Hildesheimer Platt
Das Hildesheimer Platt, auch Hildesheimisch, ist ein regionaler niederdeutscher Dialekt des ostfälischen Sprachgebiets und umfasst Stadt und Landkreis Hildesheim. Als Teil des ursprünglichen Westgermanischen Dialektkontinuums hatte auch dieser Dialekt eine vielfältige Sprachlandschaft, sodass das Gesprochene in angrenzenden Gebieten zu anderen Dialektregionen Teile der unten genannten Eigenschaften u. U. nicht aufwies.
Das Hildesheimer Plattdeutsch gehört zum mek-Gebiet mit seck (sich), meck (mich/mir), deck (dich/dir), jöck (euch), damit grenzt es sich zum mik-Gebiet und ins Besondere zu vielen anderen niederdeutschen Dialekten ab, die statt meck und deck, mi und di aufweisen.[1]
Heutzutage spricht man in der gesamten Region Hildesheims hauptsächlich Hochdeutsch.
Eigenschaften
Die folgenden Angaben entsprechen dem ursprünglichen Hildesheimisch, wie er noch großflächig bis Anfang des 20. Jahrhunderts gesprochen wurde.
Vokale
Das lange [uː] in Wörtern wie Hus (Haus) entwickelte sich im Hildesheimischen zu [iu], z. B. iuse Hius, und entspricht damit meist dem hochdeutschen [aʊ]. Der entsprechende Umlaut ist [ui], also wird z. B. aus Einzahl Hius die Mehrzahl Huiser. Im Stadtgebiet liegt dagegen der Laut näher am hochdeutschen [ɔʏ]. Das lange [oː], wie es auch im Hochdeutschen zu finden ist, wird zu [eo], z. B. in Wörtern wie Beohne (Bohne). Das lange [eː] wird zu [ä], in östlicheren Regionen auch zu [iə], damit entspricht dem hochdeutschen neben die Hildesheimischen näben oder nieben. Für das lange [iː] sind je nach Region neben [œi] die Aussprachen [ɛi], [oi] und [yi] gebräuchlich, z. B. Köipen (Kiepe). Das [a:] aus Wörtern wie Frage wird zu einem [ɔ:]. Ein langes [a:] ist jedoch im Hildesheimischen enthalten, wenn auf das a ein [r] Laut und ein Konsonant folgt in Wörtern wie warm. Ein [a:] kommt im Hildesheimischen vereinzelt auch anstelle eines ursprünglichen [ai] vor, bspw. bei Are (Eier).[1] Das [ɛː] wird meist [ɛ:] oder [e:] in Wörtern wie Mäken, wobei auch Schreibweisen wie eä oder äe existieren, die Aussprache aber häufig einem Monothong entspricht[2] Ein kurzes [a] existiert und entspricht dem hochdeutschen, in Wörtern wie Land. Der Auslaut -er im Hochdeutschen wird auch im Hildesheimischen als [ɐ] ausgesprochen.[2]
Sonstige Vokale entsprechen dem Hochdeutschen.
Konsonanten
Das [r] ist im Hildesheimischen üblich. Im Stadtgebiet hat das Hochdeutsche [ʁ] jedoch um 1900 durch hochdeutsche Einflüsse das [r] bereits größtenteils verdrängt.[1] Das [ç] kommt im Hildesheimischen als Auslaut in Wörtern wie lüttjig (klein) oder Borg (Burg), sowie vor Konsonanten in Formen wie seggt (sagt) vor und wird meist mit g umschrieben.[3] Der [ʃt] im Hochdeutschen entspricht dem [st] im Hildesheimischen. Analog dazu [sp].[1]
Das j in Wörtern wie Jahr, Junge wird [d͡ʒ] ausgesprochen.[2]
Sonstige Konsonanten entsprechen dem Hochdeutschen.
Grammatik
Das Hildesheimische weist beim maskulinen und neutralen Geschlecht im Dativ noch immer ein -e auf, wie es in vielen niederdeutschen Dialekten nicht mehr vorhanden ist. So heißt es z. B. up'n Felle (auf dem Feld). Bei unflektierten Adjektiven wird ein zusätzliches -e angehängt, z. B. Dat Maus is te dünne (Das Mus ist zu dünn) und wege biste (weg bist du). Nach einem Adjektiv im Neutrum fällt nach einem unbestimmten Artikel die Endung weg, z. B. en bunt Kleid (ein buntes Kleid) und en wacker Mäken (ein wackeres Mädchen). Entsprechend im Maskulinum hat der Akkusativfall den Nominativfall verdrängt z. B. Dat is en groten Kerel (Das ist ein großer Kerl).[1]
Die Superlative enthält im Hildesheimischen regulär das Komparativ als Teil des Wortes, wie z. B. bei klauk kloiker de kloikerste. Ein Kollektivum also Sammelbegriff kann mit der Endung -sse gebildet werden, z. B. Anbaldersse, Schrappelsse. Pronominaladverbien werden im Hildesheimischen häufig getrennt und mit der gebildet. So heißt es z. B. Eck sin der nich vor (Ich bin nicht dafür). Sätze werden häufig so gebildet, dass Subjekte und Objekte am Satzanfang über eine Relativsatz ähnliche Konstruktion aufgegriffen werden, z. B. De Friunsluie dei küret giern (Die Frauen reden gerne) und Up en stalen Stöige, da trecket de wille Jäger (Auf dem steilen Steig zieht der wilde Jäger). Bei weiblichen Substantiven folgt auf ein e häufig ein n, wie bspw. bei de Stiuwen fegen (Die Stube fegen). Dies gilt auch im nominativen Fall. Im Stadtgebiet war um 1900 diese grammatikalische Form jedoch nicht mehr üblich.[1]
Bei der Adjektivierung von Verben wird die Endung meist weggelassen fließendes -> fleiten. Ähnlich wie im englischen erlaubt das Hildesheimische darüber folgende Satzkonstruktion Hei was seck nix vermauen (Er war sich nichts vermutend = Er erwartete nichts).[1]
Manchmal wird an Worte ein zusätzliches -ig angehängt, z. B. lüttjig. Die -end Endung entspricht in einigen Fällen der hochdeutschen -ung Endung, z. B. Bespräkend. Bei der -ung Endung wird im Hildesheimischen ein zusätzlicher Vokal [ə] angehangen, z. B. Linderunge.
