Kaspar-Hauser-Versuch
Als Kaspar-Hauser-Versuch (auch Kaspar-Hauser-Methode oder Kaspar-Hauser-Experiment) wird in der Verhaltensbiologie die Aufzucht eines Tieres („Kaspar-Hauser-Tier“) unter weitgehendem Erfahrungsentzug verstanden; ohne Kontakt zu Artgenossen oder anderen Tieren.[1]
Tierversuche
Ziel ist es, den Nachweis zu führen, dass alle von diesem Tier gezeigten Verhaltensweisen im Erbgut verankert, also angeboren sein müssen. Als natürliche „Kaspar-Hauser-Tiere“ wurden vor allem in der Frühzeit der ethologischen Forschung frisch aus dem Ei geschlüpfte Küken untersucht, da sie im Ei von allen visuellen und taktilen Erfahrungen abgeschnitten waren. Viele Begründer der Ethologie entstammten daher dem zoologischen Fachgebiet der Ornithologie, u. a. Oskar Heinroth, William Thorpe, Gustav Kramer und Konrad Lorenz.
Zu den umstrittensten Kaspar-Hauser-Versuchen zählen die Experimente von Harry Harlow mit jungen Rhesusaffen.
Kaspar Hauser
Die Bezeichnung Kaspar-Hauser-Versuch geht zurück auf einen bis heute geheimnisumwitterten Vorgang im Jahre 1828, als in Nürnberg ein etwa 16-jähriger, verwahrlost aussehender Junge auftauchte, der kaum reden konnte und Kaspar Hauser genannt wurde. Er machte den Eindruck eines auf dem Stand eines Kleinkindes stehen gebliebenen Jugendlichen. Die Zeitgenossen vermuteten, dass Kaspar Hauser lange Zeit einsam in einem Verlies gefangen gehalten worden sei.[2]
Historische Versuche mit Menschen
Einer Geschichte[3] von Herodot (ca. 490–424 v. Chr.) zufolge, unternahm Pharao Psammetich I. (regierte 664–610 v. Chr.) in Ägypten einen Versuch, die Ursprache der Menschheit zu erfahren.[4] Er gab einem Hirten zwei neugeborene Kinder und befahl, diese so aufzuziehen, dass sie niemals ein gesprochenes Wort vernehmen sollten. Er wollte auf diese Weise herausfinden, in welcher Sprache die Kinder zuerst ein Wort sagen würden. Nach ca. zwei Jahren streckten die Kinder bittend die Hände aus und sagten „Bekos“. Dies hieß in der Sprache der Phryger „Brot“. Der Pharao schloss daraus, dass die Phryger ein noch älteres Volk als die Ägypter wären. Herodots Geschichte ist allerdings wohl eher dem Reich der Märchen und Sagen zuzuordnen als der Wahrheit.
Das Experiment wurde im 13. Jahrhundert von dem italienischen Chronisten und Franziskaner-Mönch Salimbene von Parma verwendet, um Kaiser Friedrich II. beziehungsweise wissenschaftlich-empirische Forschung zu verunglimpfen.[5][6] Friedrich soll neugeborene Kinder isoliert haben, um die Ursprache der Menschheit zu ergründen. Die Chronik von Salimbene von Parma zum Jahr 1285 berichtet, er habe herausfinden wollen, ob Kinder überhaupt sprechen lernten, wenn ihnen niemand etwas vorspreche, von dem sie lernen könnten, und wenn ja, und welche Sprache sie sich dann aneigneten. Friedrichs Vermutung sei in Richtung des Hebräischen als ältester Sprache gegangen, aber auch Griechisch, Latein oder Arabisch habe er für möglich gehalten. Um das herauszufinden, habe der Kaiser Neugeborene in einen Turm bringen lassen. Dort hätten die Ammen und Pflegerinnen ihnen Milch geben, sie stillen, baden und trockenlegen dürfen, aber auf keinen Fall sie liebkosen oder mit ihnen sprechen. Keines der Kinder soll überlebt haben.[7][8][9]
Auch Jakob IV. von Schottland und der Großmogul Jalaluddin Muhammad Akbar sollen ähnliche Experimente durchgeführt haben. Jakob mit dem von ihm erwarteten Resultat, dass die zwei Kinder, die er auf eine einsame Insel geschickt hatte, perfekt Hebräisch sprachen, als sie zurückkamen.[10]
Siehe auch
Literatur
- Monika Schmitz-Emans: Fragen nach Kaspar Hauser: Entwürfe des Menschen, der Sprache und der Dichtung. Würzburg 2007.
Weblinks
- Nachweis angeborener Verhaltensweisen: Kaspar-Hauser-Experimente. Auf: biologie-online.eu, eingesehen am 9. September 2015
- Beziehung ist (fast) alles: Kaspar-Hauser-Experimente. Auf: hr-online.de, Audio und Text aus dem Jahr 2012, abgerufen am 9. September 2015
- Wolfskinder: Der Kaspar-Hauser-Komplex.' Von Christian Staas. Auf: spiegel.de vom 25. Dezember 2007
Einzelnachweise
- http://www.oxfordreference.com/view/10.1093/oi/authority.20110803100030873
- Monika Schmitz-Emans: Fragen nach Kaspar Hauser. S. 9
- Herodot: Historien. Buch II. 2
- siehe auch Monika Schmitz-Emans: Fragen nach Kaspar Hauser. S. 98
- Wolfgang Stürner: Friedrich II. Teil 2: Der Kaiser 1220–1250. Primus-Verlag, Darmstadt 2000, ISBN 3-89678-025-5, S. 449.
- Waisenkinderversuche. In: Lexikon der Psychologie. Spektrum.de, abgerufen am 17. Oktober 2021.
- Hubert Houben: Kaiser Friedrich II. (1194–1250). Herrscher, Mensch, Mythos. Stuttgart 2008, S. 144 f.
- Erwin Lausch: Wo das Lächeln erstirbt. In: Zeit Online Archiv (Die Zeit Ausgabe Nr. 45/1973). Abgerufen am 15. August 2019.
- Rolf Oerter, Leo Montada (Hrsg.): Entwicklungspsychologie. 6. Auflage, Beltz PVU Verlag, Weinheim/Basel 2008, ISBN 978-3-621-27607-8.
- Reto U. Schneider: Dieser Versuch macht sprachlos. Neue Zürcher Zeitung, 30. Juli 2014, abgerufen am 17. Oktober 2021.