Glossentranskription
Für das Notieren von Gebärden wird seit 1988 häufig die Glossentranskription (Glossenumschrift)[1][2][3] genutzt. Sie ist leicht verständlich, da jede Glosse für eine Gebärde steht. Des Weiteren bietet sie eine Möglichkeit, Gebärden und ihre Verbindungen darzustellen. Die Gebärdenreihenfolge und die grammatikalischen Angaben sind damit leichter nachzuvollziehen.
Glossen sind einfache Indikatoren aus der Linguistik einer Beschreibungssprache (z. B. Deutsch) für eine Objektsprache (z. B. DGS).[4]
Die Glossentranskription wird trotz ihrer lateinischen Buchstaben als Gebärdenschrift bezeichnet, da sie zur Verschriftlichung von Gebärden dient.
Sie ist keine Übersetzungstechnik und richtet sich nur nach der Gebärdenausführung.
Verwendung
Die Glossentranskription wird bereits in zahlreichen Gebärdensprachlehrbüchern[5], im Studium und der Förderschule für Gehörlose[6] eingesetzt. Sie ist vergleichbar mit der Interlinearglossierung, welche nach der Leipziger Schule der Übersetzungswissenschafften (Leipzig Glossing Rules) arbeitet, für gesprochene Fremdsprachen. Durch sie erkennen Gebärdensprachlerner bereits zum Anfang den Satzbau der Gebärdensprache und können schnell einige Gebärdensprachsätze gebärden und selbst schreiben.
Aufbau
Deutsche Gebärdensprache (DGS)
Sie hat den typischen Satzbau der DGS (Zeit – Subjekt – Objekt – Prädikat – W-Frage) und ist durch die gewohnten lateinischen Buchstaben in Hochdeutsch auch nahezu dialektfrei. Die Glossentranskription für die DGS und ÖGS besteht aus einer normal großen Mittelzeile und einer kleineren Ober- und Unterzeile darüber und darunter. Für eine "Übersetzung" in die deutsche Lautsprache wird eine vierte Zeile benötigt. Damit weicht sie von der Glossentranskription der ÖGS und DSGS ab.
Eine Glosse umfasst eine Gebärde und benennt sie somit genau. Sie wird immer komplett in Großbuchstaben geschrieben und kann um weitere Glossen/Satzteile ergänzt werden. Eine Bedeutungseingrenzung der Glosse oder Bewegung/Ausführungsstelle in der Glosse wird immer komplett klein geschrieben. Diese eine Glosse kann auch aus mehreren deutschen Wörtern bestehen. Die Glosse richtet sich immer nach der Gebärde und nicht nach dem deutschen Wort. Eine Verbindung von mehreren Wörtern wird meist mit Bindestrich vorgenommen. Beispiel:
Oberzeile: . .
Mittelzeile: vorne-links-GLAS
Unterzeile: glas
Deutsch: Das Glas ist vorne links.
In die Mittelzeile werden die Glossen in lateinischen Buchstaben geschrieben. Die Mimik sowie die Kopf- und Körperhaltung werden unterstrichen in die Oberzeile geschrieben. Mundbild oder Mundgestik werden in die Unterzeile geschrieben und darüber wird für die Dauer der Glosse ein Strich gesetzt. Die Ober- und Unterzeile werden, anders als die Mittelzeile, komplett klein geschrieben. Zu dem werden in der Unterzeile Buchstaben wie "h" oder "r" häufig weggelassen, da sie schwer vom Mund abzulesen/abzusehen sind. Wie in der Interlinearglossierung gibt es auch hier, meistens für die Ober- und Mittelzeile, keine einheitlichen Abkürzungen. Ein Abkürzungsverzeichnis kann deshalb benötigt werden. Beispiel:
Oberzeile: w w
Mittelzeile: DEIN NAME WAS
Unterzeile: name was
Deutsch: Wie heißt du?
Die Schreibregeln der Glossentranskription folgen im Allgemeinen den Regeln der DGS. Klar schriftlich definiert sind sie aber nicht. Im Zweifelsfall kann es deshalb zu Variationen in der Glossierung mit gleicher Bedeutung kommen.
Beispiel Variation 1:
Oberzeile: . .
Mittelzeile: ICH FAHREN-fahrrad
Unterzeile: faen
Deutsch: Ich fahre Fahrrad.
