Frühneuhochdeutsches Wörterbuch
Das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch (FWB, auch FnhdWb)[1] ist ein historisches Sprachstadienwörterbuch, das den Wortschatz des Frühneuhochdeutschen erfasst und beschreibt. Es umfasst die Zeit von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis zum Frühbarock im beginnenden 17. Jahrhundert und füllt somit die Lücke zwischen dem Mittelhochdeutschen Wörterbuch von Benecke/Müller/Zarncke bzw. Lexer und dem Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Geographisch umfasst es den mittel- und oberdeutschen Raum einschließlich der östlichen Sprachinseln und des Ripuarischen sowie norddeutscher Texte, d. h. hochdeutsch-niederdeutscher Mischtexte, sowie hochdeutscher Texte, die seit dem späten 15. Jahrhundert auf mittelniederdeutschem Dialektgebiet entstanden sind.
Quellen und Material
Neben literarischen Quellen werden auch rechts- und wirtschaftsgeschichtliche, chronikalische und berichtende, didaktische, theologische, erbauliche Texte sowie Realientexte ausgewertet. Das FWB erfasst damit nicht nur den allgemeinen Teil des Wortschatzes des Frühneuhochdeutschen, sondern weitgehend auch denjenigen seiner wichtigsten Varietäten, ohne damit allerdings zu einem einseitigen Spezialwörterbuch z. B. für bestimmte Dialekte, Fachsprachen, Soziolekte, Textsorten, wichtige Einzeltexte oder Autoren zu werden.
Ausgewertet wurden rund 900 Quellen und Quellenkollektionen im Umfang von ca. 400 000 Seiten. Materialbasis ist ein Zettelarchiv mit 1,5 Mio. Belegen.
Aufbau
Die Wörterbuchartikel haben folgenden Aufbau: Das Lemma wird in einer normalisierten Form angesetzt; sie entspricht denjenigen Belegformen, die am ehesten in sozial gehobenen, meist gedruckten Texten des späteren Frühneuhochdeutschen des ost- und nordoberdeutsch-ostmitteldeutschen Raumes begegnen. Dem Lemma folgen einige besonders ausgewählte Wortvarianten, sodann kurze Angaben zur Wortart und zur Morphologie sowie (im Bedarfsfall) ebenfalls knappe Hinweise zur Etymologie. Das Kernstück des Wörterbuchartikels bildet die Bedeutungserläuterung. Ihr folgt die Angabe von Symptomwerten, d. h. der zeitlichen, räumlichen und textsortentypischen Gültigkeit des Wortes bzw. seiner Einzelbedeutungen. Neuartig ist die systematisch eingeführte Informationsposition „onomasiologische Vernetzung“. Auch für die typischen Syntagmen und Angaben zur Wortbildung ist eine eigene Informationsposition eingerichtet. Den Schluss des Artikels bildet ein umfänglicher Belegblock.
Geschichte
- Projektgründung 1976 durch Robert R. Anderson, Ulrich Goebel und Oskar Reichmann.
- 1979 Beginn der Exzerptionsarbeiten durch Oskar Reichmann, später durch Mitarbeiter und Hilfskräfte mit Unterstützung der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, des Landes Baden-Württemberg und der Deutschen Forschungsgemeinschaft
- Publikationsbeginn 1986 nach einer Konzeptionsphase
- 1991 Austritt von Robert R. Anderson aus der Herausgeberschaft
- 1998 Abschluss der Exzerption, danach ohne finanzielle Absicherung (Ausnahme: Bände 6 und 12, IDS Mannheim)
- 2004 Eintritt von Anja Lobenstein-Reichmann in die Herausgeberschaft
- 2013 Seit Jahresbeginn wird das FWB als Forschungsprojekt der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen fortgeführt. Neben der Fortsetzung gedruckter Lieferungen ist nunmehr auch geplant, das Wörterbuch online verfügbar zu machen.
- 2017 Vorstellung der Online-Version des Wörterbuchs, die vielfältige unterstützte Suchmöglichkeiten bietet.
