Entscheidung unter Ungewissheit
Als Entscheidung unter Ungewissheit werden in der Entscheidungstheorie Entscheidungssituationen bezeichnet, bei denen zwar die Alternativen, die möglichen Umweltzustände und die Ergebnisse bei Wahl einer bestimmten Alternative und Eintritt eines bestimmten Umweltzustandes bekannt sind, in denen aber die Eintrittswahrscheinlichkeiten der Umweltzustände unbekannt sind. Diese werden manchmal auch Entscheidungen bei objektiver Unsicherheit genannt.
Allgemeines
Entscheidung unter Ungewissheit ist in der Entscheidungstheorie ein Unterfall der Entscheidung unter Unsicherheit. Entscheidungen unter Ungewissheit unterscheiden sich von Entscheidungen unter Risiko dadurch, dass bei letzteren die Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten bestimmter Umweltzustände als bekannt vorausgesetzt werden oder zumindest durch eine Schätzung zugeordnet werden können.
Die Entscheidungssituation bei Entscheidungen unter Ungewissheit kann durch eine Ergebnismatrix dargestellt werden. Der Entscheider hat die Wahl zwischen verschiedenen Alternativen , die abhängig von den möglichen Umweltzuständen verschiedene Ergebnisse zur Folge haben. Allerdings weiß der Entscheider vorher nicht, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Umweltzustände und damit die Ergebnisse eintreffen.
Die Unterscheidung von Unsicherheit in Ungewissheit und Risiko hat sich sprachlich noch nicht komplett in der Fachliteratur etabliert. So wird teilweise nur eine Zweiteilung in Unsicherheit (Wahrscheinlichkeiten unbekannt) und Risiko (Wahrscheinlichkeiten bekannt) vorgenommen.[1]
Entscheidungsregeln
Die folgenden Entscheidungsregeln sollen an einer beispielhaften Entscheidungssituation näher erläutert werden.
Beispiel: 100 € sollen für ein Jahr angelegt werden. Zur Wahl stehen: eine Aktie () oder der Sparstrumpf, der keine Zinsen abwirft (). Die möglichen Umweltzustände sind: Der Aktienkurs steigt (), er sinkt () oder er bleibt gleich ().
- Die Ergebnismatrix sieht dann zum Beispiel wie folgt aus:
120 | 80 | 100 | |
100 | 100 | 100 |
Entscheidungen unter Ungewissheit können rational nach unterschiedlichen Regeln gefällt werden:
Minimax-Regel
Die Minimax-Regel oder Maximin-Regel (nach Abraham Wald auch Wald-Regel) ist sehr pessimistisch. Hierbei wird das jeweils ungünstigste Ereignis betrachtet, welches bei Wahl einer bestimmten Handlungsalternative in den verschiedenen Umweltzuständen eintreten kann. Die Alternativen werden nur anhand dieses jeweils schlechtesten Ergebnisses (das jeweils bei verschiedenen Umweltzuständen eintreten kann) verglichen, alle anderen möglichen Ergebnisse einer Alternative werden nicht betrachtet.
120 | 80 | 100 | 80 | |
100 | 100 | 100 | 100 |
Im vorliegenden Beispiel wählt der Entscheider den Sparstrumpf (Alternative 2, ), da dieser unabhängig von den Umweltzuständen eine Auszahlung von 100 € garantiert, während bei Alternative 1 im schlechtesten Fall (Kurs sinkt, Umweltzustand ) am Ende des Jahres nur 80 € zu Buche stehen. Aus diesen Zeilenminima wählt man anschließend das Maximum. Aus diesem Vorgehen leitet sich der Name der Entscheidungsregel ab.
Eine konkrete Anwendung der MaxiMin-Regel findet sich bei John Rawls in Eine Theorie der Gerechtigkeit. Viele Schachprogramme verwenden einen entsprechenden Minimax-Algorithmus bei der Zugwahl.
Eine Erweiterung der Maximin-Regel ist die Leximin-Regel von Amartya Sen,[2] wonach für den Fall, dass zwei Alternativen den jeweils schlechtesten Zustand aufweisen, diejenige auszuwählen ist, bei der der zweitschlechteste Fall den höchsten Wert aufweist usw. Durch diesen Zusatz wird vermieden, dass eine insgesamt schlechtere Version gewählt werden kann, nur weil sie dem Maximin-Prinzip entspricht.
