Jerusalem, du hochgebaute Stadt
Jerusalem, du hochgebaute Stadt ist ein lutherisches geistliches Lied vom himmlischen Jerusalem und vom Eingang der Seele in die Herrlichkeit der Vollendeten. Den Text schrieb Johann Matthäus Meyfart im Jahr 1626. Die Melodie stammt von Melchior Franck. Das ursprünglich achtstrophige Lied ist in einer siebenstrophigen Version im Evangelischen Gesangbuch (Nr. 150), in einer fünfstrophigen Version im katholischen Gotteslob (Nr. 553) enthalten.
Text
Entstehung
Johann Matthäus Meyfart, lutherischer Pfarrer und Theologieprofessor, war zur Zeit der Abfassung des Liedes Rektor des Casimirianum in Coburg. Die Stadt war noch nicht vom bereits acht Jahre andauernden Dreißigjährigen Krieg betroffen, die Sorge war jedoch groß. Meyfart, der später auch eine mutige Schrift gegen die Folter bei Hexenprozessen veröffentlichte, machte sich die Intensivierung des Glaubenslebens und die sittliche Hebung der Schüler und Studenten zum leidenschaftlichen Anliegen. Dem dienten besonders die akademischen Mittwochspredigten, bis 1625 auf Latein, seitdem auf Deutsch gehalten. Im Herbst 1626 hielt er eine vierteilige Predigtreihe über die „letzten Dinge“ Tod, Gericht, ewige Seligkeit und Verdammnis, die er unter dem Titel Tuba Novissima („Die letzte Posaune“, nach 1 Kor 15,52 ) im Druck erscheinen ließ. Den Schluss der dritten Predigt Von der Frewde und Herrligkeit / welche alle Außerwehlte in dem ewigen Leben zu gewarten haben bildet das Jerusalem-Lied. In der Druckfassung und wohl auch im mündlichen Vortrag waren den Strophen erläuternde Zwischenbemerkungen und ein Gebetsabschluss beigegeben. Die Druckfassung bietet außerdem Anmerkungen zu den Strophen 5, 6 und 7 für Textabweichungen „im Gesang“: statt „die Seele“ in dritter Person, wie in der Predigtfassung, soll es im Gemeindegesang jeweils „ich“, „mir“ usw. heißen.
Form
Die kunstvolle barocke Strophenform ist keine Neubildung Meyfarts. Sie findet sich etwa schon bei dem zeitgenössischen Schäferlied Angelica, du schöne Schäferin. Die erste Strophenhälfte besteht alternierend aus zwei fünf- und zwei dreihebigen, männlichen, jambischen Zeilen mit dem Reimschema [abab], die zweite aus vier dreihebigen Zeilen mit abwechselnd weiblichem und männlichem Reim. Die erste und dritte Zeile sind jeweils in einen zwei- und einen dreihebigen Teil gegliedert – kein Textwort überschreitet diese Grenze – und fügen sich damit durchgehend der von dem einleitenden Ruf „Jerusalem!“ inspirierten Melodiewendung.
Inhalt
Die Bilderwelt des Liedes ist aus dem biblischen Bildvorrat geschöpft, vor allem aus der Johannesoffenbarung (Offb 21 ), aber auch aus dem Lukasevangelium (Lk 23,46 ) und aus dem Alten Testament (2 Kön 2,11 ). Meyfart gestaltet daraus eine groß angelegte Vision von der Himmelfahrt der Seele und der Herrlichkeit der jenseitigen Gottesstadt, die von religiöser Sehnsucht und Begeisterung getragen ist. Das Lied gilt als die beste Dichtung Meyfarts.[1]
Geschichte
Das Jerusalem-Lied war im 17. und 18. Jahrhundert nur regional verbreitet. Erst im 19. Jahrhundert wurde es – offenbar wegen des Sehnsuchtsmotivs der ersten Strophe[2] – wiederentdeckt[3] und zählte seitdem zu den wichtigsten evangelischen Sterbe- und Ewigkeitsliedern. In unzähligen Liederbüchern für Kirche und Haus wurde es abgedruckt und dabei verändert, um es dem jeweiligen Sprachgebrauch und Empfinden anzunähern.[4] Die meisten dieser Varianten sind in der heutigen offiziellen Fassung rückgängig gemacht.
Originaltext und heutige Fassung
Das Lied ist im Evangelischen Kirchengesangbuch von 1950 unter der Rubrik Tod und Ewigkeit (Nr. 320) enthalten, im Evangelischen Gesangbuch von 1993 unter der Rubrik Ende des Kirchenjahres, dort bereits als ökumenisch gekennzeichnet. Die Kommission für das Gotteslob 2013 nahm es unter der Rubrik Die himmlische Stadt in den gemeinsamen Teil für alle Bistümer auf.