Beispiel Variation 2:
Oberzeile: . .
Mittelzeile: ICH FAHRRAD-fahren
Unterzeile: faa
Deutsch: Ich fahre Fahrrad.
Österreichische Gebärdensprache (ÖGS)
Im Vergleich zur Glossentranskription der DGS verändert sich die Glossentranskription der ÖGS. Eine Verbindung von mehreren Wörtern kann hier mit einem Plus oder einem Bindestrich erfolgen. Mehrere Bedeutungen für eine Gebärde werden mit einem Schrägstrich getrennt. Eine Erklärung erfolgt in Klammern dahinter. Eckige Klammern hinter einer Glosse geben das Mundbild oder die Gestik an. Die Unterzeile entfällt also. Infos zur Mimik sind hochgestellt. Die Dauer der Gebärde wird mit einem Strich über der Glosse gekennzeichnet. Doppelpunkte direkt hinter einer Glosse zeigen eine Wiederholung an. Besondere Glossen gibt es aber auch hier für besondere grammatikalische Elemente. "Übersetzt" wird die Glosse auch hier in Deutsch.
Oberzeile: " wf
Hauptzeile: WO DEIN BÜRO WO
Deutsch: Wo befindet sich dein Büro?
Deutsch-Schweizerische Gebärdensprache (DSGS)
Die Glossentranskription[7] der DSGS ist im Wesentlichen fast genauso wie die Glossentranskription der DGS aufgebaut. Ein wesentlicher Unterschied ist hier, dass es keine Ober- und Unterzeile gibt. Hier ist es wichtig zu wissen, wann eine zusätzliche Information zu den Parametern hochgestellt und tiefgestellt zu schreiben ist. Die Mimik wird z. B. hochgestellt dahinter geschrieben. Der Gebärdenort/Raumpunkt der Gebärden wird dagegen tiefgestellt dahinter geschrieben. Eine "Übersetzung" erfolgt grundsätzlich in Deutsch. Beispiel:
DSGS: DArechts BLUME
(Hoch-)Deutsch: Rechts ist eine Blume.
Französische Gebärdensprache (LSF)
Die Glossentranskription der LSF[8][9] ist mit anderen Glossentranskriptionen anderer Gebärdensprachen nicht vergleichbar. "Übersetzt" wird in Französisch.
LSF: [AVOIR] [AMI] [PNT] [PETITE] [AGE] [DIX] [AN]
Französisch: j'ai ami age dix ans
Britische Gebärdensprache (BSL)
Die Glossentranskription der BSL[10] ähnelt der Glossentranskription der ÖGS sehr. Die "Übersetzung" findet natürlich in Englisch statt.
Oberzeile: q hn
Mittelzeile: GIRL WHAT EAT CAKE
Englisch: What cake eat the girl?
Eurosigns
Für Eurosigns ist bisher keine Glossentranskription bekannt.
Amerikanische Gebärdensprache (ASL)
Für ASL gibt es auch eine Glossentranskription (Gloss, ASL Glossing).[11] Sie ist der österreichischen Glossentranskription sehr ähnlich. Demzufolge hat sie keine Unterzeile. Zusätzlich gibt es hier keine Angaben zum Mundbild, da es meistens auf natürliche Weise nicht vorkommt. Es gibt einige wenige Abkürzungen. "Übersetzt" wird grundsätzlich in Englisch. Sie hat nicht so große Verbreitung in Amerika, da es zahlreiche andere Gebärdenschriften für ASL gibt. Sie wird meistens in der Linguistik verwendet. Beispiel:
Oberzeile: shake-head
Mittelzeile: I DONT-WANT
Englisch: I don't want.
Internationale Gebärdensprache (IS)
Für die Internationale Gebärdensprache (IS) ist bisher keine Glossentranskription bekannt.
Kritik
Perfekt ist diese Art der Gebärdenschrift natürlich nicht. Je nach Qualität der Transkription, ist sie mehr oder weniger gut für den Gebärdensprachlerner. Das Mundbild ist häufig nicht klar ersichtlich. Man sieht auch nicht genau welche Gebärde konkret verwendet wurde, sodass unter Umständen mehrere Gebärden möglich sind. Häufig wird auch aus Gründen der Einfachheit nur die Mittelzeile glossiert. Einführende Kurse für Interessierte außerhalb von Studium und Gehörlosencommunity sind oft schwer zu finden. Die einzelnen Parameter (Handform, Handstellung, Ausführungsstelle und Bewegung) sind teilweise nicht klar erkennbar. Sie erfreut sich aber großer Verbreitung. Zu dem ist vor allem die Mittelzeile recht einfach mit einer Qwertz-Tastatur schreibbar.
