Ich bin die kleine Nienburgerin
Ich bin die kleine Nienburgerin, auch unter dem Titel Nienburgerin und Kalenberger bekannt, ist ein in Nienburg/Weser verortetes Volkslied. Es ist seit spätestens 1912 in Liederbüchern nachgewiesen.[1][2]
Inhalt
In dem Volkslied besingen abwechselnd die kleine Nienburgerin und der Calenberger Bauer ihre Kleidung. Solche Wechselgesänge entstanden früher oft an Landesgrenzen und haben eine volkskundliche Bedeutung; man bezeichnet sie als Nachbarschaftsneckereien.[3] Das Lied ist in acht Strophen unterteilt.
Das Lied gehört zu einer Gruppe von Scherzliedern, die seit Anfang des 19. Jahrhunderts in vielen landschaftlichen Varianten überliefert sind.[4][5] Reizvoll an der Nienburger Version ist, dass die Kleinstädterin in Standarddeutsch, der „Bur“ auf Plattdeutsch singt.[6][7] Eine ähnliche Variante ist in Westfalen auch als kleine Limburgerin überliefert.[8]
Text
Ich bin die kleine Nienburger-, Nienburgerin.
Hab’ so’n klein Hütchen auf
mit so viel Blümchen drauf.
Ich bin die kleine Nienburger-, Nienburgerin.
Ick bin dei ole Kalenbarger, Kalenbarger Bur.
Hew sau’n ol’n Deiwitz up
mit sau viel Builen drup.
Ick bin dei ole Kalenbarger, Kalenbarger Bur.
Ich bin die kleine Nienburger-, Nienburgerin.
Hab’ so’n schön Kleidchen an
mit so viel Spitzen dran.
Ich bin die kleine Nienburger-, Nienburgerin.
Ick bin dei ole Kalenbarger, Kalenbarger Bur.
Hew sau’n ole Böxen an,
mit sau veel Flicken dran.
Ick bin dei ole Kalenbarger, Kalenbarger Bur.
Ich bin die kleine Nienburger-, Nienburgerin.
Hab’ so’n schön Schürzchen vor
mit so viel Blümchen dran.
Ich bin die kleine Nienburger-, Nienburgerin.
Ick bin dei ole Kalenbarger, Kalenbarger Bur.
Hew sau’n ole Jacken an
mit sau veel Lappen dran.
Ick bin dei ole Kalenbarger, Kalenbarger Bur.
Ich bin die kleine Nienburger-, Nienburgerin.
Hab’ solch klein Schühchen an
mit so viel Schleifchen dran.
Ich bin die kleine Nienburger-, Nienburgerin.
Ick bin dei ole Kalenbarger, Kalenbarger Bur.
Hew sau ol Stewel an
mit sau veel Kauhdreck dran.
Ick bin dei ole Kalenbarger, Kalenbarger Bur.[1]
Rezeption
Anlässlich ihres 950-jährigen Stadtjubiläums schrieb die Stadt Nienburg 1975 einen Wettbewerb für ein Denkmal der zentralen Figur des Liedes aus. Sieger wurde der Entwurf der aus Herford stammenden Bildhauerin Marianne Bleeke-Ehret, den die Künstlerin als „ein bisschen rätselhaft verhüllten Akt“ beschrieb.[9] Da der Entwurf der Kleidung der im Lied beschriebenen Frau nicht gerecht wird, war er zunächst umstritten. Nach Sicherstellung der Finanzierung durch eine Spendenaktion wurde der Entwurf dennoch als Bronzestatue ausgeführt und 1979 in der Fußgängerzone aufgestellt (Lage) .[10][11][12] Die 1,65 m große und vier Zentner schwere Skulptur[12] gilt seither als eines der Wahrzeichen der Stadt Nienburg. Als Symbolfigur der Stadt Nienburg ist sie auch Teil der Deutschen Märchenstraße, die von Hanau über Nienburg nach Bremen führt.[13] Auch ihr Gegenstück, der „Calenberger Bur“, wurde als Bronzeskulptur in der Nienburger Altstadt verewigt.[14]
Die heute bekannte überlieferte Melodie wird täglich um 9:15 Uhr, 12:15 Uhr und 18:15 Uhr von einem aus zehn Glocken bestehenden Glockenspiel an der Seitenfront des Posthofes gespielt,[15][16] das der Rotary-Club Nienburg-Neustadt 1980 stiftete.[17]
Ab 1994 wurde jährlich eine „kleine Nienburgerin“ gewählt, um bei verschiedenen Anlässen gemeinsam mit Vertretern aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft die Stadt zu repräsentieren. Voraussetzung für die Wahl war unter anderem, dass die Kandidatin Konfektionsgröße 36 hatte, um in das im Lied besungene Biedermeierkostüm zu passen.[18] Die Wahl ist letztmals 2011 nachgewiesen.[19] Heute wird sie nicht mehr durchgeführt, da die jungen Damen durch berufliche oder schulische Ausbildung die Repräsentationspflichten oftmals nicht wahrnehmen konnten.[20]
Trivia
Eine ehemalige Hafenbarkasse der Bundesmarine trägt seit 1989 den Namen Kleine Nienburgerin.[21]
Literatur
- Theo Mang, Sunhilt Mang (Hrsg.): Der Liederquell. Noetzel, Wilhelmshaven 2007, ISBN 978-3-7959-0850-8, S. 425 f.
