Jesous Ahatonhia
Jesous Ahatonhia ist ein Weihnachtslied in der Indianersprache Wendat (der Sprache der Huronen), das wahrscheinlich von dem Jesuiten Jean de Brébeuf geschrieben wurde. Sein Titel bedeutet: „Jesus ist geboren“. In der englischsprachigen Welt ist es bekannt unter dem Titel ‘Twas in the Moon of Wintertime („Es war im Mond der Winterzeit“) oder als The Huron Carol („Das huronische Weihnachtslied“). Es wurde 1641 oder 1642 verfasst, gilt als das älteste kanadische Weihnachtslied und ist in seiner englischen Version besonders in Kanada sehr populär.
Entstehung
Das Lied wurde von Étienne-Thomas Girault de Villeneuve (1747–1794), dem letzten Jesuitenmissionar bei den Huronen von Loretteville in Quebec, gesammelt. Der indianische Notar Paul Picard (auf Wendat Paul Tsaenhohi, „Geierauge“), Sohn des berühmten Huronenhäuptlings Paul Picard Tahourhenché („Tagesanbruch“), übersetzte es ins Französische.[1] Es wird normalerweise dem Jesuiten Jean de Brébeuf (1593–1694) zugeschrieben,[2] der in Sainte-Marie-au-pays-des-Hurons in Kanada Missionar war und später von den Irokesen ermordet wurde. Er verfasste auch einen Katechismus auf Wendat[3] und ein Wörterbuch Wendat-Französisch. Brébeuf soll das Lied zwischen 1640 und 1642 geschrieben und es den Huronen beigebracht haben. Jedoch gibt es dafür keinen Beleg.[4][5] Die Melodie scheint von einem französischen Weihnachtslied des 16. Jh. adaptiert zu sein, Une jeune pucelle („Eine junge Jungfer“).[6] Es soll von den Huronen in Sainte-Marie-au-pays-des-Hurons bis 1649 gesungen worden sein, als die Missionsstation von den Irokesen erobert und viele ihrer Bewohner, auch Brébeuf, umgebracht wurden. Danach soll es von den überlebenden Huronen ungefähr hundert Jahre lang mündlich weitergegeben worden sein.
Der Dichter Simon-Joseph Pellegrin (1663–1716) schrieb auf dieses huronische Weihnachtslied den Text Entends ma voix fidèle („Höre meine treue Stimme“) für den zweiten Gesang von Jean-Philippe Rameaus erster Oper Hippolyte und Aricie. Paul Tsaenhohis französische Übersetzung wurde von Ernest Myrand 1907 in der Stadt Québec in seinem Buch Noëls anciens de la Nouvelle-France („Alte Weihnachtslieder aus Neufrankreich“) veröffentlicht.
Jesse Edgar Middleton schrieb darauf eine freie englische Nachdichtung, die Healey Willan 1927 für Stimme und Klavier instrumentiert veröffentlichte. (Die Rechte liegen bis Ende 2030 bei der Firma Harris Frederick Co., Ltd.) Diese Version wurde in der englischsprachigen Welt sehr beliebt. Sie ist jedoch ungenau und enthält einige damals gängige Indianerklischees. So wird Jesus in einer „Rindenhütte“ geboren und statt in Windeln in ein „Kaninchenfellkleid“ gewickelt, und Jäger statt Hirten umgeben ihn. Die Heiligen Drei Könige werden als „Häuptlinge von weit her“ dargestellt und bringen ihm „Fuchs- und Biberfelle“ statt Gold, Weihrauch und Myrrhe. All dies kommt in der Originalversion nicht vor. Außerdem verwendet die englische Version für Gott das Wort Gitsche Manitu aus den Algonkin-Sprachen Zentralkanadas (Cree, Ojibwe). Dieses Wort und überhaupt das Konzept „Manitu“ ist der irokesischen Sprache Wendat fremd. (Zum Unterschied siehe Orenda.) Während Brébeuf für christliche Konzepte wie Gott, Engel, Teufel, Heilige Drei Könige und Menschwerdung Umschreibungen aus der Kultur der Huronen fand, ist der Text jetzt so angepasst, dass er Christen, die mit den Kulturen der kanadischen Ureinwohner nicht vertraut sind, zugänglich ist.[7]
Bearbeitungen und weltliche Interpretationen
Dieses Weihnachtslied wurde sehr populär, und es gibt zahlreiche Arrangements und Bearbeitungen davon. Es ist immer noch ein gängiges Weihnachtslied in den Kirchen aller Konfessionen Kanadas und findet sich auch in mehreren Gesangbüchern von Kirchen in den USA. Da die Melodie keinen großen Umfang hat, eignet sie sich sehr gut für Instrumente mit einem eingeschränkten Tonumfang, beispielsweise die Indianerflöte.[8] Da es als besonders „indianisches“ Weihnachtslied gilt, gibt es auch mehrere Übertragungen in andere Indianersprachen Kanadas, darunter Mi'kmaq. Die Wendat-Sprache ist dagegen fast ausgestorben. Allerdings gibt es Versuche, sie wiederzubeleben.
