angehörige dieser sechs Geschlechter in der Ratsstube nach den Schultheissen, den amtierenden und ehemaligen Seckelmeistern und Vennern ihren Sitzplatz hatten.[9] Ab 1790 mussten im Rat 27 burgerliche Geschlechter im Rat vertreten sein.[10]
Mit dem Franzoseneinfall und der Kapitulation Berns im Jahr 1798 wurde der Kleine Rat abgesetzt. Ab 1804 hiess die Regierung des neu gegründeten Kantons Bern Kleiner Rat, die Exekutive der Stadt Bern hiess nun Stadtrat.[11] Ab 1831 hiess die Kantonsregierung neu Regierungsrat.
Ämter
Im Kleinen Rat gab es folgende Ämter: Schultheiss, Altschultheiss, Deutsch-Seckelmeister,[12] Welsch-Seckelmeister[13], vier Venner, zwei Heimlicher,[14] Bauherr vom Rat,[15] Zeugherr,[16] Ohmgeltner,[17] Gleitsherr,[18] Kirchmeier vom Rat[19] und Böspfenniger vom Rat.[20]
Quellen
- Ratsmanuale, 1465–1798 im Katalog des Staatsarchivs Bern.
Literatur
- Barbara Braun-Bucher: Der Berner Schultheiss Samuel Frisching (1605-1683). Schrifttum, Bildung, Verfassung und Politik des 17. Jahrhunderts auf Grund einer Biographie. Bern 1991, ISBN 3-7272-0495-8.
- Adolf Fluri: Die alte Burgerstube. In: Blätter für bernische Geschichte, Kunst und Altertumskunde. Band 20, 1924, doi:10.5169/seals-186264.
- Adolf Fluri: Die alte Ratstube. Nachträgliche Notizen. In: Neues Berner Taschenbuch. Band 21, 1915, doi:10.5169/seals-128951.
- Karl Geiser: Die Verfassung des alten Bern. In: Festschrift zur VII. Säkularfeier der Gründung Berns, 1191–1891. Schmid, Francke und Co., Bern 1891, S. 1–143.
- Roland Gerber: Gott ist Burger zu Bern. Eine spätmittelalterliche Stadtgesellschaft zwischen Herrschaftsbildung und sozialem Ausgleich. Weimar 2001.
- Johann Rudolf Gruner, Deliciae urbis Bernae : Merckwürdigkeiten der hochlöbl. Stadt Bern. Aus mehrenteils ungedruckten authentischen Schrifften zusammen getragen, Zürich 1732. online
- Berchtold Haller: Bern in seinen Rathsmanualen 1465–1565. Bd. 1. Hrsg. vom Historischen Verein des Kantons Bern. Bern 1900.
- Ulrich Moser: Schultheiss Hans Steiger, Bern 1977.
- Hermann Rennefahrt: Die Rechtsquellen des Kantons Bern. Das Stadtrecht von Bern V, Verfassung und Verwaltung des Staates Bern, Aarau 1959 (SSRQ BE I/5). online
- Christoph von Steiger: Innere Probleme des bernischen Patriziates an der Wende zum 18. Jahrhundert, Bern 1954.
- Karl Friedrich Wälchli: Niklaus Emanuel Tscharner. Ein Berner Magistrat und ökonomischer Patriot 1727–1794. Bern 1964.
Einzelnachweise
- Geiser 1891, S. 104.
- Anne-Marie Dubler und Hans Grütter: Bern (Gemeinde). In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- von Steiger 1954, S. 7–8.
- Geiser 1891, S. 105.
- Geiser 1891, S. 98.
- von Steiger 1954, S. 44.
- Ausnahmen wurden gemacht für Söhne von Vätern, die aufgrund eines öffentlichen Amtes ihres Vaters (bspw. Landvogt) ausserhalb der Stadt getauft wurden.
- Gruner 1732, S. 30.
- Fluri 1915, S. 115–118.
- Geiser 1891, S. 108.
- Regimentbuch 1804, S. 3.
- Finanzverwalter und Vorsitzender der Deutschen Vennerkammer, 6 jährige Amtszeit, Gruner 1732, S. 42.
- Amt eingerichtet 1536, Finanzverwalter der Waadt und Vorsitzender der Welschen Vennerkammer, 6 jährige Amtszeit, Gruner 1732, S. 42.
- Mit der Leitung geheim zu haltender Massregeln betraute Beamte.
- Baudirektor, 6 jährige Amtszeit, Gruner 1732, S. 57.
- Aufseher über das Zeughaus und das Pulverregal, 6 jährige Amtszeit, Gruner 1732, S. 59.
- Einzieher des Ohmgelts (Weinausschanksteuer) und Vorsitzender der Ohmgeltnerkammer. Ohne Amtszeitbeschränkung, Gruner 1732, S. 63.
- Aufseher über das sichere Geleit der Waren, Gruner 1732, S. 64.
- Aufseher über das Berner Münster, ohne Amtszeitbeschränkung, Gruner 1732, S. 64.
- Einzieher des Böspfennigs (Weinsteuer auf eingelagerten Wein). Ohne Amtszeitbeschränkung, Gruner 1732, S. 63.
Weblinks
- Liste der Mitglieder des Kleinen Rats 1216–1728. In: Johann Rudolf Gruner, Deliciae urbis Bernae. Merckwürdigkeiten der hochlöbl. Stadt Bern. Aus mehrenteils ungedruckten authentischen Schrifften zusammen getragen, Zürich 1732, S. 66–135.