Weblinks
Einzelnachweise
- Karl Henniger, G. Baxmann, A. Biester (Hrsg.): Niedersachsen-Liederbuch. Die schönsten niedersächsischen Volkslieder nach Wort und Weise. Ernst Geibel, Hannover 1912, OCLC 16454527, S. 106.
- Paul Alpers (Hrsg.): Hannoversche Volkslieder mit Bildern und Weisen (= Landschaftliche Volkslieder mit Bildern und Weisen. Heft 11). Diesterweg, Frankfurt am Main 1927, S. 91 f.
- Hermann Ziegler: „Ich bin die kleine Nienburgerin“ und Ein Bronze-Denkmal für die Kleine Nienburgerin. ruehmkorffbund.de, abgerufen am 18. Juni 2021
- Ludwig Erk, Franz Magnus Böhme (Hrsg.): Deutscher Liederhort. Band 2. Breitkopf und Härtel, Leipzig 1893, S. 763 f. (Digitalisat).
- Otto Holzapfel: Liedverzeichnis: Die ältere deutschsprachige populäre Liedüberlieferung (Online-Fassung auf der Homepage Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern; im PDF-Format; laufende Updates).
- Karl Horak: Landschaftliche Volkslieder [Rezension]. In: Wiener Zeitschrift für Volkskunde. Jg. 37, 1932, S. 95 (volkskundemusum.at; PDF; 3,4 MB).
- Albrecht von Blanckenburg: Freude am Singen: Ein Liederbuch für Jung und Alt. 3. Auflage. Schulz-Kirchner, Idstein 2005, ISBN 3-8248-0170-1, S. 132 u. Anm. S. 223 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Bin ’ne feine Limburger - Limburgerin. Landschaftsverband Westfalen-Lippe, abgerufen am 18. Juni 2021
- Patricia Berger: Drei Grazien, Flora & Co. – Kunst im Stadtbild. In: Niedersachsenbuch 1997, ISSN 0946-5588, S. 121–125.
- Frau halbnackt in der Innenstadt. blickpunkt-nienburg.de, 6. Juni 2016, abgerufen am 16. Juni 2021
- Kleine Nienburgerin. nienburg-online.de, abgerufen am 18. Juni 2021
- Skulptur „Kleine Nienburgerin“. mittelweser-tourismus.de, abgerufen am 16. Juni 2021
- Skulptur Kleine Nienburgerin, deutsche-maerchenstrasse.com, abgerufen am 16. Juni 2021
- Skulptur „Calenberger Bur“. mittelweser-tourismus.de, abgerufen am 5. Juli 2021
- Posthof Nienburg, mittelweser-tourismus.de, abgerufen am 18. Juli 2021
- Nienburg/Weser – die liebens- und lebenswerte Weserstadt. deutsche-maerchenstrasse.com, abgerufen am 18. Juli 2021
- Gero Sommerfeld: Es klingt seit 40 Jahren. Die Harke, 16. April 2020, abgerufen am 17. Juli 2021.
- Flora auf dem Berge: Frauen in Nienburg. In: Niedersachsenbuch 1997, ISSN 0946-5588, S. 211–215 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Constanze Kemmerer ist „Kleine Nienburgerin“ 2011. Die Harke, 7. Februar 2011, abgerufen am 20. Juli 2021.
- Geschichten über Nienburg. (Video) Abgerufen am 20. Juli 2021 (deutsch, ab Minute 24:20).
- Kleine Nienburgerin. Reservisten Kameradschaft Marine Nienburg/Weser, abgerufen am 31. Juli 2021.