Maximax-Regel
Die Maximax-Regel ist eine sehr optimistische Entscheidungsregel. Hierbei wird jede Alternative nur anhand des Ergebnisses, das beim jeweils für diese Alternative günstigsten Umweltzustand eintreten kann, beurteilt. Der Entscheider wählt also diejenige Handlungsalternative mit dem maximalen Zeilenmaximum.
120 | 80 | 100 | 120 | |
100 | 100 | 100 | 100 |
Im vorliegenden Beispiel wählt der Entscheider folglich die Alternative .
Wird statt der Maximierung die Minimierung einer Zielgröße angestrebt, wird entsprechend auch vom Minimin-Prinzip gesprochen.[3]
Kritik an Maximin- und Maximax-Regel
Beide vorliegenden Regeln berücksichtigen nicht alle möglichen Ergebnisse einer Handlungsalternative, sondern greifen sich nur jeweils das beste (Maximax) oder das schlechteste (Maximin) Ergebnis einer Alternative heraus. Dies kann zu unerwünschten Ergebnissen führen, wie die folgenden Beispiele zeigen.
0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 120 | 120 | |
119 | 119 | 119 | 119 | 119 | 119 | 119 |
Nach der Maximax-Regel würde hier die Alternative gewählt, da nur das Ergebnis im günstigsten Umweltzustand also betrachtet wird, was größer als 119 ist. Die in allen anderen Umweltzuständen eintretende Auszahlung von Null bei Alternative würde nicht berücksichtigt.
120 | 120 | 120 | 120 | 120 | 99 | 99 | |
100 | 100 | 100 | 100 | 100 | 100 | 100 |
Nach der Minimax-Regel würde hier die Alternative gewählt, da nur das jeweils im ungünstigsten Umweltzustand eintretende Ergebnis betrachtet wird, also für die Alternative das Ergebnis = 99 und bei Alternative 100. Die in allen anderen Umweltzuständen eintretende Auszahlung von 120 bei Alternative würde nicht berücksichtigt.
Hurwicz-Regel
Die Hurwicz-Regel, benannt nach Leonid Hurwicz, auch Optimismus/Pessimismus-Regel genannt, erlaubt Kompromisse zwischen pessimistischen und optimistischen Entscheidungsregeln, weil der Entscheidungsträger dabei seine persönliche und subjektive Einstellung durch den sogenannten Optimismusparameter (mit ) zum Ausdruck bringen kann.
Die jeweiligen Zeilenmaxima werden somit mit (das zwischen 0 und 1 liegt) und die jeweiligen Zeilenminima mit () – d. h. dem in der Summe mit einen Wert von 1 ergebenden Betrag – multipliziert.
Je größer ist, umso optimistischer ist die Grundeinstellung, bei = 1 liegt die Anwendung der Maximax-Regel, bei = 0 die Anwendung der Maximin-Regel vor.
Im vorliegenden Beispiel wählt der Entscheider für > 0,5 die Aktie und für < 0,5 den Sparstrumpf.
Auch die Hurwicz-Regel betrachtet nicht alle möglichen Ergebnisse, sondern bewertet die Alternativen anhand eines gewichteten Mittelwerts ihres bestmöglichen und ihres schlechtestmöglichen Ergebnisses. Problematisch ist bei ihr weiterhin, dass die Wahl des Optimismusparameters stark stimmungsabhängig schwanken kann.
Beispiel:
bei würde man sich also für die Alternative entscheiden.
Hurwicz-Regel | ||||
---|---|---|---|---|
120 | 80 | 120 | ||
100 | 100 | 100 |
Laplace-Regel
Die Laplace-Regel: Man nimmt an, dass die Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten der möglichen Ereignisse bei allen Wahlmöglichkeiten gleich sind (Indifferenzprinzip). Die Wahlmöglichkeit, die dann das beste Ergebnis verspricht, wird ausgewählt, d. h. es wird diejenige Alternative gewählt, deren Erwartungswert maximal ist:
Die Laplace-Regel beruht auf folgender Annahme: Da keine Eintrittswahrscheinlichkeiten bezüglich der Umweltzustände bekannt sind, gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass ein Umweltzustand wahrscheinlicher sei als ein anderer, daher müsse man von Gleichverteilung der Eintrittswahrscheinlichkeiten ausgehen. Damit berücksichtigt die Laplace-Regel sämtliche Umweltzustände bei der Bewertung der Alternativen. Im vorliegenden Beispiel ist der Entscheider indifferent zwischen der Aktie und dem Sparstrumpf.
Die Laplace-Regel ist ein Sonderfall der Bayes-Regel.
