Filareto Kavernido
Filareto Kavernido (eigentlich Josef Heinrich Goldberg; * 24. Juli 1880 in Weißensee; † 16. Mai 1933 in Moca, Dominikanische Republik) war Führer einer anarcho-kommunistischen Kommune in Berlin, Tourrettes, Korsika und der Dominikanischen Republik.
Leben
Der Sohn des gutbürgerlichen jüdischen Arztes Ludwig Goldberg und seiner Ehefrau Elise geb. Karfunkel[1] studierte Medizin in Berlin, immatrikuliert am 13. Oktober 1900 mit der Matrikelnummer 4450 des 90. Rektorats der Humboldt-Universität zu Berlin. Sein Abgangszeugnis datiert vom 28. Oktober 1904. Er wechselt 1904 nach Freiburg. Am 7. Juli 1905 Abschluss des Medizinstudiums mit Staatsexamen und Promotion beim Neurologen und später als Gerichtspsychiater bekannten Alfred Hoche an der Universität Freiburg. Dissertationsthema: „Über hysterische Amaurose“.[2] Goldbergs Spezialfächer sind die Psychiatrie und die Gynäkologie. Auch Alfred Döblin promoviert in diesem Jahr bei Hoche. Vermutlich kannten sich beiden Studenten gut und tauschten sich auch philosophisch und politisch aus, zumal sie bereits am Köllnischen Gymnasium in Berlin-Mitte eine gemeinsame Klasse besuchten. In Freiburg kommt er vermutlich mit der Philosophie in Berührung und zwar über die zu jener Zeit zunehmend verbreiteten und geschätzten Schriften Nietzsches. Danach praktizierte Goldberg am Städtischen Krankenhaus Berlin Friedrichshain.[3] 1910 verließ er die Jüdische Gemeinde Berlin und wurde etwa 1918 Oberhaupt einer anarcho-kommunistischen Gruppe, die an verschiedenen Orten in und um Berlin (u. a. ab 1920 in der Mulackstraße 21 in Berlin-Mitte,[4][5] Kurfürstenstraße 24 in Mariendorf[6] und Spreenhagen[7]) versuchte, seine auf Nietzsche und Platons Philosophien basierenden Utopien zu verwirklichen. So lautet der Name seiner Gruppe „La Kaverno di Zaratustra“ nach Nietzsches Zarathustra.
Im Oktober 1921 wurde er wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, da er im Jahr 1911 den Tod von zwei Frauen durch Vernachlässigung der ärztlichen Sorgfaltspflicht verschuldet habe. In einer Privatklinik in Hohenschönhausen, die er zwischen 1905 und 1911 betrieb, soll er hunderte Operationen ausgeführt haben. Das Urteil in diesem Fall lautete auf zwei Jahre Gefängnis bei sofortiger Verhaftung.[8][9] Bereits im Jahr 1906 wurde Goldberg wegen Verstoß gegen den § 218 (Abtreibung) zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt. Seine damalige Partnerin Frau Gozdziewicz erhielt 7 Monate Gefängnis.[10]
Filareto Kavernido veröffentlicht einige Schriften, unter anderem eine Fabel[11] in der Plansprache Ido. In einer Schriftenreihe, den „Mitteilungsblättern aus Zarathustras Höhle“ legte er seine philosophischen Grundgedanken dar.[12] 1925 hielt er sich auf der Flucht vor der deutschen Justiz, unter anderem wegen Vergehen gegen den § 218, in Paris auf. Von hier aus suchte er den Kontakt zur Schweizer Frauenrechtlerin Margarethe Faas-Hardegger, die in der Schweiz eine ähnlich gesinnte Kommune führte. In Paris knüpfte er vermutlich auch den Kontakt zum Anarchisten Emile Armand, in dessen französischer Zeitung „L'en dehors“ („Außerhalb“) er über Jahre hinweg etliche Artikel publizierte, insbesondere Berichte aus der Dominikanischen Republik, wohin er 1929 mit einem Teil seiner Gruppe, bestehend im Wesentlichen aus einer seiner Lebensgefährtinnen und deren gemeinsamen Kindern, nach einem mehrjährigen (1926–1927) Aufenthalt in Tourrettes-sur-Loup, nördlich von Nizza, Frankreich, und in der Nähe von Ajaccio auf Korsika (1927–1929), auswanderte.
Am 16. Mai 1933 wurde Filareto unter ungeklärten Umständen in Moca, Dominikanische Republik, erschossen.
