Effectuation
Effectuation ist eine unternehmerische Entscheidungslogik, die in Situationen der Ungewissheit eingesetzt werden kann. Sie basiert nicht auf vergangenheitsbezogenen Daten und darauf gründenden Vorhersagen der Zukunft. Effectuation wird vor allem bei der Entwicklung von Geschäftsmöglichkeiten und Geschäftsmodellen in Situationen angewandt, in denen belastbare Prognosen aufgrund hoher Unsicherheit nicht möglich sind.
Der Effectuation-Ansatz ist ein Ergebnis der globalen Entrepreneurship-Forschung. Er wurde von der heutigen Entrepreneurship-Professorin Saras D. Sarasvathy von der University of Virginia im Rahmen ihrer Promotion begründet, in der sie Entscheidungen von Supraentrepreneurs, also erfolgreichen Mehrfachgründern untersuchte.[1] Seither ist der Ansatz mehrfach empirisch belegt und weiterentwickelt, aber auch vehement kritisiert worden.
Niklas Luhmann hatte bereits 30 Jahre vor Sarasvathy den Unterschied in der Systemsteuerung durch konditionale oder zweckprogrammierte Logik deutlich herausgearbeitet. 2014 wurden die Arbeiten experimentell mit einem Steuerungsmodell als zweckprogrammierte Lern- und Innovationsfunktion in Bestandsorganisationen integriert. An dem Experiment nahmen Bayer, Henkel, SAP, Microsoft, ATOS, Fraunhofer uvm.als MultiStakeholder System teil. Im ersten Jahr wurden bereits World Awards und Auszeichnungen in der deutschen Forschungslandschaft gewonnen. Seit 2019 wird der Ansatz in weiteren Industrien und Sektoren in der digitalen Transformation eingesetzt.
Ressourcen- statt Zielorientierung
Prognostische Ansätze mit linear-kausaler Logik gehen davon aus, dass man die Zukunft nur in dem Maße steuern kann, in dem man sie vorhersagen kann. Die Effectuation-Theorie postuliert demgegenüber, dass man alles, was man steuernd beeinflussen kann, nicht vorhersagen muss.[2] Das bezieht sich vor allem auf die eigenen Ressourcen, das eigene Wissen und die eigenen Partnerschaften. Ein solcher ressourcenbasierter Ansatz bedeutet auch, dass Unternehmer bei der Identifizierung von Geschäftsmöglichkeiten nicht mit strategischer Zielplanung beginnen, sondern dass die Ausformulierung der Ziele als experimenteller Lernprozess in einem Prozess der persönlichen Interaktion mit Kunden und anderen Geschäftspartnern verläuft: Mit jeder neuen Partnerschaft entstehen neue Potenziale, durch die auch die verfügbaren Ressourcen expandieren.[1] An die Stelle der Positionierung auf dem Markt und Planung tritt die aktive Gestaltung.
Der Ansatz ist eng verwandt mit dem ebenfalls ressourcenorientierten Konzept der Dynamic Capabilities.[3]
Prinzipien der Effectuation
Einstellung gegenüber der Zukunft: Die Zukunft ist nicht vorhersehbar (das Ergebnis von Co-Kreation) und kann durch Vereinbarungen zwischen autonomen Akteuren gestaltet werden. (Bsp.: Investoren, Partner und Kunden gehen Vereinbarungen im Bezug auf ein zukünftiges Produkt, ein neues Unternehmen oder einen noch nicht existierenden Markt ein und reduzieren dadurch die Ungewissheit.)
Basis für das Handeln: Mittelorientierung: Die jeweils verfügbaren Mittel (wer ich bin, was ich weiß und wen ich kenne) bestimmen, welche (veränderlichen) Ziele angestrebt werden (und nicht umgekehrt). "Statt (...) 'Was sollte man tun?' (...) pragmatisch 'Was kann ich tun?'"[4]
Einstellung gegenüber Risiko und Ressourcen-Einsatz: Der individuell leistbare Verlust bzw. Einsatz (und nicht der erwartete Ertrag) bestimmen, welche Gelegenheiten wahrgenommen werden bzw. welche Schritte in einem Vorhaben tatsächlich gesetzt werden.
Einstellung gegenüber Anderen: Eingehen von Partnerschaften mit denen, die bereit sind, unter Ungewissheit verbindliche Vereinbarungen einzugehen und eigene Mittel zur Kreation der Gelegenheit beizutragen.
Einstellung gegenüber dem Unerwarteten: Unerwartetes, Zufälle und Umstände können als Chancen und Hebel genutzt und in Innovation und unternehmerische Gelegenheiten transformiert werden.
Literatur
- Daniel Küpper, Die Erfolgswirkung von Effectuation im Kontext von F&E-Projekten, Wiesbaden 2010, eBook, ISBN 978-3-8349-8673-3.
- Markus Göbel, H. Dieter Gräfen. Der Digitale Elefant - Organisation und Führung in intersektoralen Partnerschaften, Hamburg 2020, PDF ISSN 2509-4513. Mittlerweile auch bei Springer in New Perspectives in Technology Transfer, Berlin, 2021
- Michael Faschingbauer: Effectuation. Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln. 3. Auflage. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-7910-3679-3.
- S. Read, S. Sarasvathy, M. Song, N. Dew, R. Wiltbank: Marketing Under Uncertainty: An Effectual Approach. In: Journal of Marketing. Vol. 73, Nr. 3, Mai 2009, S. 1 ff.
- S. Sarasvathy: Effectuation: Elements of Entrepreneurial Expertise. Edward Elgar, Cheltenham 2008, ISBN 978-1-84844-572-7.
- Robert Wiltbank, Nicholas Dew, Stuart Read, Saras D. Sarasvathy: What to do next? The case for non-predictive strategy. In: Strategic Management Journal. Vol. 27, Nr. 10, 2006, S. 16 ff.
- Stuart Read, Saras D. Sarasvathy: Knowing What to Do and Doing What You Know: Effectuation as a Form of Entrepreneurial Expertise. In: The Journal of Private Equity. Vol. 9, Nr. 1, 2005, S. 45 ff. (18 Seiten)
- Saras D. Sarasvathy: Causation and effectuation: Toward a theoretical shift from economic inevitability to entrepreneurial contingency. In: The Academy of Management Review. Vol. 26, Nr. 2, 2001, S. 243 ff. (21 Seiten)
Weblinks
Einzelnachweise
- Saras D. Sarasvathy: Causation and effectuation: Toward a theoretical shift from economic inevitability to entrepreneurial contingency. 2001.
- S. Sarasvathy: Effectuation: Elements of Entrepreneurial Expertise. Edward Elgar, Cheltenham 2008, S. 18.
- K. M. Eisenhart, J. A. Martin: Dynamic capabilities: What are they? In: Strategic Management Journal. 21. Jg., Nr. 10/11, 2000, S. 1105–1121.
- Michael Faschingbauer: Effectuation. Unternehmerisch Denken und Handeln kann jeder lernen. In: tw Thema Wirtschaft. Mai 2016, S. 63 (ihk-niederrhein.de [PDF]). Effectuation. Unternehmerisch Denken und Handeln kann jeder lernen. (Memento vom 11. Juni 2016 im Internet Archive)