Originaltext 1626[5] |
Evangelisches Gesangbuch und Gotteslob |
1. JErusalem du hochgebawte Stadt / |
1. Jerusalem, du hochgebaute Stadt, |
Also erseufftzen betrübte Christen / |
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2. O schöner Tag / vnd noch viel schönste Stund |
2.[8] O schöner Tag und noch viel schönre Stund, |
Nun wolan / es wird zwar vnserer Seelen lang |
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3. Jm Augenblick wird Sie erheben sich |
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Mit was frölichem Gesicht / |
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4. O Ehrenburgk / nun sey gegrüsset Mir / |
3.[8] O Ehrenburg, nun sei gegrüßet mir, |
Wird aber auch bey demselbigen nicht verbleiben / |
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5. Ein edles Volck / vnd ein sehr werthe Schaar |
4. Was für ein Volk, was für ein edle Schar |
6. Propheten groß vnd Patriarchen hoch |
5. Propheten groß und Patriarchen hoch, |
7. Wenn dann zuletzt Sie ist gelanget hin[15] |
6. Wenn dann zuletzt ich angelanget bin |
8. Mit JubelKlang! mit Jnstrumenten schon! |
7. mit Jubelklang, mit Instrumenten schön, |
Wer dahin begehret / |
Melodie und Bearbeitungen
Die „gilt für einen der schönsten deutschen Choräle“.[18] Sie ist einzigartig durch ihren Beginn, den Dreiklangabstieg vom oberen bis zum unteren Grundton C. In dem dadurch eröffneten Spannungsraum, gleichsam zwischen Himmel und Erde, schwingen die weiteren Zeilen in lebhafter Bewegung aus. Auch die Melodie ist, wie der Text, in verschiedenen Fassungen überliefert.
Die Melodie erschien, in einer Vorform und ohne Komponistenangabe, erstmals im Erfurter Gesangbuch von 1663 im Druck.[3][19] Als Urheber wird allgemein Melchior Franck angesehen. Allerdings gibt es für seine Autorschaft keinen sicheren Beleg. Auch Johann Dilliger, 1625–1632 Kantor am Gymnasium Casimirianum, könnte der Komponist sein.[20]
Ernst Flügel, Wilhelm Rudnick, Georg Schumann, Max Reger, Sigfrid Karg-Elert, Karl Hoyer, Rudolf Mauersberger, Johann Nepomuk David und andere haben die Jerusalem-Melodie in eigenen Werken bearbeitet. Es fehlen jedoch Bearbeitungen aus der Barockzeit.
Übersetzung
Catherine Winkworth übersetzte das Lied 1858 unter dem Titel Jerusalem, Thou City Fair and High ins Englische.[21]
Literatur
- Helmut Kornemann: 150 – Jerusalem, du hochgebaute Stadt. In: Gerhard Hahn, Jürgen Henkys (Hrsg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Nr. 13. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-50337-9, S. 45–54 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
Weblinks
Einzelnachweise
- Kornemann, S. 53
- Vgl. die dritte Strophe von Eichendorffs Mondnacht.
- Website zum Colmarischen Gesangbuch
- Das kritisiert Philip Schaff, der aber selbst stärker ändert als die heutigen Gesangbücher, siehe Bilddatei Gesangbuch 1893.
- Nach dem Erstdruck 1626, wiedergegeben in: Albrecht Schöne (Hrsg.): Das Zeitalter des Barock. Texte und Zeugnisse. München 1988, S. 200–202 (books.google.de)
- EKG „sehnlich“
- EKG „blaches Feld“
- Diese Strophe fehlt im Gotteslob.
- EKG Ausrufezeichen
- Originale Randnotiz zu Strophe 5:
(Sicht sie)
im Gesang:
Seh ich.
(Ihr) im
Gesang
Mir.
(Sie) im
Ges.Ich.
(Ihrem)
im Gesang
Meinem. - EKG „von“
- "Kron" als Eindeutschung von lat. corona Schar, Versammlung; EKG „seh ich, die beste Kron“
- Originale Randnotiz zu Strophe 6:
(Schawt sie)
im Ges.Sch.
Ich. - EKG „die weiland dort“
- Originale Randnotiz zu Strophe 7:
(Sie ist) im
Gesang / ich
eingelanget
bin. - Ps 84,11
- Martin Luther: Komm, Heiliger Geist, Herre Gott, Str. 3
- Philip Schaff, siehe Bilddatei Gesangbuch 1893; Kornemann, S. 54: „Eine der schönsten Melodien des Gesangbuchs.“
- Faksimile Erfurter Gesangbuch 1663
- Kornemann, S. 54
- Jerusalem, Thou City Fair and High auf Lutheran-Hymnal.com