Mögliche Koexistenz von SignWriting, HamNoSys und Glossentranskription in der Zukunft
SignWriting, HamNoSys und Glossentranskription sind Versuche die DGS zu verschriftlichen.
SignWriting beschäftigt sich mit der korrekten Abbildung der vollständigen Gebärde ohne lateinische Buchstaben. Eine Übersetzung in die deutsche Lautsprache gelingt hier häufig nur geübten Gebärdensprachnutzern.
HamNoSys wurde an der Universität Hamburg für die linguistische Arbeit mit den Gebärdensprachen dieser Welt entwickelt. Das System befasst sich ebenso mit der Abbildung von Gebärden. Es nutzt dazu auch, wie SignWriting, festgelegte Symbole statt Buchstaben. Es ist aber eher für den Personenkreis der Linguisten gedacht. HamNoSys ist zu dem auch nicht so kompakt wie SignWriting, sondern wird eher hintereinander aufgereiht.
Die Glossentranskription hingegen legt Wert auf eine Verschriftlichung der Gebärde in lateinischen Buchstaben. Dadurch ist eine Übersetzung in die deutsche Lautsprache auch für Gebärdensprachungeübte leichter möglich.
Es bleibt abzuwarten, ob sich die Glossentranskription bei höreingeschränkten Menschen sowie bei der allgemeinen Kommunikation mit der Gehörlosencommunity und SignWriting bei der Kommunikation mit gehörlosen Menschen durchsetzt. Die Rolle von HamNoSys oder einer Mischform aus SignWriting und HamNoSys bleibt abzuwarten. Was für ein Schriftsystem von Gebärdensprachdolmetschern bevorzugt wird, bleibt ebenfalls abzuwarten.
Siehe auch
Einzelnachweise
- Chrissostomos Papaspyrou: Grammatik der deutschen Gebärdensprache aus der Sicht gehörloser Fachleute. In: Reihe Gebärdensprachlehre. Band 6. Signum Verlag, Seedorf 2008, ISBN 978-3-936675-21-4, S. 3–5.
- Margit Hillenmeyer, Thimo Kleyboldt: Deutsche Gebärdensprache - Teil 2 Aufbaukurs für Fortgeschrittene. Band 2. Viko-Medien, Hamburg 2015, S. 14–18.
- Gebärden Lernen | Liebe. Abgerufen am 18. Juni 2021.
- Mag. Michaela Stiedl, Bakk. phil.: Von der Gebärde zur Aufzeichnung - Möglichkeiten der Terminologieerfassung der österreichischen Gebärdensprache für Gebärdensprach-DolmetscherInnen. In: Masterstudium Dolmetschen Französisch Englisch. Nr. 065345342. Wien, S. 69–72.
- Anne Beecken, Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser Hamburg: Grundkurs Deutsche Gebärdensprache. Stufe 1. Arbeitsbuch. In: Reihe Gebärdensprachlehre. 2. durchges. Auflage. Band 3. Signum-Verlag, Hamburg 2006, ISBN 3-936675-13-9, S. 19–31.
- Hören - ISB - Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung. Abgerufen am 18. Juni 2021.
- Handbuch Glossierung. In: Der Verlag für die Gebärdensprache. Abgerufen am 18. Juni 2021 (deutsch).
- Julie Bakken Jepsen, Goedele De Clerck, Sam Lutalo-Kiingi, William B. McGregor: Sign Languages of the World: A Comparative Handbook. Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 2015, ISBN 978-1-61451-817-4, S. 283 (google.de [abgerufen am 21. September 2021]).
- Stephan: 16 septembre 2012. Abgerufen am 21. September 2021 (fr-FR).
- Rachel Sutton-Spence: The linguistics of British Sign Language : an introduction. Hrsg.: Cambridge University Press. Cambridge University Press, Cambridge, UK 1999, ISBN 0-521-63142-4, S. 61.
- ASL Font: Ways to Write ASL. Abgerufen am 8. Juli 2021.