Gott ist gegenwärtig
Gott ist gegenwärtig ist ein aus der reformierten Tradition stammendes geistliches Lied von Gerhard Tersteegen. Er veröffentlichte es zuerst 1729 in seinem Geistlichen Blumengärtlein inniger Seelen. Die dort angegebene Melodie Wunderbarer König schrieb Joachim Neander 1680. Das Lied ist mit allen acht Strophen im Evangelischen Gesangbuch (Nr. 165) und gleichlautend im Gotteslob (Nr. 387) sowie mit sieben Strophen im Mennonitischen Gesangbuch (Nr. 1) enthalten.
Form
Die Strophenform ist von Neanders Wunderbarer König übernommen. Sie umfasst acht trochäische Zeilen von unterschiedlicher Länge:[1]
x–x–x–x–x–x– (A)
x–x–x–x– (A)
x–x–x–x–x–x– (B)
x–x–x–x– (B)
x–x (C)
x–x (C)
x–x–x– (D)
x–x–x– (D)
Inhalt
Die originale Überschrift des Liedes lautet „Erinnerung der herrlichen und lieblichen Gegenwart Gottes“. Gemeint ist das Innewerden der Anwesenheit des unendlichen Gottes bei und in der glaubenden Gemeinde (Strophen 1–3) bzw. bei und im glaubenden Einzelnen (Strophen 5–8) – Tersteegens Herzensthema. Diese Anwesenheit wird axiomatisch vorausgesetzt („Gott ist gegenwärtig“, Anfang von Strophe 1 und 2), mit den Engeln angebetet und zugleich als geistliche Erfahrung bezeugt und erbeten. Letztes Ziel der Sehnsucht ist die mystische Einswerdung mit Gott: „ich in dir, du in mir“ (Strophe 5). Dabei wird jedoch das personale Gegenüber und der unendliche Abstand des Geschöpfs vom Schöpfer nicht aufgehoben: „Lass mich dich erblicken und vor dir mich bücken“ (Schlusszeilen der letzten Strophe). Lediglich die 5. Strophe enthält Aussagen, die pantheistisch oder panentheistisch gelesen werden konnten und die Kritik der calvinistischen und lutherischen Orthodoxie hervorriefen. Sie wurden darum in späteren Ausgaben des Geistlichen Blumengärtleins mit Bibelstellen erläutert: „Luft, die alles füllet“ mit Jer 23,24 , „drin wir immer schweben“ mit Apg 17,28 und „lass mich ganz verschwinden“ mit Gal 2,20 .[2] Auffällig bleibt, dass ein expliziter Bezug auf das Heilshandeln Christi und das Wirken des Heiligen Geistes fehlt.
Heute gebräuchlicher Text
1. Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten |
5. Luft, die alles füllet, drin wir immer schweben, |
2. Gott ist gegenwärtig, dem die Kerubinen |
6. Du durchdringest alles; lass dein schönstes Lichte, |
3. Wir entsagen willig allen Eitelkeiten, |
7. Mache mich einfältig, innig, abgeschieden, |
4. Majestätisch Wesen, möcht ich recht dich preisen |
8. Herr, komm in mir wohnen, lass mein’ Geist auf Erden |
Melodie
Neanders Melodie zu Wunderbarer König war mit ihrem großen Tonumfang, dem Sextsprung in Zeile 2/4 und dem oktavversetzten Echoeffekt am Schluss ursprünglich für Sologesang oder einen kleinen Kreis bestimmt, nicht für eine Gottesdienstgemeinde.[6] Sie wurde früh vereinfacht und vom Achtel- zum Viertelrhythmus verlangsamt. Dabei ging einerseits die Vierertaktgliederung der 2./4. Zeile verloren oder wurde durch Verdoppelung des Zeilenschlusstons ausgeglichen, andererseits wurden die langen Noten der Zeilen 5 und 6, ein auskomponiertes „Innehalten“, halbiert.[7] In den heutigen Gesangbüchern ist die im Allabreve-Takt notiert, die langen Noten der 5. und 6. Zeile sind wiederhergestellt.
Literatur
- Andreas Marti: Gott ist gegenwärtig. In: Musik und Gottesdienst 66, 2012, S. 139–142
- Jürgen Henkys: „Gott ist gegenwärtig“ in: Hansjakob Becker et al.: Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder. 2. Auflage. Beck, München 2003, ISBN 3-406-48094-2, S. 337–344.
Weblinks
Einzelnachweise
- x = Hebung, – = Senkung; Buchstaben = Reim
- Gott ist gegenwärtig in der 12. Auflage, 1818
- Original: „schlagt“
- Original: „Heilig, heilig, singen alle Engel Chören, / wann sie dieses Wesen ehren“.
- Original: „sanfte und im stillen Frieden“
- Marti, S. 141.
- vgl. die Fassung von 1878 in einem amerikanischen deutschsprachigen Gesangbuch