Historie venete dal principio della città fino all’anno 1382
Bei den Historie venete dal principio della città fino all’anno 1382 handelt es sich um ein Geschichtswerk des Venezianers Gian Giacomo Caroldo, das dieser zwischen 1520 und 1532 verfasste. Wie der Titel schon klarstellt, wird darin die Geschichte Venedigs vom Beginn der Stadt – Caroldo übernimmt hier das Gründungsjahr 421 – bis zum Jahr 1382 dargestellt.
Handschriftenüberlieferung
Die Überlieferung des Chroniktextes ist höchst kompliziert. Zwei Autographe sind erhalten. Dabei handelt es sich zum einen um den in der Biblioteca Marciana liegenden Cod. Marc. It. VII, 803, der ein Fragment im Umfang von 114 folia birgt, das die Jahre 1367 bis 1382 umfasst, zum anderen um den in derselben Bibliothek aufbewahrten Cod. Marc. It. VII, 2448, der den Abschluss der Chronik birgt, der wiederum den Büchern V bis X des Gesamtwerks entspricht. Allerdings findet sich darin noch nicht die inzwischen gewohnte Aufteilung in die besagten Libri.
Vom zweiten Kodex existiert eine Kopie des 18. Jahrhunderts, nämlich der in Wien liegende Cod. Palat. Vindob. 6170. Es handelt sich um eine Überarbeitung des ersten Kodex' durch den Verfasser, er bildet also eine gute Basis für eine Edition des Schlussabschnittes.
Der Anfang der Chronik hingegen ist durch eine reiche Texttradition überliefert, die sich in mehr als 40 Codices niederschlägt. Diese Tradition hatte ihren Ausgangspunkt in besagtem Cod. Marc. It. VII, 2448. Im Rahmen dieser dritten Zusammenstellungsphase trat ein Abschreiber auf, der dort, wo ein Vergleich mit dem zweiten Autograph möglich ist, also in den Büchern V-X, erweist, dass es sich um eine Verschlechterung des Ausgangstextes handelte. Dieser bevorzugte nämlich, im Gegensatz zu Caroldo, nicht die Quellen, sondern die ihm zugänglichen, mehr oder minder zuverlässigen chronikalischen Überlieferungen. Die wichtigsten Codices in dieser Reihe sind der Cod. Marc. It. VII, 128 A und der Cod. C. M. 107 des Museo civico zu Padua. Ein gut begründetes stemma codicum existiert allerdings noch nicht. Letzterer Kodex, der Paduaner Cod. C. M. 107, bietet das Stemma der Familie Caroldo, dazu einen Index der Fakten und Eigennamen, die Niccolò Caroldo 1545 ergänzte. Ersterer, der Cod. Marc. It. VII, 128 A, ist sprachlich näher am Autograph, also dem Cod. Marc. It. VII, 2448. Darüber hinaus bietet er keine Einteilung in Bücher, die ja dem Autograph gleichfalls unbekannt ist, während diese Einteilung in der sonstigen Überlieferung durchgängig vorhanden ist.
Kompilationsverfahren
Das Verfahren der Zusammenstellung der Chronik ist dasjenige, das man im 13. bis 16. Jahrhundert fast durchgängig befolgte. Es basierte auf einer Überarbeitung der vorangegangenen Chroniken, in ihren Schwerpunkten und Ausdrucksweisen angepasst an die Intentionen des Autors. Dabei bleibt die Vorlage meist erkennbar. Dies erklärt, entsprechend den Vorlagen, den geradezu sprunghaften Stilwechsel und das Missverhältnis in den Textmengen zwischen den Abschnitten der Chronik. Dabei war für die Zeit bis 1280 das Werk des Dogen Andrea Dandolo von größter Bedeutung.
