Elli Smula
Elli Smula (geboren am 10. Oktober 1914 in Berlin; gestorben am 8. Juli 1943 in Ravensbrück) war eine Straßenbahnschaffnerin, die vermutlich wegen Beteiligung an Zechgelagen, bei denen es zu homosexuellen Handlungen gekommen sein soll, angezeigt wurde und die im Konzentrationslager Ravensbrück unter ungeklärten Umständen zu Tode kam.[1][2] In der Biografieforschung zur Homosexualität in der Zeit des Nationalsozialismus ist ihr Schicksal seit den 1990er Jahren dokumentiert. Seit November 2015 erinnert ein Stolperstein in Berlin an sie.
Leben
Elli Smula war die uneheliche Tochter der Hausangestellten Martha Smula. Sie hatte einen drei Jahre älteren Bruder. Der Vater der beiden Kinder starb während des Ersten Weltkriegs als Soldat. Elli Smula hatte keine Berufsausbildung und war Arbeiterin. Am 23. Juli 1940 wurde sie als Straßenbahnschaffnerin der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) im Straßenbahndepot an der Elsenstraße dienstverpflichtet. Im September 1940 wurde sie an ihrem Arbeitsplatz von der Gestapo festgenommen. Sie wurde mehrfach im Hauptquartier der Gestapo im Gefängnis am Alexanderplatz verhört, bevor sie am 30. November 1940 in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück deportiert wurde.
Über den Grund ihrer Verhaftung ist nichts bekannt, wahrscheinlich steht er aber in Zusammenhang mit der Verhaftung ihrer Kollegin Margarete Rosenberg.[3] Der Arbeitgeber der beiden, die BVG, hatte Rosenberg angezeigt, weil sie sich an Zechgelagen beteiligt habe, bei denen es zu homosexuellen Handlungen gekommen sei. Infolgedessen habe sie „innerhalb eines Monats 16 Tage vom Dienst gefehlt“, wodurch der Betrieb der BVG stark gefährdet worden sei. In einem Vermerk der Gestapostelle IV B 1 c vom 26. September 1940 ist über Rosenberg und weitere Kolleginnen zu lesen: „Bei der BVG wurde darüber Klage geführt, daß auf dem Straßenbahnhof in Treptow einige Straßenbahnschaffnerinnen angestellt seien, die regen Verkehr mit Kameradinnen ihres Betriebes in lesbischer Hinsicht unterhalten. So wurde behauptet, daß sie Arbeitskameradinnen mit in die Wohnung nehmen, sie unter Alkohol setzen und dann mit ihnen gleichgeschlechtlich verkehren. Am nächsten Tage seien die Frauen dann nicht in der Lage gewesen, ihren Dienst zu versehen. Dadurch wurde der Betrieb des Straßenbahnhofs Treptow stark gefährdet.“[2][4]
In den Zugangsakten des KZ Ravensbrück ist als Smulas Haftgrund „politisch“ vermerkt, in einer weiteren Spalte wurde der Hinweis „lesbisch“ notiert.[2] Der eigentliche Grund der Schutzhaft dürfte wie im Fall von Smulas Kollegin Rosenberg die „Arbeitsverweigerung“ gewesen sein, die die Gestapo im häufigen Fernbleiben vom Dienst erblickte. Der Vorwurf, der Rosenberg gemacht wurde, war die Verletzung ihrer Dienstpflicht. Ein schwerwiegender Vorwurf, insbesondere bei einem kriegswichtigen Betrieb wie der BVG, die täglich Zehntausende Arbeiter in die Rüstungsbetriebe transportierte. So bedrohte die Verordnung zum „Schutz der Wehrkraft“ vom 30. November 1939 denjenigen mit Zuchthaus, der „das ordnungsmäßige Arbeiten eines für die Reichsverteidigung oder die Versorgung der Bevölkerung wichtigen Betriebs dadurch stört oder gefährdet“, dass er eine dem Betrieb dienende Sache „außer Tätigkeit setzt“. Und bei „Arbeitsvertragsbruch“ drohte nicht nur Gefängnis, sondern auch eine KZ-Einweisung durch die Gestapo, denn nach einer Anordnung vom 1. Juli 1939 durfte man „nicht pflichtwidrig der Arbeit fernbleiben, die Arbeit verweigern oder böswillig mit der Arbeit zurückhalten“.[3] Die homosexuellen Handlungen spielten für die KZ-Inhaftierung von Smula und Rosenberg dagegen keine Rolle. Lesben wurden anders als männliche Homosexuelle nicht nach dem § 175 verurteilt, lesbische Handlungen und Lebensweisen standen demnach nicht unter Strafe.[5][6]