Die Perfektform von Verben wird im Hildesheimischen über ein vorangestelltes e gebildet und entspricht damit dem hochdeutschen ge. Dieses fällt jedoch weg, wenn das Verb am Anfang eines Satzes steht oder vor einem Wort, das auf einem Vokal endet.
In einigen Fällen wendet man im Hildesheimischen die doppelte Verneinung an. Dafür hängt man an das Satzende ein weiteres nich an.[4]
Besondere Vokabeln
- dügenisch – ungezogen
- küeren – sprechen
- Weidage – Schmerzen, Krankheit
Spracherhalt
Von 2005 bis 2018 hat das in Hildesheim ansässige Radio Tonkuhle regelmäßig plattdeutsche Beiträge aus der Region aufgenommen und gesendet. So haben bspw. Irmgard Rosner und Therese Bormann als Addelsche Tanten ihr originales Hildesheimer Plattdeutsch noch regelmäßig aufgenommen.[5]
Als Teil des Niederdeutschen ist Hildesheimisch als anerkannter Regionalsprache im Rahmen europäische Charta für Regional- und Minderheitensprachen besonders geschützt.[5]
Folgende Autoren haben in bzw. über die hildesheimische Mundart geschrieben und sich für den Erhalt der Sprache eingesetzt:
- Klaus Freise (* 1938)
- Georg Christian Coers (auch bekannt als Georg Kurt) (1858–1922)
- Wilhelm Kaune (1895–1981)
- Jürgen Schierer (* 1930)
- Rolf Ahlers (* 1940)
- Heinrich Sievers
- Heinrich Keese
Die heutige Lage
Die Anzahl der aktiven Sprecher ist seit vielen Jahrzehnten stark rückläufig. Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist das Plattdeutsche angefangen im städtischen Raum weitgehend vom Hochdeutschen verdrängt worden, sodass schon 1943 weniger als 50 % die Sprache noch mit ihren Kindern gesprochen haben.[6] Zum Anfang der 2020er Jahre gibt es nur noch vereinzelt Kleingruppen, die in den Dörfern um Hildesheim zusammenkommen, um sich mit der plattdeutschen Sprache zu beschäftigen, wobei viele das Hildesheimisch nach eigener Angabe nicht mehr richtig sprechen können.[7] Das hat auch zur Folge, dass viele Eigenschaften, die das Hildesheimische vom Hochdeutschen unterscheiden, wie das [r], mittlerweile häufig durch die hochdeutschen Äquivalente ersetzt werden. Vor allem grammatikalische Eigenheiten lassen sich unter den noch verbliebenen aktiven Sprechern nur noch selten erkennen.
Einzelnachweise
- Georg Christian Coers: Wat sau en Hasen alle infallen kann: eine Skizze: mit Sprachproben aus eigener Feder. In: Mitteilungen aus dem Quickborn. Band 3. Hamburg 1909, S. 11.
- Klaus Freise: Hildesheimer Platt Wörterbuch, Aussprache, Grammatik und plattdeutsche Geschichten. 2., erw. Auflage. Göttingen 2010, ISBN 978-3-86955-472-3.
- Georg Christian Coers: An Nahwertiune. Band 1. Borgmeyer, Hildesheim 1916.
- Jürgen Schierer: Twüschen Hilmessen un Ganderssen : Plattdeutsches aus Vergangenheit und Gegenwart. Ostfalia, Peine 1988, ISBN 3-926560-13-4.
- Landkreis Hildesheim aktuell: Platt ekürt - ein Ohrenzeugnis. 26. Mai 2014, abgerufen am 17. September 2021.
- Verbreitung des Plattdeutschen in Niedersachsen. In: Archiv für Landes u. Volkskunde von Niedersachsen. Nr. 18. Gerhard Stalling Verlag, Oldenburg 1934.
- Gemeinde Schellerten: Plattdeutsche Runde, Heimatverein Dinklar / Gemeinde Schellerten. Abgerufen am 17. September 2021.