Handlungsbuch
Das Handlungsbuch oder Rechnungsbuch (auch Raitbuch) ist ein internes Verzeichnis der Geschäftsgebarung eines Unternehmers, einer weltlichen Herrschaftsorganisation (wie Landesfürstentum oder Kommune) oder einer geistlichen Institution (wie Klöster, Hochstifte und Pfarrkirchen).
Die Handlungs- und Rechnungsbücher zählen aufgrund ihrer oftmals detaillierten Sachangaben zu den wichtigsten sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Quellen überhaupt.
Die ersten nachweisbaren Handlungsbücher aus dem weltlichen Bereich sind diejenigen italienischer Kaufleute wie u. a. die von Giacomo Badoer im 15. Jahrhundert. Über fünfhundert Rechnungsbücher aus der Firma von Francesco Datini haben sich in Prato erhalten. Auch zu den Medici-Unternehmen in Florenz beziehungsweise den Unternehmen in Genua und Venedig haben diese sich erhalten. In diesen Verzeichnissen sind nicht nur die Arten der Geschäfte und deren Umfang verzeichnet. Dabei werden Konten der Einnahmen- und Ausgabenseite aufgeführt. Sie geben auch Auskunft über die wirtschaftsstrategischen und politischen Zielvorstellungen der Unternehmen, wie auch ihre Verbindungen in die Politik. Sie geben Einblick in die innere Struktur eines solchen Unternehmens des Mittelalters und der Frühen Neuzeit wie auch die beteiligten Gesellschafter und deren Anteile an dem Unternehmen. Bei großen Frachten finden sich auch Geschäfte mit Versicherungen. Diese Handlungsbücher sind die Ahnen der Doppelten Buchführung, wie sie sich bis heute erhalten hat.
Handlungsbücher sind auch von Unternehmen außerhalb Italiens erhalten geblieben, darunter auch deutsche Handlungsbücher des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Dabei dürfte unbestritten sein, dass die Entwicklung dieser Handlungsbücher, die zugleich Rechnungsbücher sind, unterschiedlich erfolgte. Das älteste erhaltene deutsche Geschäftsbuch stammt von der Nürnberger Patrizierfamilie Holzschuher und ist aus den Jahren 1304 bis 1307.[1] Viele der frühen deutschen Handlungsbücher sind als Beweismittel in Gerichtsakten oder fragmentarisch als Einbandmakulatur überliefert.
Zahlreiche, meist noch frühere Rechnungsbücher sind aus dem kirchlichen und landesherrlichen Bereich überliefert. Unter ihnen ragen aufgrund ihrer Überlieferungsdichte und guten Erhaltung die sogenannten Raitbücher aus der Kanzlei der Grafen von Tirol des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts hervor.[2]
Literatur
Allgemeines und Typologien
- Franz-Josef Arlinghaus: Die Bedeutung des Mediums "Schrift" für die unterschiedliche Entwicklung deutscher und italienischer Rechnungsbücher. In: Walter Pohl und Paul Herold (Hrsg.): Vom Nutzen des Schreibens (= Forschungen zur Geschichte des Mittelalters. Band 1). Wien 2002, S. 237–268.
- Gudrun Gleba, Niels Petersen (Hrsg.): Wirtschafts- und Rechnungsbücher des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Formen und Methoden der Rechnungslegung: Städte, Klöster und Kaufleute. Göttingen 2015.
Kaufmännische Rechnungsbücher
- Heinrich Sieveking: Die Handlungsbücher der Medici. In: Sitzungsberichte der Akad. d. Wiss. Wien, Phil.-hist. Kl. Band 151, 1905, S. 29–33.
- Jean-Claude Hocquet: Pesi e misure del commercio veneziano a Bisanzio. In: Ders.: Denaro, navi e mercanti a Venezia 1200–1600. Roma 1999, S. 265–293 (Untersuchungen zum Rechnungsbuch des in Konstantinopel Handel treibenden venezianischen Kaufmanns Giacomo Badoer).
- Peter Geffcken, Mark Häberlein (Hrsg.): Rechnungsfragmente der Augsburger Welser-Gesellschaft (1496–1551). Oberdeutscher Fernhandel am Beginn der neuzeitlichen Weltwirtschaft. (= Deutsche Handelsakten des Mittelalters und der Neuzeit. Band 22). Steiner, Stuttgart 2014.
- Markus A. Denzel, Jean-Claude Hocquet, Harald Witthöft (Hrsg.): Kaufmannsbücher und Handelspraktiken vom Spätmittelalter bis zum beginnenden 20. Jahrhundert. Merchant's Books and Mercantile Pratiche from the Late Middle Ages to the 20th Century. Stuttgart 2002.
- Mark Mersiowsky: Zur Überlieferung hansischer Geschäftsquellen. Altbekanntes und Neufunde. In: Cristina Mantegna, Olivier Poncet (Hrsg.): Les documents du commerce et des marchands entre Moyen Âge et époque moderne (XIIe-XVIIe siécle) (= Collection de l'École Française de Rome. 550). Roma 2018, S. 181–202.
Kirchliche Rechnungsbücher
- Volker Stamm, Hannes Obermair: Zur Ökonomie einer ländlichen Pfarrgemeinde im Spätmittelalter. Das Rechnungsbuch der Marienpfarrkirche Gries (Bozen) von 1422 bis 1440 (= Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs. 33). Verlagsanstalt Athesia, Bozen 2011, ISBN 978-88-8266-381-0.
- Cristina Carbonetti Vendittelli: Le scritture contabili delle domenicane di San Sisto in Roma degli anni 1398–1430. In: Incorrupta monumenta ecclesiam defendunt. Studi offerti a mons. Sergio Pagano, prefetto dell’Archivio Segreto Vaticano (= Collectanea Archivi Vaticani. 107). Città del Vaticano, 2018, ISBN 978-88-98638-09-3, S. 89–106.
Kommunale Rechnungsbücher
- Heinrich Sieveking: Genueser Finanzwesen mit besonderer Berücksichtigung der Casa di S. Giorgio. Band 1: Genueser Finanzwesen vom 12.–14. Jahrhundert (= Volkswirtschaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen. 1/3). 1898.
Adelige und landesfürstliche Rechnungsbücher
- Emil von Ottenthal: Die ältesten Rechnungsbücher der Herren von Schlandersberg. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Band 2, 1881, S. 555–618.
- Christoph Haidacher: Die älteren Tiroler Rechnungsbücher. Analyse und Edition. 3 Bände. Tiroler Landesarchiv, Innsbruck 1993–2008.
- Mark Mersiowsky: Die Anfänge territorialer Rechnungslegung im deutschen Nordwesten. Spätmittelalterliche Rechnungen, Verwaltungspraxis, Hof und Territorium (= Residenzenforschung. Band 9). Stuttgart 2000, ISBN 3-7995-4509-3.
Einzelnachweise
- M. Schieber: Nürnberg – Eine illustrierte Geschichte der Stadt. Beck, München 2000.
- Richard Heuberger: Das Urkunden- und Kanzleiwesen der Grafen von Tirol, Herzoge von Kärnten aus dem Hause Görz. In: Mitteilungen d. Inst. für Österr. Geschichtsforschung. Erg. Band 9, 1913, S. 51–176 und 265–394.
Weblinks
- Rezension zu Computatio. Die Marburger Seite zu Rechnungen des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, H-Soz-Kult, 22. August 2003