Chronikalische Grundlage
Die Basis bildet die Chronica extensa des Dogen Andrea Dandolo, der Caroldo bis zum Dogat des Jacopo Contarini (1275–1280) folgt. Dieser umfasst jedoch nur die ersten 125 folia der insgesamt 454 folia des Cod. Marc. It. VII, 128 A. Die übrigen Seiten, die die Zeit ab 1280 darstellen, also nur ein gutes Jahrhundert der Gesamtgeschichte Venedigs, die für Caroldo im 5. Jahrhundert einsetzte, umfassen die folgenden mehr als 300 folia. Zwar folgt der Autor Dandolo im Wesentlichen, bietet aber doch Präzisierungen, andere Akzente und Erweiterungen. Vergleichsweise eigenständig schildert Caroldo dabei die Gründung der Stadt, die er ausschließlich auf die Verlagerung der Städte der Terraferma in die Lagune zurückführt, als Attila 452 in Oberitalien stand und eine Massenflucht auslöste. Caroldo lehnt eine Flucht der primates vor den Langobarden (ab 569) als Ursprung ab, wie sie zuerst Johannes Diaconus annahm, der um 1000 schrieb. Stattdessen übernimmt er das Gründungsdatum des 25. März 421 durch die Konsuln Paduas. Diese Annahme hatte die Chronistik des 13. und 14. Jahrhunderts abgelehnt, weil sie eine zu enge genetische Beziehung zu Padua bedeutet hätte – was in der Phase der Expansion Venedigs auf das Festland aber neu bewertet werden konnte. Möglicherweise blieb Caroldo aber hierin deshalb unentschieden, weil er die Monographie des Bernardo Giustinian zu diesem Thema (De origine urbis Venetiarum…, Venedig [1493][1]) kannte. Stattdessen zieht Caroldo die Invasion der Langobarden dafür heran, dass Sitz und Titel des Patriarchen von Aquileia nach Grado transferiert wurden. Andererseits strich Caroldo die umfangreichen Schilderungen Dandolos über die Gründung der Bischofssitze und der ältesten Kirchen drastisch zusammen. Im Gegensatz dazu bediente sich Caroldo im Zusammenhang mit den Kreuzzügen weniger bei Dandolo als – für die Kriegsgeschichte des Ersten Kreuzzugs – bei den folia 36r–46v des Cod. Marc. It. VII, 128 A sowie – im Zusammenhang mit den Vierten Kreuzzug – bei den folia 67r–72v.
Der umfangreichere Teil, der die Zeit zwischen 1280 und 1382 umfasst, lässt sich mit Blick auf die Tradition sehr viel schwerer greifen. Erkennbar sind diese in Form von Einsprengseln völlig anderen Stils (wie die lange Episode des Ferrara-Kriegs von 1305 oder der Verschwörung des Baiamonte Tiepolo (f. 134r–149v)). Die Handlung wird hier durch Reden dramatisiert, die ungewohnt weitschweifend, von reicher Ausdruckskraft und Lebendigkeit sind. Wie eingefügt wirkt auch die erneute, breite Darstellung des Ursprungs der Signoria der Carrara und derjenigen der Bonaccorsi von Mantua. Auch bei der Darstellung der Herrschaft des Dogen Andrea Dandolo handelt es sich geradezu um einen autonomen Abschnitt (f. 189v–231v), reich an Fakten, jedoch ohne historiographisches Konzept. Den letzten Abschnitt bildet die Grabrede für den Dogen Andrea Contarini, gehalten von einem Verwandten des Toten, einem Kardinal Contarini.
Quellengebrauch, Eigenheiten, vom Autor verfolgter Zweck des Werkes
Insgesamt erweist der Autor, der nur wenig von der gewohnten venezianischen Historiographie abweicht, und der sich kaum der Quellen bedient, die jenen zugrunde lagen, seine historiographischen Fertigkeiten in der Textauswahl und in den Themenschwerpunkten. Angesichts einer enorm umfangreichen Historiographie, beschränkt sich Caroldo auf die Geschichte der venezianischen Administration, der diplomatischen Beziehungen und des Krieges. Dabei geht er akkurat vor, wenn er Listen der Consiglieri aufführt, Kataloge der Botschafter, Berichte der Botschafter, die Berechnung der Schiffe für die einzelnen Flotten, die Namen ihrer Kommandanten. Dabei bezieht er sich als Quelle auf die Entscheidung des Großen Rates, die deliberazioni del Maggior Consiglio, die ihm als Sekretär des Rates der Zehn, des Consiglio dei dieci zur Verfügung standen.
Es handelt sich um eine Geschichte des venezianischen Staates in seiner Funktionsweise entsprechend der Wahrnehmung eines Diplomaten und Angehörigen der Kanzlei. Wie er selbst am Ende einräumt, richtet er sich damit nutzbringend an die Herrschaftsschicht „conoscendo quanto sia utile a quelli governano la Repubblica haver intelligenza dell'historie et annali della loro città“, mit Blick auf dasjenige also, was zu wissen von der Geschichte ihrer Stadt nützlich sei.
Edition
- Șerban V. Marin (Hrsg.): Gian Giacomo Caroldo. Istorii Veneţiene, Bd. I: De la originile Cetăţii la moartea dogelui Giacopo Tiepolo (1249), Arhivele Naţionale ale României, Bukarest 2008. (academia.edu).
Literatur
- Antonio Carile: Caroldo, Gian Giacomo. In: Alberto M. Ghisalberti (Hrsg.): Dizionario Biografico degli Italiani (DBI). Band 20: Carducci–Carusi. Istituto della Enciclopedia Italiana, Rom 1977.
Anmerkungen
- Digitalisat der Ausgabe von 1534: Bernardo Giustiniani: De origine urbis Venetiarum rebus que a Venetis gestis libri XV In quibus gravissimo stillo, non tantum res venetae, verum ettiam bella Gottorum, Longobardorum & saracenorum amplissime continentur. Adjecta Insuper divi Marci evangelistae vita, ac ejus translatione…, Bernardinus Benalius, Venedig 1534 (Digitalisat).