Savage-Niehans-Regel
Die Savage-Niehans-Regel (auch Minimax-Regret-Regel oder Regel des kleinsten Bedauerns): die Beurteilung der Handlungsalternativen basiert bei dieser Regel nicht auf dem unmittelbaren Nutzen der Ergebnisse, sondern auf deren Schadenswerten bzw. Opportunitätsverluste im Vergleich zum maximal möglichen Gewinn. Man wählt diejenige Alternative, welche den potentiellen Schaden minimiert.
Im Beispiel: Annahme vier mögliche Umweltzustände (, , und ), sowie drei verfügbare Alternativen (, und )
2180 | 1640 | 1750 | 480 | |
1840 | 2560 | 690 | 810 | |
720 | 1970 | 2320 | 860 |
Um die optimale Alternative nach der Savage-Niehans-Regel zu ermitteln, muss in jedem Zustand der maximale Ergebniswert über alle Alternativen ermittelt und dieser von allen anderen Ergebniswerten subtrahiert werden.
Beispiel:
- Betrachtung des Zustand .
- Ermittlung des maximalen Ergebniswert
- Subtraktion des auf alle
Dieser Vorgang muss für jeden Zustand vorgenommen werden. Es werden anschließend die jeweils höchsten Werte der drei Alternativen (Zeilen) miteinander verglichen. Der hierbei geringste Wert stellt dabei den geringsten Opportunitätsverlust dar und ist somit die günstigste Alternative.
In der Gesamtbetrachtung sieht die Rechnung folgendermaßen aus:
2180 − 2180 = 0 | 2560 − 1640 = 920 | 2320 − 1750 = 570 | 860 − 480 = 380 | 920 | |
2180 − 1840 = 340 | 2560 − 2560 = 0 | 2320 − 690 = 1630 | 860 − 810 = 50 | 1630 | |
2180 − 720 = 1460 | 2560 − 1970 = 590 | 2320 − 2320 = 0 | 860 − 860 = 0 | 1460 |
Wir stellen fest, dass der minimale Wert des maximalen Nachteils (max. Nachteil) 920 beträgt. Die Opportunitätsverluste in Alternative sind am geringsten und dadurch die zu wählende Alternative.
Krelle-Regel
Eine weitere Entscheidungsregel wurde von Wilhelm Krelle vorgeschlagen. Sie beruht darauf, dass alle mit einer Aktion verknüpften Nutzenwerte , ,… , mit einer für den Entscheidungsträger relevanten Unsicherheitspräferenzfunktion transformiert werden und anschließend addiert werden.
Die beste Alternative ist nun jene mit dem größten Gütemaß.
Leistbarer Verlust nach Sarasvathy
Der individuell leistbare Verlust bzw. Einsatz (und nicht der erwartete Ertrag) bestimmen, welche Gelegenheiten wahrgenommen werden bzw. welche Schritte in einem Vorhaben tatsächlich gesetzt werden. Es handelt sich dabei um eine Entscheidungsheuristik, die laut Gründungsforschung von sehr erfahrenen Unternehmern unter Ungewissheit bevorzugt eingesetzt wird (siehe Effectuation – Theorie unternehmerischer Expertise).
Erfahrungskriterium von Hodges und Lehmann
Diese Regel bildet einen Kompromiss zwischen der Maximin-Regel und der Bayes-Regel zu einer A-priori-Größe . Zusätzlich wird der Vertrauensparameter eingeführt, der angibt, in welchem Maße der Entscheidungsträger der A-priori-Wahrscheinlichkeit vertraut.
Siehe auch
Literatur
- W. v. Zwehl: Entscheidungsregeln. In: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Teilband 1. 5. Auflage. Schäffer-Poeschel, 1993
- G. Bamberg, A. G. Coenenberg: Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre. 14. Auflage. Verlag Vahlen, 2008, ISBN 978-3-8006-3506-1
Einzelnachweise
- Entscheidungsregeln – Definition im Gabler Wirtschaftslexikon
- Amartya Sen: Equality of What?, in: S. Murrin (Hrsg.): The Tanner Lectures on Human Values, Cambridge University Press 1980, 196–220, auch in: Amartya Sen: Choice, Welfare and Measurement, Oxford 1982
- Klaus Birker: B2B-Handbuch General-Management: Unternehmen marktorientiert steuer. Hrsg.: Werner Pepels. 2. Auflage. Symposion Publishing GmbH, Düsseldorf 2008, ISBN 978-3-939707-06-6, S. 52 (Google Books).