In zahlreichen zeitgenössischen Veröffentlichungen wird er erwähnt, in Zeitungsartikeln und Büchern wird seine politische und philosophische Weltanschauung diskutiert und sein autoritäres und despotisches Wesen geschildert.
Werke
Aufsätze:
- Heinrich Goldberg: Mitteilungsblätter der Höhle von Zaratustra. 3 Hefte mit den Titeln Kulturphilosophische Betrachtungen, Zivilisation und Kultur und Kulturkampf statt Klassenkampf im Selbstverlag der Verlagsgruppe La Kaverno di Zaratustra, Mulackstr. 21, Berlin-Mitte.
- Harry Wilde erwähnt, dass er nach dem Verschwinden der Kommune Goldberg einen Artikel für eine Ullstein-Zeitung schrieb, der von der Redaktion den Titel Freie Liebe am Bahndamm bekam.
- Anonymus: „Hüter der Höhle Zarathustras“. Höhlenbewohner vor den Toren Berlins. In: Berliner Volkszeitung, 22. April 1921, S. 2.
- Zwischen 1927 und 1931 Artikel von Filareto Kavernido für die von Emile Armand in Paris-Orléans herausgegebenen Zeitschrift „L’en Dehors“.
Literatur
Sachbücher:
- Harry Wilde: Theodor Plievier, Nullpunkt der Freiheit. München 1965.
- Max Fürst: Talisman Scheherazade. Die schwierigen zwanziger Jahre. dtv, München 1978, ISBN 3-423-01407-5.
- Ulrich Linse: Die anarchistische und anarcho-syndikalistische Jugendbewegung 1919-1933. Zur Geschichte und Ideologie der anarchistischen, syndikalistischen und unionistischen Kinder- und Jugendorganisationen 1919-1933. dipa-Verlag, Frankfurt a. M. 1976, ISBN 3-7638-0218-5.
- Ulrich Linse: Ökopax und Anarchie. Eine Geschichte der ökologischen Bewegungen in Deutschland. dtv, München 1986, ISBN 3-423-10550-X.
Weblinks
- Literatur von und über Filareto Kavernido im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Die Website zu Filareto Kavernido
- Mitteilungsblätter aus Zarathustras Höhle: Kulturphilosophische Betrachtungen
- Mitteilungsblätter aus Zarathustras Höhle: Kultur und Zivilisation
- Mitteilungsblätter aus Zarathustras Höhle: Kulturkampf statt Klassenkampf
- La Raupo, eine Fabel in Ido (deutsche Übersetzung durch S. Tovar, Madrid)
- Exemplare davon befinden sich im International Institute of Social History, Amsterdam, dem Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, sowie in mehreren Uni-Bibliotheken Deutschlands, z. B. Bonn, Bremen oder Berlin.
- „Der Tod eines Anarchisten in der Dominikanischen Republik“ auf blogs.taz.de von Hans-Ulrich Dillmann
Einzelnachweise
- Geburtsregister StA Weißensee Nr. 126/1880.
- Dissertation. In: Filareto Kavernido. Abgerufen am 22. August 2021 (deutsch).
- Filareto Kavernido - Seine Vita in chronologischer Darstellung. In: Filareto Kavernido. Abgerufen am 22. August 2021 (deutsch).
- Der Anarchokommunist in: Berliner Volkszeitung am 8. September 1920
- "Hüter der Höhle Zarathustras" Höhlenbewohner vor den Toren Berlins in: Berliner Volkszeitung am 22. April 1921
- Die Spreenhagener Höhlenkolonie vor Gericht in: Tempelhof Mariendorfer Zeitung am 20. Juli 1921
- Die Höhlenbewohner von Spreenhagen in: Berliner Tageblatt am 26. April 1921
- Der Höhlenbewohner Dr. Goldberg vor Gericht Strafbare Ausübung seiner ärztlichen Praxis. in: Berliner Tageblatt am 23. Oktober 1921
- Ein Mariendorfer Weltverbesserer zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt in: Tempelhofer Mariendorfer Zeitung am 25. Oktober 1921
- Verurteilung eines Arztes in: Bozner Zeitung am 21. November 1906
- La Raupo, die Fabel im Original - Einführung. In: Filareto Kavernido. Abgerufen am 22. August 2021 (deutsch).
- Die Sozialphilosophischen Schriften, Mitteilungsblätter aus Zarathustras Höhle. In: Filareto Kavernido. Abgerufen am 22. August 2021 (deutsch).