Publikation
Ulrich Goebel, Oskar Reichmann, Anja Lobenstein-Reichmann: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Berlin/ New York (ab 2011: Boston) (1986) 1989 ff.:
- Bd. 1: a – äpfelkern (1986–1989, Oskar Reichmann)
- Bd. 2: apfelkönig – barmherzig (1991–1994, Oskar Reichmann)
- Bd. 3: barmherzigkeit – bezwüngnis (1995–2001, Oskar Reichmann)
- Bd. 4: pfab(e) – pythagoreisch (1997–2000, Joachim Schildt)
- Bd. 5, 1: d / t (Lfg. 1, 2006, Markus Denkler, Dagmar Hüpper, Oliver Pfefferkorn, Jürgen Macha, Hans-Joachim Solms, Lfg. 2–4, 2014–16, Arbeitsstelle Frühneuhochdeutsches Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen)
- Bd. 5, 2: e – ezwasser (Lfg. 5–8, 2017–2019, Arbeitsstelle Frühneuhochdeutsches Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen)
- Bd. 6: g – glutzen (2003–2010, Joachim Schildt, Oskar Reichmann)
- Bd. 7:
- Lfg. 7, 1: gnaben – grossprechen (2001, Anja Lobenstein-Reichmann)
- Lfg. 7, 2: großsprecher – handel (2004, Anja Lobenstein-Reichmann)
- Lfg. 7, 3: handel – heimkuh (2007, Oliver Pfefferkorn)
- Lfg. 7, 4: heimkunft – hexerei (2009, Oliver Pfefferkorn)
- Bd. 8: i/j – kuzkappe (1997–2013, Vibeke Winge)
- Bd. 9, 1: l – maszeug (2000–2013, Anja Lobenstein-Reichmann, Oskar Reichmann)
- Bd. 9, 2: mat – ozzek (2013–2019, Oskar Reichmann)
- Bd. 10:
- Lfg. 10, 1: q – refutatorius (2020, Arbeitsstelle Frühneuhochdeutsches Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen)
- Lfg. 10, 2: refutieren - römisch (2021, Arbeitsstelle Frühneuhochdeutsches Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen)
- Lfg. 10, 3: römischköl - sang (2021, Arbeitsstelle Frühneuhochdeutsches Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen)
- Bd. 11:
- Lfg. 11, 1: st – stosser (2006, Oskar Reichmann)
- Lfg. 11, 2: stoessig – suene (2020, Oskar Reichmann)
- Lfg. 11, 3: sunebar – übersterben (2021, Oskar Reichmann)
- Voraussichtlicher Abschluss des Wörterbuches: 2027.
Literatur
- R. R. Anderson/U. Goebel/O. Reichmann: Projekt eines frühneuhochdeutschen Handwörterbuches, Zeitschrift für Germanistische Linguistik 5 (1977), S. 71–94
- R. R. Anderson/U. Goebel/O. Reichmann: Probeartikel zum Frühneuhochdeutschen Handwörterbuch, in: Studien zur neuhochdeutschen Lexikographie I. Germanistische Linguistik 3–4, 1979. Hg. v. H. E. Wiegand, Hildesheim 1981, S. 11–52
- R. R. Anderson/U. Goebel/O. Reichmann: Das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch II: Der Artikelaufbau, in: Beiträge zur historischen Lexikographie. Vorträge und Aufsätze zur mhd. und frnhd. Lexikographie. Hg. v. V. Ágel - R. Paul - L. Szalai, Budapester Beiträge zur Germanistik 15, Budapest 1986, S. 47–82
- R. R. Anderson/U. Goebel/O. Reichmann: Zum Aufbau von Wortartikeln im semasiologischen Sprachstadienwörterbuch am Beispiel von frnhd. arbeit, in: Symposium on Lexicography II. Proceedings of the Second International Symposium on Lexicography. 16. – 17. Mai 1984 Universität Kopenhagen ed. by K. Hyldgaard-Jensen - A. Zettersten, Lexicographica, Series Maior 5, Tübingen 1985, S. 259–285
- O. Reichmann: Möglichkeiten der Erschließung historischer Wortbedeutungen, in: In diutscher diute. Festschrift für A. van der Lee zum 60. Geburtstag. Hg. v. M. A. van den Broek - G. J. Jaspers, Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 20, Amsterdam 1983, S. 111–140
- O. Reichmann: Historische Bedeutungswörterbücher als Forschungsinstrumente der Kulturgeschichtsschreibung, in: Brüder-Grimm-Symposium zur Historischen Wortforschung. Beiträge zu der Marburger Tagung vom Juni 1985. Hg. v. R. Hildebrandt - U. Knoop, Historische Wortforschung 1, Berlin - New York 1986, S. 241–263
- O. Reichmann: Das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch I: Gegenstand und Quellengrundlage, in: Beiträge zur historischen Lexikographie. Vorträge und Aufsätze zur mhd. und frnhd. Lexikographie. Hg. v. V. Ágel - R. Paul - L. Szalai, Budapester Beiträge zur Germanistik 15, Budapest 1986, S. 21–46
- O. Reichmann: Das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch III: Die Aufbereitung semasiologischer Sprachstadienwörterbücher vorwiegend unter onomasiologischem Aspekt, in: Beiträge zur historischen Lexikographie. Vorträge und Aufsätze zur mhd. und frnhd. Lexikographie. Hg. v. V. Ágel - R. Paul - L. Szalai, Budapester Beiträge zur Germanistik 15, Budapest 1986, S. 83–110
- O. Reichmann: Zur Lexikographie des Frühneuhochdeutschen und zum „Frühneuhochdeutschen Wörterbuch“, Zeitschrift für deutsche Philologie 106 (1987), Sonderheft, S. 178–227
- O. Reichmann: Historische Lexikographie. Ideen, Verwirklichungen, Reflexionen an Beispielen des Deutschen, Niederländischen und Englischen. Berlin 2012.
Weblinks
Anmerkungen
- Ulrich Goebel, Oskar Reichmann (Hrsg.): Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Band 1 ff., Walter de Gruyter, Berlin/New York (1986–)1989 ff.