Der kanadische Sänger Bruce Cockburn nahm dieses Lied auf. Gleichfalls wurde es vom Métis-Musiker Tom Jackson in seiner jährlichen Sendung Huron Carole gesungen. In den USA wurde das Lied unter dem Titel „Ahatonia Jesous“ ins Album Noël in the Morning (1952) des Countrysängers Burl Ives einbezogen und später unter dem Titel „Indians' Christmas Carol“ veröffentlicht. Die Gruppe Crash Test Dummies nahm das Lied auf ihrem Album Jingle All The Way (2002) auf. Die kanadische Folksängerin Heather Dale veröffentlichte 2002 eine dreisprachige Version auf Wendat, Französisch und Englisch auf ihrem Album This Endris Night. Dabei verwendet sie eine andere englische Übersetzung, die H. Kierans zugeschrieben wird und dem Original näher kommt.[9] Sarah McLachlan nahm das Lied 2016 auf ihrem Weihnachtsalbum Wonderland auf.[10] Es gibt noch viele weitere Interpretationen dieser traditionellen Volksmelodie.
Text
Wendat | Französische Übersetzung von Paul Picard Tsaouenhohi, 1899 | Deutsche Übersetzung der französischen Übersetzung |
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Estenniayon de tsonwe Iesous ahatonnia |
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Menschen, habt Mut, Jesus ist geboren! |
Ayoki onkiennhache eronhiayeronnon |
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Achienhkontahonraskwa d' hatirihwannens |
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Tho ichien st' ahation tethotondi Iesous |
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Onne ontahation chiahonayen Iesous |
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Te hekwatatennonten ahekwachiendaen |
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Literatur
- Ernest Myrand (1854–1921): Noëls anciens de la Nouvelle-France, Québec 1899, S. 29–33. (Veröffentlichung des Liedes auf Wikisource mit französischer Übersetzung.)
- Julien Tiersot: « La Musique chez les peuples indigènes de l'Amérique du Nord » in: Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft Nr. 11, S. 141–231 Stuttgart: Franz-Steiner-Verlag, 1910.
- John Steckley: Huron carol told the Christmas story to Canadian Indians, Toronto Star, vom 24. Dezember 1977.
- Robert E. Oliver, Un chant de Noël canadien / A Canadian Christmas Carol, Abitibi Paper Co., 1966.
- Frances Tyrell: The Huron Carol, Kinderbuch mit dem englischen Text von Jesse Edgar Middleton, illustriert von Frances Tyrell, Markham, Ontario: Eerdmans Young Readers, 2003 (32 Seiten), ISBN 9780802852632.
- Ian Wallace: The Huron Carol, Kinderbuch mit dem englischen Text von Jesse Edgar Middleton, illustriert von Ian Wallace, Toronto, Ontario: Groundwood Books, 2013, ISBN 9781554983940.
- Martin Schmeisser und Christine Riedl: Weihnachtslieder aus aller Welt, Liederheft, Stuttgart: Carus-Verlag (Reihe Reclam UB), 2015, S. 34 f. ISBN 978-3-15-011050-8
Weblinks
- Englischer Text von J.E. Middleton. (In Kanada schon gemeinfrei, sonst aber unter Copyright bis Ende 2030).
- Text in der Indianersprache Mi'kmaq, übersetzt von Mildred Milliea, mit einem MP3 des Liedes vom Eskasoni Trio.
- Originaltext auf Wendat mit Ausspracheanleitung und wörtlicher Übersetzung.
- Text, Übersetzung und Diskussion des Liedes in der Version von Bruce Cockburn, samt Kritik des Textes von Middleton.
- Rockmusikversion The Lake Huron Carol („Das Weihnachtslied vom Huronsee“) in der heutigen Gegend des Huronsee, mit historischen Notizen zum Original.
- Version auf Wendat, Französisch und Englisch von der kanadischen Musikerin Heather Dale.
Einzelnachweise
- Ernest Myrand (1854–1921): Noëls anciens de la Nouvelle-France : étude historique, siehe Literatur.
- Manche schreiben es auch Paul Ragueneau zu, einem anderen Jusuitenmissionar und Spezialisten der Wendat-Sprache.
- Les voyages de la Nouvelle-France occidentale, dicte Canada, faits par le Sr de Champlain,... ... où se voit comme ce pays a esté premièrement descouvert par les François... ; avec un catéchisme ou instruction. et suivi de l'Oraison dominicale traduite en langage des Montagnars du Canada. T. 1 / [par le P. J. Ledesma] ; traduicte du françois au langage des peuples sauvages de quelque contrée (par le P. J. de Brébeuf) (par le RP Massé)
- Chant Huron („Huronischer Gesang“) in der französischen Version der Canadian Encyclopedia, abgerufen am 3. Januar 2021.
- Jean de Brébeuf - Huronische Schriften (Französisch)
- Jean de Brébeuf - Huronische Schriften (Französisch)
- Crèche amérindienne traditionnelle („Traditionelle indianische Krippe“) vom 10. August 2006 im Virtuellen Museum von Kanada, abgerufen am 7. Januar 2010
- Clint Goss: The Huron Carol - Sheet Music for the Native American Flute. In: Flutopedia. 2011. Abgerufen am 24. Oktober 2011..
- Archived copy. Archiviert vom Original am 10. November 2012. Abgerufen am 18. April 2013.
- Wonderland - Sarah McLachlan - Songs, Reviews, Credits - AllMusic. In: AllMusic. Abgerufen am 16. Dezember 2017.
- Candace C: The Huron Wendat Carol. In: Wendat Language Revitalization. 24. November 2014. Abgerufen am 2. Januar 2021.
- Ernest Myrand (1854-1921): Noëls anciens de la Nouvelle-France, Québec: Dussault & Proulx, 1899, S. 33, auf Wikisource, https://fr.wikisource.org/wiki/Livre:Myrand - Noëls anciens de la Nouvelle-France, 1899.djvu