Episodenfilm
Ein Episodenfilm[1] besteht aus einer Anzahl erzähltechnisch unabhängiger, abgeschlossener Kurzfilme von einem oder mehreren Regisseuren. Der Begriff kann sich aber auch auf die Verwebung episodenhafter Handlungsstränge beziehen, die entweder ein Thema behandeln oder auf ein gemeinsames Finale zusteuern und im Verlauf des Films immer wieder aufgegriffen werden. Die Episoden stehen in der Regel unter einem gemeinsamen Thema oder weisen Berührungspunkte auf. Möglich ist auch eine übergreifende Rahmenhandlung; durchgehende Handlungsstränge sind dagegen unüblich. Die seit der Antike bestehende Forderung nach einer Einheit von Handlung, Ort und Zeit wird aufgegeben; eine Hauptfigur („Held“) gibt es nicht.
Beispiele
Einer der frühesten und berühmtesten Episodenfilme ist der im Jahr 1916 gedrehte Intolerance von D.W. Griffith. Die dramaturgische Verbindung der einzelnen Episoden kann durch einen gleichen oder denselben Gegenstand erfolgen, wie in den Filmen In jenen Tagen (Helmut Käutner, 1947) und in Der gelbe Rolls-Royce (Anthony Asquith, 1964), in denen jeweils ein Auto und deren verschiedene Besitzer im Mittelpunkt der Handlung stehen. Weitere Beispiele sind Die Abenteuer eines Zehnmarkscheins (Berthold Viertel, 1947), ein Gewehr in Winchester 73 (Anthony Mann, 1950), ein Treppenhaus in Roma Ore Undici (Giuseppe De Santis, 1952), eine Geige in Die rote Violine (François Girard, 1998) oder einen gleichen oder denselben Ort, etwa eine Stadt und ihre Musik in Nashville (Robert Altman, 1975), ein Stadtteil in Short Cuts (Robert Altman, 1993), ein Taxi in Night on Earth (Jim Jarmusch, 1993) oder eine gemeinsame oder gleichartige erzählte Situation, z. B. das postfaschistische Italien in den Tagen der Befreiung durch die Amerikaner in Paisà (Roberto Rossellini u. a., 1946).[2] oder eine Nacht im Berliner Großstadtalltag in Nachtgestalten (Andreas Dresen, 1999)
Fernsehserien
Da Fernsehserien (z. B. Bonanza, Dallas, Denver-Clan, Two and a half Men oder The Big Bang Theory) nahezu immer episodenhaft angelegt sind und für die Sehgewohnheiten seit Jahrzehnten prägend waren und sind, ist eine gegenseitige Beeinflussung zwischen Film und Fernsehen wahrscheinlich. In diesem Zusammenhang ist auch folgendes Zitat zu verstehen: Die auffälligste dramaturgische Maßnahme [bei Episodenfilmen] ist die Konsequenzlosigkeit von kollisionsvollen Situationen.[3]
Jüngere Beispiele
- Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten (1972) von Woody Allen
- Deutschland im Herbst (1977), Gemeinschaftsproduktion von elf Regisseuren des Neuen Deutschen Films, u. a. Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff und Alexander Kluge
- Zum Beispiel Otto Spalt (1978) von René Perraudin
- Creepshow (1982) von George A. Romero (Regie) und Stephen King (Drehbuch)
- Unheimliche Schattenlichter (1983) von John Landis, Steven Spielberg, Joe Dante und George Miller
- New Yorker Geschichten (1989) von Martin Scorsese, Francis Ford Coppola und Woody Allen
- Mystery Train (1989), Night on Earth (1991) und Coffee and Cigarettes (2003) von Jim Jarmusch
- Four Rooms (1995), vier – sich nur teilweise überschneidende – Geschichten von Quentin Tarantino, Robert Rodriguez u. a.
- Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit (1998), acht ineinander gewobene Einzelgeschichten von Marc Rothemund
- Tatsächlich… Liebe (2003) von Richard Curtis
- 11:14 (2003) von Greg Marcks
- L.A. Crash (2004) von Paul Haggis
- Amores Perros, 21 Gramm und Babel (2000–2006), „Trilogy of Death“ des mexikanischen Regisseurs Alejandro González Iñárritu
- Nine Lives (2005), Frauenfilm von Rodrigo García
- Paris, je t’aime (2006), 18 Geschichten aus 18 Arrondissements von Paris von 18 verschiedene Regisseuren
- Die Österreichische Methode (2006), eine deutsche Produktion, die in kollektiver Zusammenarbeit fünf befreundeter Nachwuchsregisseure entstand
- Mütter und Töchter (2009), Filmdrama von Rodrigo García
- Deutschland 09 (2009), 13 Kurzfilme renommierter deutscher Regisseure (u. a. Fatih Akin, Dani Levy und Tom Tykwer) „zur Lage der Nation“
- Wild Tales – Jeder dreht mal durch! (2014), schwarze Drama-Komödie des argentinischen Filmemachers Damián Szifron
- The Ballad of Buster Scruggs (2018), Western von Ethan und Joel Coen
- The French Dispatch (2021) von Wes Anderson
Literatur
- Andreas Schreitmüller: Filme aus Filmen. Möglichkeiten des Episodenfilms. Oberhausen 1983, ISBN 978-3874680189
Einzelnachweise
- Episodenfilm. In: Lexikon der Filmbegriffe. Bender Verlag, abgerufen am 29. Juli 2013.
- Rabenalt, Peter: Filmdramaturgie. Berlin/Köln 2011, Seite 161 ff
- Rabenalt, ebd., S. 168