Aus einer Nachricht an ihre Mutter geht hervor, dass Elli Smula wahrscheinlich am 8. Juli 1943 im KZ Ravensbrück starb. Die Umstände ihres Todes sind nicht bekannt. Wahrscheinlich ist ein Tod durch Hunger oder einer durch die Umstände im KZ entstandenen Krankheit. Die NS-Überlebende Martha van Och-Soboll (1910–2001), die ebenfalls in Ravensbrück war, sagte nach dem Krieg jedoch aus, Elli Smula sei bereits 1942 von der Lagerärztin Herta Oberheuser mit einer Injektion getötet worden.[4][7]
Gedenken
Seit November 2015 erinnert ein Stolperstein nahe der Singerstraße 1 in Berlin-Mitte an Elli Smula.[8]
Literatur
- Claudia Schoppmann: Zeit der Maskierung. Lebensgeschichten lesbischer Frauen im „Dritten Reich“, Orlanda Frauenverlag, Berlin 1993, ISBN 978-3-922166-94-8 (1998 als Fischer-Taschenbuch), über Elli Smula S. 11ff.
- Days of Masquerade. Life Stories of Lesbians during the Third Reich. Übersetzt von Allison Brown, Columbia University Press, New York 1996, ISBN 978-0-231-10220-9. Review[9]
- Claudia Schoppmann: Zum Doppelleben gezwungen – Vermeidungs- und Überlebensstrategie von lesbischen Frauen im ‚Dritten Reich‘. In: Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (Hrsg.): Forschung im Queerformat. Aktuelle Beiträge der LSBTI*-, Queer- und Geschlechterforschung. Transcript Verlag, Bielefeld 2014, ISBN 978-3-8376-2702-2, über Elli Smula S. 41, teilweise einsehbar bei Google Books
Weblinks
- Biografie Smulas auf rosa-winkel.de
- Joachim Müller: Eine reichsweit organisierte Lesbenverfolgung hat es nicht gegeben
- Joachim Müller: Materialsammlung – Vergleichbarkeit der Lebenssituation lesbischer Frauen mit der Lebenssituation schwuler Männer im Nationalsozialismus (und nach 1945)
- Alexander Zinn: Gab es eine Lesbenverfolgung durch das NS-Regime?
Einzelnachweise
- Claudia Schoppmann: Zum Doppelleben gezwungen – Vermeidungs- und Überlebensstrategie von lesbischen Frauen im ‚Dritten Reich‘. In: Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (Hrsg.): Forschung im Queerformat. Aktuelle Beiträge der LSBTI*-, Queer- und Geschlechterforschung, Transcript Verlag, Bielefeld 2014, ISBN 978-3-8376-2702-2, über Elli Smula S. 41
- Rosa Winkel - Die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus - Elli Smula. Abgerufen am 27. Januar 2021.
- Rosa Winkel - Die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus - Margarete Rosenberg. Abgerufen am 27. Januar 2021.
- Claudia Schoppmann: Elli Smula. In: stolpersteine-berlin.de.
- Informationen zum Paragrafen 175 auf rosa-winkel.de, abgerufen am 7. April 2017
- Alexander Zinn: Gab es eine Lesbenverfolgung durch das NS-Regime?, abgerufen am 26. August 2018
- Maria Fiedler: Stolperstein für lesbische BVG-Schaffnerin – Tod im KZ. In: Der Tagesspiegel, 16. November 2015.
- Stolpersteinverlegung im Gedenken an Elli Smula. In: Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e. V.
- Jean Noble: Kritik in: The Oral History Review, Band 24, Nr. 2 (Winter 1997), S. 147–149; abgerufen am 18. Dezember 2015.