Judenporzellan
Hinter dem Begriff Judenporzellan verbirgt sich eine hohe Sonderabgabe, welche Juden im friderizianischen Preußen zu zahlen hatten. Durch Kabinettsbefehl vom 21. März 1769 hatte Friedrich der Große angeordnet, dass Juden bei der Neuvergabe bzw. Vererbung von Schutzbriefen sowie beim Erwerb von Immobilienbesitz für 300 Taler sowie bei Empfang eines Generalprivilegs für 500 Taler Porzellan aus der Königlichen Porzellanmanufaktur Berlin (KPM) kaufen und es im Ausland verkaufen sollten. Die Umsetzung dieser Sonderabgabe wirkte sich für zahlreiche jüdische Familien existenzbedrohend aus, entsprachen diese Summen doch jeweils mehreren Jahresgehältern eines Berliner Manufakturarbeiters. Aus ökonomischen Erwägungen setzte die Bürokratie die Verordnung zunächst nur unvollkommen durch. 1779 intervenierte Friedrich und ließ die Verwaltungspraxis drastisch verschärfen. Dabei wurden finanzielle Verluste und die Abwanderung von Juden bewusst in Kauf genommen.[1]
Die pejorative Bezeichnung „Judenporzellan“ verdankt ihre Entstehung der Tatsache, dass die betroffenen Juden die ihnen aufgedrängte Ware auf den deutschen und europäischen Märkten zumeist mit Verlusten von 50 Prozent und mehr abstießen, was sich letztlich für die Berliner Manufaktur rufschädigend auswirkte. Vor diesem Hintergrund wurde der „Porcellainexportationszwang“ nach dem Tode Friedrichs II. auf Initiative des neuen KPM-Chefs Friedrich Anton von Heinitz 1787/1788 aufgehoben. Allerdings musste die Judenschaft dafür nochmals 40.000 Taler Abstand zahlen.
Insgesamt kam es auf Basis der Verordnung von 1769 zu rund 1400 Zwangskäufen im Gesamtvolumen von 280.000 Talern. Das „Judenporzellan“ wurde vornehmlich nach Mecklenburg, Hamburg und Osteuropa weiterverkauft.
Die von Mendelssohns Urenkel Sebastian Hensel überlieferte Familienlegende, der zufolge Moses Mendelssohn anlässlich seiner 1762 erfolgten Heirat zwanzig Porzellan-Affen habe erwerben müssen, trifft so nicht zu, da das Heiratsedikt damals noch nicht in Kraft war und die noch 1929 im Familienbesitz befindlichen Affen-Nippes aus Meißener Produktion stammen. Doch da Mendelssohns Hochzeit zur Zeit des preußischen Krieges gegen Sachsen erfolgte und nur mit staatlicher Sondererlaubnis erfolgen konnte, erscheint die Abnahme entsprechender privater Kriegsbeute zur Beförderung des Vorgangs denkbar und könnte deren Entstehung erklären.[2]
Literatur
- Martin Wilhelm Roelen: "...gleichwie den Juden unter Christen zu wohnen an sich nicht gebühret." Weseler Juden im 18. Jahrhundert, in Jüdisch-Christlicher Freundeskreis Wesel, Stadt Wesel Hgg.: Juden in Wesel und am Niederrhein. Eine Spurensuche. Wesel 2014, S. 213–245[3]
- Tobias Schenk: Wegbereiter der Emanzipation? Studien zur Judenpolitik des „Aufgeklärten Absolutismus“ in Preußen (1763-1812) (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 39), Berlin 2010.
- Tobias Schenk: Rzeczpospolita i Gdańsk jako rynki zbytu dla berlińskiej porcelany w drugiej połowie XVIII wieku/Die Adelsrepublik Polen und die Stadt Danzig als Absatzmärkte für Berliner Porzellan in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: „...łyżek srebrnych dwa tuziny“. Srebra domowe w Gdańsku 1700 – 1816/„...zwei Dutzend Silberlöffel“. Das Haussilber in Danzig 1700 – 1816, hg. v. Jacek Kriegseisen und Ewa Barylewska-Szymańska, Gdańsk 2007, S. 133–143, 145–153 (poln./dt.).
- Tobias Schenk: Von der Spree an die Donau. Der „Porcellaineexportationszwang“ und das Judenporzellan des Jacob Schiff aus Bielefeld, in: Ravensberger Blätter (2/2008), S. 1–11
- Tobias Schenk: An den Grenzen der Aufklärung. Friderizianische Judenpolitik im Spiegel von Anekdoten um Moses Mendelssohn, in: Mendelssohn-Studien. Beiträge zur neueren deutschen Kulturgeschichte, 16, 2009, S. 371–396
Weblinks
- Liste der preußischen Juden, die zwischen 1769 und 1788 zum Kauf von Berliner Porzellan gezwungen wurden
- Wuppertal: "Scherben ohne Glück", in "Mehr als man kennt, näher als man denkt." Objektgeschichten aus Gedenkstätten in NRW. Hgg. Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen & Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW, Düsseldorf 2020, S. 88f. (Abb. eines zerbrochenen Milchkännchens aus der Manufaktur KPM (Porzellanmarke auf dem Boden), ein Beispiel eines Stücks Judenporzellans, mit Text. Aus dem früheren Besitz der Familie Moritz Treistmann, die Eltern wurden im Holocaust ermordet, die geretteten Nachkommen übergaben die Scherben an die Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal. online, "Wuppertal" aufklappen, mit kurzem Trailer zusätzlich. (Bei google gibt es in der Sparte "Bilder" etwas abweichende Aufnahmen der 29 Objekte aus allen Orten.))
- Tobias Schenk (Hrsg.): Das “Judenporzellan” – Eine kommentierte Quellenpräsentation zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden im friderizianischen Preußen (1769–1788). In: Perspectivia.net. Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, abgerufen am 12. Dezember 2020.
- paginierte Fassung: Das "Judenporzellan": Eine kommentierte Quellenpräsentation zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden im friderizianischen Preußen (1769-1788). In: Perspectivia.net. Abgerufen am 12. Dezember 2020 (19 Seiten, ausführl. Literaturangaben).
Einzelnachweise
- Tobias Schenk – Das „Judenporzellan“ abgerufen am 8. August 2016
- Stephen Tree, Moses Mendelssohn. Reinbek 2007, S. 67
- zum Judenporzellan detailliert S. 217–220, mit Dokument (Scan des Originals) v. 1783 über die Zahlungsverweigerung von 5 Juden 1770–1776 und Zwangsbescheid des Magistrats gegen sie, auf S. 218f. Das gedruckte Formular mit handschriftlichem Eintrag der örtlichen Namen und Daten verweist darauf, dass es sich um ein generelles Problem in Preußen handelte; als amtlicher Verfügungsort wird "Berlin" vor dem Datum genannt. Am Niederrhein war chinesisches, besseres und preiswerteres Porzellan via Amsterdam leicht zu erhalten.