Eisenbahnunfall von Shepherdsville
Bei dem Eisenbahnunfall von Shepherdsville fuhr am 20. Dezember 1917 ein Schnellzug in das Ende eines Lokalzugs, der es nicht mehr rechtzeitig geschafft hatte, im Bahnhof von Shepherdsville, Kentucky, USA, in ein Überholungsgleis auszuweichen. Mindestens 49 Menschen starben.
Ausgangslage
Der Unfall ereignete sich auf einer Eisenbahnstrecke der Louisville and Nashville Railroad. Die Sicherung von Zugfahrten auf der Strecke erfolgte durch Fahren im Zeitabstand und zusätzlich durch örtlich bediente Signale. Dabei galt das Verfahren, dass alle Signale grundsätzlich „Halt“ zeigen mussten. Der Lokomotivführer musste 600 Yards (ca. 550 Meter) vor dem Signal vier mal die Pfeife der Lokomotive betätigen, woraufhin der Mitarbeiter an der Strecke, wenn dem nichts im Weg stand, die Fahrt freigab und der Lokomotivführer die Umstellung von Rot auf Grün beobachten musste. Traf der Lokomotivführer auf ein bereits grün zeigendes Signal, war von einer Störung auszugehen und er musste anhalten. Das Ausweichgleis im Bahnhof Shepherdsville hatte nur eine Verbindung zum Streckengleis. Züge, die aus Louisville kamen und dort hineinfahren wollten, mussten vorziehen und rückwärts in das Gleis hineinstoßen.[1]
Der erste Zug auf der Strecke war ein Lokalzug, der mit einigen Minuten Verspätung unterwegs war. Er kam von der Union Station in Louisville, Kentucky, wo er um 16:35 Uhr abgefahren war. Sein Ziel war Springfield, Kentucky.[2] Der Zug bestand aus einer Lokomotive, einem Gepäckwagen und zwei Reisezugwagen. Die Wagen waren älterer Bauart und noch aus Holz gefertigt.
Diesem Lokalzug folgte ein um zwei Stunden verspäteter Schnellzug, der Flyer, der von Cincinnati nach New Orleans unterwegs war und dessen Lokomotivführer deshalb Wert darauf legte, die verlorene Zeit möglichst wieder auszugleichen.[3] Dieser Zug verließ Louisville um 16:53 Uhr.[4]
Um 17:12 Uhr erreichte der Lokalzug Brooks, Kentucky. Der Fahrdienstleiter teilte dort dem Zugführer mit, dass die Überholung durch den Schnellzug in Shepherdsville oder – falls er das noch schaffe – im folgenden Bahnhof, Bardstown, Kentucky, durchgeführt werden solle.[5]
Unfallhergang
Als der Lokalzug 17:24 Uhr in Shepherdsville eintraf, ließ der Zugführer ihn gemäß der erhaltenen Anweisung zunächst auf dem Streckengleis halten und erkundigte sich nach der Position des Flyer auf der Strecke, um anschließend entscheiden zu können, ob die Überholung hier oder im nächsten Bahnhof durchzuführen war. Im Bahnhof Shepherdsville war aber die Position des Flyer nicht bekannt. Als dann die Meldung eintraf, dass der Schnellzug den Bahnhof Brooks passiert habe, entschied der Zugführer des Lokalzugs, seinen Zug in Shepherdsville in das Ausweichgleis zu stellen. Der Zug zog dafür vor, um in dieses Gleis zurückstoßen zu können.
Der Lokomotivführer des Schnellzugs gab 800 Meter vor Shepherdsville das vierfache Pfeifsignal und erkannte bei Annäherung das Grün zeigende Einfahrsignal des Bahnhofs. Entgegen der Vorschrift deutete er das als „Fahrt frei“. Das Signal war aber nach der Einfahrt des Lokalzugs noch nicht zurückgestellt worden.[6] Als für das Einfahren des Lokalzugs in das Ausweichgleis die Weiche umgelegt wurde, hatte das zur Folge, dass das Signal automatisch von Grün auf Rot umsprang. Der Lokomotivführer des Schnellzugs sah das und führte sofort eine Notbremsung durch. Dies reichte aber nicht mehr, um den Auffahrunfall noch zu verhindern. Gegen 17:30 Uhr kollidierte die Lokomotive des Schnellzugs – die dabei nicht entgleiste – mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 km/h mit dem Zugschluss des Lokalzugs: Dessen letzter Wagen wurde vollständig zertrümmert, der davor laufende zur Hälfte aufgeschlitzt und der Lokalzug insgesamt 250 Meter nach vorne geschoben.[7]
Folgen
Mindestens 49 Menschen starben[8], 52 wurden verletzt. Ein Hilfszug aus Louisville mit medizinischem Personal war gegen 19 Uhr am Unfallort.[9]
Die Interstate Commerce Commission (ICC) untersuchte den Unfall[10] und kam dabei zu folgenden Feststellungen:
- Die Hauptschuld an dem Unfall wurde dem Zugführer und dem Bremser des Lokalzugs zugeschrieben (beide starben bei dem Unfall), weil sie es versäumt hätten, ihren Zug nach rückwärts – vor allem durch Knallkapseln – zu sichern.
- Die Vorschrift, die besagte, dass ein Zug sich 600 Yards vor einem Signal mit viermaligem Pfeifen melden musste, damit dieses auf „Fahrt frei“ umgestellt werden konnte, war völlig veraltet: Die mittlerweile von einem Schnellzug gefahrene Geschwindigkeit machte es dessen Lokführer unmöglich, seinen Zug gegebenenfalls noch vor dem Signal zum Halten zu bringen.
- Das Einfahrsignal des Bahnhofs Shepherdsville war, nachdem der Lokalzug daran vorbei gefahren war, nicht in „Halt“-Stellung zurückgestellt worden.
- Der Lokomotivführer des Schnellzugs verstieß gegen die Sicherheitsvorschrift, als er – ohne einen Wechsel des Signals von „Halt“ nach „Fahrt frei“ beobachtet zu haben – das Signal überfuhr.
- Für eine Strecke, auf der täglich planmäßig 44 Fahrten in jeder Richtung durchzuführen waren, war die vorhandene Zugsicherungstechnik und ein Fahren im Zeitabstand eine unzureichende Sicherung. Die ICC empfahl, auf der Strecke sofort eine Zugsicherung durch Streckenblock einzurichten.
Literatur
- Charles Hartley: Bullitt County History – 1917 Shepherdsville Train Wreck.
- John E. Kleber: The encyclopedia of Louisville. University Press of Kentucky 2001. ISBN 978-0-8131-2100-0
- Gertrude V. Morris: A Christmas Tragedy. Hrsg.: Ancestral Trails Historical Society, Kentucky.
Weblinks
Einzelnachweise
- Unfalluntersuchungsbericht der Interstate Commerce Commission.
- Unfalluntersuchungsbericht der Interstate Commerce Commission.
- Hartley.
- Unfalluntersuchungsbericht der Interstate Commerce Commission.
- Hartley.
- Hartley.
- Hartley; Unfalluntersuchungsbericht der Interstate Commerce Commission.
- Liste der Toten und Verletzten; Kleber, S. 144, berichtet von 51 Toten.
- Hartley.
- Unfalluntersuchungsbericht der Interstate Commerce Commission.